Dass das Gravelbike eine Erfolgsgeschichte ist und die Branche in schwierigen Zeiten über Wasser hält, steht außer Frage. Man braucht sich ja nur umzuschauen: Räder mit Stollenreifen und gebogenem Lenker bestimmen das Straßenbild selbst – oder gerade – in Städten. Das müssen inzwischen auch Traditionalisten anerkennen, die die junge Gattung lange Zeit kritisch beäugten.
Kritikpunkte wie ein – im Vergleich zum Straßenrennrad – träges Lenkverhalten, hohes Gewicht oder betont komfortable Geometrie waren sicher nicht von der Hand zu weisen, für etliche Gravelbikes gelten sie auch weiterhin. Seit geraumer Zeit allerdings hält die Industrie spezielle Konzepte bereit, die den Fahrspaß eines sportlichen Rennrads ins Gelände übertragen und ein konträres Bild zeichnen: Race-Gravelbikes wie unsere fünf Testräder von Canyon, Rose, Scott, Storck und Trek.
Beim Herzstück, dem Rahmen-Set, sind sich die Hersteller weitgehend einig, sowohl was die rennmäßige Geometrie als auch Carbon als Material betrifft. Dabei zeigt sich eindrucksvoll der große Einfluss von Lenker und Vorbau auf die Sitzposition. So täuscht der etablierte Quotient aus Stack und Reach bei allen Kandidaten über die tatsächliche Haltung hinweg. Erst unter Berücksichtigung der Cockpits offenbaren die Räder, dass sie einem sportlichen Wettkampfrenner näher sind als einem langstreckentauglichen Marathonrad.
So stellt Trek mit dem Checkpoint aktuell eines der konsequentesten Gravelbikes für den sportlichen Einsatz, indem die US-Amerikaner die einteilige Lenker-Vorbau-Kombi des Madone übernehmen. Auch das Rose Backroad FF setzt mit einer progressiv designten Lenker-Vorbau-Einheit auf Attacke. Das Canyon Grail fällt im Vergleich dazu gemäßigter aus und deutet damit mehr Alltags- oder Reisetauglichkeit an. Bei den Fahreigenschaften ergibt sich ein differenziertes Bild. Zwar tendieren alle Räder zu hoher Laufruhe. Am spurstabilsten und sichersten fährt sich das Scott Addict Gravel, das langen Radstand, flachen Lenkwinkel und viel Gabelnachlauf kombiniert.
Mit dem Storck findet sich aber auch ein recht quirliges Modell im Testfeld, da es, anders als die Konkurrenz, auf kleineren Laufrädern rollt. Neben dem Fahrverhalten wirkt sich das 27,5-Zoll-Format auf den Fahrkomfort aus, da sich deutlich dickere Schlappen aufziehen lassen als bei herkömmlichen Laufrädern. Am Grix.2 sind 50 Millimeter breite Gummis montiert, ein Alleinstellungsmerkmal in der Kategorie der renntauglichen Gravelbikes, der Trend ist eigentlich gegenläufig. Rennfahrer rollen auf maximal 40 Millimeter breiten Pneus, die den Anforderungen schneller Schotterpisten genügen und geringen Rollwiderstand mit gutem Komfort verbinden.
Da alle Race-Gravelbikes aus dem Test auf hochwertigen Tubeless-Reifen stehen, lassen sich mögliche Schwächen bei der Federung des Rahmens-Sets über den präzise eingestellten Reifendruck kompensieren. Das größte Tuning-Potenzial bietet das hart abgestimmte Scott, am geschmeidigsten rollt das Trek über Unebenheiten. Das Trek Checkmate ist zugleich das leichteste Rad im Feld.
Einerseits liegt das daran, dass die US-Marke es ausschließlich in höchster Carbonqualität anbietet, während die Räder von Canyon, Scott und Storck auf einer mittleren Qualitätsstufe basieren. Andererseits profitiert das Bike als einziges von der rund 100 Gramm leichteren Schaltgruppe SRAM Red XPLR 1x12. Alle anderen Bikes sind mit der funktional ebenbürtigen Force XPLR aufgebaut – und auch deshalb deutlich günstiger. Trek bietet sein Race-Modell zwar ebenfalls mit der Mittelklasse-Gruppe von SRAM an, hängt dem aber das gleiche Preisschild um wie der getesteten Variante.
Zusammen mit Canyon liefert Trek das beste Gesamtpaket, womit sich beide Kandidaten knapp vor der Konkurrenz behaupten. Auch vor dem Rose, das in einem ersten Test ebenfalls die Gesamtnote 1,8 erreicht hatte. Weil das Grail 3700 Euro günstiger ist als das Checkmate, darf es sich als heimlicher Testsieger fühlen. Kritikwürdig an beiden Bikes sind die Lenker-Vorbau-Einheiten mit wenig Spielraum für individuelle Anpassungen. Bei einem Sturz kann ein Austausch zudem teuer werden. Wartungsfreundlich ist lediglich das Scott. Andererseits wirken die Kandidaten durch die Systemintegration wie aus einem Guss und wandeln auf den Spuren moderner Straßenrenner. Von irgendwie behäbigen Gravelbikes ist jedenfalls weit und breit nichts zu sehen.
Auf einen Blick: Rot sind die Teilnoten ab 4,0. So sehen Sie, welche Räder wegen schwächerer Einzelnoten für Sie nicht infrage kommen.
*LL=lebenslang, CR = Crash Replacement, RA = Rennausschluss