Julian Schultz
· 23.04.2025
Bei der Weiterentwicklung seiner Rennrad-Palette hat es Merida zuletzt ruhig angehen lassen, dafür wurden die Bikes der Gravel-Serie Silex in den vergangenen beiden Jahren komplett erneuert. Mit dem teureren Carbonmodell (siehe Test in TOUR 3/2024) errang Radprofi Matej Mohorič umgehend den Gravel-WM-Titel – ein Marktstart wie aus dem Bilderbuch für das Rad. Daneben soll der Ableger auf Basis eines Aluminiumrahmens ein breiteres Publikum ansprechen. Mit dem aufwendig gefertigten Rahmen, der sich mit vielen Design-Details wie Knicken, Kanten und sich verändernden Rohrquerschnitten vom Einerlei abhebt, könnte das durchaus gelingen. Mit den zumindest am Hauptrahmen sauber verschliffenen Schweißnähten könnte man ihn auf den ersten Blick auch für einen Carbonrahmen halten. Dass dies ein Trugschluss ist, dürfte sich spätestens beim Anheben des Rades herausstellen, denn auch Merida kann nicht zaubern und hängt ein Gewicht von fast elf Kilogramm an die TOUR-Waage – das ist Klassendurchschnitt. Im Labordurchgang offenbart das Rad kaum nennenswerte Besonderheiten: Der Rahmen ist, wie für robuste Alu-Konstruktionen üblich, sehr fahrstabil; der Komfort hält sich dafür in Grenzen.
Richtig überzeugend wird das Merida erst auf der Piste – und wenn man auf die Details achtet. Dabei zeigt sich, dass das Rad eindeutig im Gelände zuhause ist und asphaltierte Strecken höchstens als Zubringer goutiert. Auf dem Silex sitzt man vergleichsweise sportlich, was dazu verleitet, dem Rad trotz des recht hohen Gewichts die Sporen zu geben. Mit viel Gabelvorbiegung und dem längsten Radstand im Testfeld pflügt es unbeirrt durchs Terrain, kein anderes Bike lässt sich sicherer durch weiche Böden und ruppige Passagen steuern. Enge Kehren und zackige Richtungswechsel sind dagegen nicht seine Stärke. Das ist gewöhnungsbedürftig, hat aber durchaus seinen Reiz. Den Fahrspaß verstärkt der grobstollige, breit ausfallende Maxxis-Reifen, der als einer der wenigen im Test schon ab Werk ohne Schlauch montiert ist und mit deutlich weniger Druck gefahren werden kann.
Lob verdient die 180-Millimeter-Bremsscheibe am Vorderrad: Bremskraft steht im Überfluss bereit, auch auf Abfahrten und mit Gepäck beladen bietet die größere Disc mehr Reserven. Überhaupt ist das Silex auch für lange Abenteuerfahrten gut gerüstet; an Rahmen und Gabel lässt sich viel Gepäck befestigen, mit der Zweifach-Kurbel lassen sich steile Anstiege wie schnelle Abfahrten gut in Angriff nehmen, auch wenn die zehn Ritzel am Hinterrad nicht mehr ganz Stand der Technik sind. Für den Einsatz als Pendlerrad ist das Silex zwar vorbereitet, allerdings weniger konsequent als andere Kandidaten. So passen in Kombination mit Schutzblechen nur noch 42er-Reifen, was dem Rad etwas Geländetauglichkeit und damit seinen einzigartigen Charakter nehmen würde. Durch die Gabel führt ein Kabelkanal fürs Dynamolicht, der Rahmen bietet aber keine Möglichkeit, ein Rücklicht anzuschließen. Anschraubpunkte für einen festen Gepäckträger fehlen.
Viel Auswahl bietet Merida beim Silex nicht, lediglich drei Varianten sind im Programm. Der Einstieg beginnt schon bei 1.399 Euro, allerdings entspricht das Silex 200 mit mechanischen Scheibenbremsen und Achtfach-Getriebe nicht mehr dem Stand der Technik. Beim 2.649 Euro teuren Top-Modell steht die Frage im Vordergrund, ob die Ein-Kettenblatt-Schaltung zu den eigenen Ansprüchen passt. Wenn nicht, könnte die günstigste Carbonversion für 2.399 Euro die bessere Option sein.
Gewicht (25 Prozent der Gesamtnote): Für die Bewertung zählt das gewogene Komplettradgewicht in der einheitlichen Testradgröße 56–57 Zentimeter. Wir weisen zur Orientierung auch die Laufradgewichte aus. Die Notenskala ist so gelegt, dass die Note 1,0 technisch erreichbar ist: Für Gewichte unter 7,5 Kilogramm vergeben wir die Bestnote.
Komfort Heck (20 Prozent): Ein Maß für die Nachgiebigkeit bei Fahrbahnstößen, gemessen im TOUR-Labor. Es wird ein Federweg bei Belastung der Sattelstütze gemessen. Der Messwert korreliert sehr gut mit den Fahreindrücken und dem Komfortempfinden. Gute Noten bedeuten auch eine ordentliche Fahrdynamik, die sich auf schlechten Straßen und im Gelände positiv auf die Geschwindigkeit auswirkt.
Komfort Front (10 Prozent): Analog zum Heck wird die Verformung des Lenkers unter Last ermittelt. Eine gute Note bedeutet viel Federkomfort, was die Hände auf langen Touren entlastet. Starke Sprinter, die viel Steifigkeit wünschen, sollten aber eher auf einen steifen Lenker achten.
Frontsteifigkeit (10 Prozent): Wichtige Größe für die Lenkpräzision und das Vertrauen ins Rad bei hohem Tempo, ermittelt im TOUR-Labor. Es wird eine Gesamtsteifigkeit am fahrfertig montierten Rahmen-Set ermittelt, also inklusive Gabel. Die Steifigkeitswerte werden gedeckelt. Ziel sind nicht unendlich steife, sondern ausreichend fahrstabile Rahmen.
Tretlagersteifigkeit (10 Prozent): Verrät, wie stark der Rahmen bei harten Tritten, zum Beispiel im Sprint, nachgibt. Diese Messung findet ebenfalls im TOUR-Labor statt, mit einer realitätsnahen Aufspannung, bei der sich der Rahmen wie im Fahrbetrieb verformen kann.
Schaltung (5 Prozent): Die Schalteigenschaften werden im Fahrtest ermittelt. Bewertet wird nicht der Preis oder die Qualitätsanmutung einzelner Komponenten, sondern ausschließlich die Funktion des gesamten Getriebes. Dabei spielen das Gangspektrum, aber beispielsweise auch die Zugverlegung, die Qualität der Züge und die montierte Kette eine Rolle.
Bremsen (5 Prozent): Ähnlich wie beim Schalten zählt auch hier der Test auf der Straße, es fließen zusätzlich die Erfahrungen aus unseren unzähligen Tests von Bremsen mit in die Bewertung ein. Dabei wird nicht das Bauteil selbst, sondern die Funktion als Zusammenspiel von Bremskörper, Belägen und Scheiben bewertet: Wie gut lassen sich die Bremsen modulieren? Wie standhaft sind die Bremsen, wie reagieren sie bei Hitze oder Nässe, wie lang sind die Bremswege?
Reifen (5 Prozent): Bewertet werden Rollwiderstand und Grip – soweit bekannt aus einem unserer unabhängigen Reifentests oder anhand des Fahreindrucks. Die Reifenbreite hat auf die Bewertung keinen Einfluss, denn das ist eher eine Frage persönlicher Präferenzen.
Lack (5 Prozent): Der TOUR-Lacktest simuliert Steinschlag und erlaubt eine Aussage über die Haltbarkeit der schützenden Deckschicht. Ein Meißel simuliert Steinschlag oder Kettenschlagen. Beginnend bei zehn Zentimetern Höhe, wird um je zehn Zentimeter gesteigert, bis der Lack nachgibt oder die maximale Fallhöhe von 50 Zentimetern erreicht ist.
Wartung/Einstellung (5 Prozent): Bewertet wird, wie einfach sich ein Rad warten und einstellen lässt. Notenabzüge gibt es beispielsweise für benötigte Spezialwerkzeuge, besonders aufwendige Detaillösungen, herstellergebundene Komponenten oder Wartungsarbeiten, die sich nur in Fachwerkstätten durchführen lassen.
Die Gesamtnote wird arithmetisch aus den prozentual unterschiedlich gewichteten (Prozentangaben in Klammern) Einzelnoten gebildet. Sie bringt vor allem die sportlichen Qualitäten des Rades zum Ausdruck.