Interview: Kristian Bauer
TOUR: Rennräder werden nach IS0 4210 geprüft – gibt es eigene Vorgaben für Gravelbikes?
Dirk Zedler: In der ISO 4210 wird zwischen Jugend-, City- und Trekking-, Geländefahrrädern – also Mountainbikes – und Rennrädern unterschieden. Eine eigene Kategorie für Gravelbikes gibt es nicht.
TOUR: Woher weiß ich als Käufer, ob mein Gravelbike auch schwieriges Terrain mit Gepäck aushält?
Dirk Zedler: Ob es das Gravelbike aushält, das ist durch bloßes Anschauen oder eine Probefahrt nicht zu erkennen. Eine Gewissheit können nur Prüfprotokolle aller Bauteile aus einem europäischen Prüfhaus sicherstellen.
TOUR: Im aktuellen Fall wies die Carbongabel geringere Wandstärken auf als baugleiche Exemplare. Davor kann auch eine harte Norm nicht schützen?
Dirk Zedler: Serienstreuungen sind gerade bei Bauteilen aus Carbon ein großes Thema. Der europäische Gesetzgeber fordert daher schon seit mehr als 25 Jahren, Stichproben durchzuführen, um Ausreißer in der Serie aufzudecken. Auf asiatische Vorlieferanten sollte sich ein Hersteller dabei nicht verlassen, ein „QC passed“-Aufkleber (Qualitätskontrolle bestanden, Anm. d. Red.) ist schnell geklebt. Daher muss ein seriöser Hersteller eine eigene Qualitätssicherung installieren, die den Warenfluss kontrolliert. Ohne Detailkenntnis und ohne die Gabel selbst gesehen zu haben, wage ich die These: Wenn die wirklich dünner war als die typgleichen, dann war sie sehr wahrscheinlich auch leichter. Einfaches Wiegen hätte möglicherweise genügt, um den schweren Unfall zu vermeiden.
TOUR: Wie erkenne ich als Verbraucher, ob mein Gravelbike oder Rennrad sicher ist?
Dirk Zedler: Normen definieren grundsätzlich nur Mindestanforderungen. Die ISO endet beispielsweise bei 100 Kilogramm Gesamtgewicht, was bei einem Gravelbike mit Fahrer und Taschen schnell überschritten wird. Normen eilen zudem der tatsächlichen Nutzung und der Technik oft Jahrzehnte hinterher. TOUR hat erstmals im Februar-Heft 2000 auf brechende Gabelschäfte aus Carbon aufmerksam gemacht und in der Folge immer wieder, aber erst im Mai 2023 trat die aktualisierte ISO 4210 in Kraft. Der darin festgeschriebene Test für diesen neuralgischen Punkt prüft keine ausreichende Sicherheit heraus, wie wir im Rahmen unserer Sachverständigentätigkeit aus zahlreichen begleiteten Schadensfällen und Rückrufen wissen. Das heißt, ein Hersteller muss im Ergebnis ohnehin ergänzend und deutlich über die Norm hinaus prüfen. Um es klarzustellen: Viele Hersteller arbeiten sehr seriös, prüfen weit oberhalb der Norm und bieten dadurch sichere Fahrräder an.
Ein Radfahrer in England hat sich nach einem schweren Unfall mit einem Gravelbike von Planet X auf einen Vergleich geeinigt. Die Versicherung des Herstellers gestand ihm eine Entschädigung von umgerechnet 5,3 Millionen Euro zu. Der Kläger war aufgrund des Bruchs der Gabel an seinem Gravelbike schwer gestürzt und trug eine Querschnittslähmung davon. Das betroffene Rad war ein Titanrad vom Typ Planet X Tempest SRAM Force 1 mit Carbongabel. Bei der gebrochenen Gabel war laut einem Gutachten die Wandstärke deutlich geringer als bei anderen Gabeln des Modells. Der Unfall passierte auf einem grasbewachsenen Hügel. Verzögert wurde der Prozess durch die Insolvenz von Planet X 2023. Der Anwalt des Unfallopfers kritisierte in einer Pressemitteilung, dass es im Gegensatz zu langjährigen Prüfnormen für Rennräder, Mountainbikes und andere Fahrräder noch keine klaren internationalen Prüfvorgaben für Gravelbikes gebe.