Julian Schultz
· 19.04.2025
Mit dem Atlas stieg Focus relativ spät aufs Gravel-Karussel auf; die aktuelle Aluminium-Variante ist das erste Gravelbike und seit 2021 auf dem Markt. Später schob der Hersteller, der in Stuttgart entwickelt und in Cloppenburg fertigt, noch eine leichtere Carbonversion nach. Trotz einiger Jahre auf dem Markt wirkt das Alu-Modell immer noch modern und aufgeräumt: Schaltzüge und Bremsleitungen laufen direkt unter dem Vorbau ins Steuerrohr, voluminöse 45-Millimeter-Reifen prägen die Silhouette und der charakteristisch geformte Rahmen wirkt eigenständig und detailreich, aber nicht verspielt. Zusammen mit dem (deutlich günstigeren) Carver stellt Focus das schwerste Rad im Vergleich; satte zwei Kilogramm trennen es vom Testsieger. Die Gründe sind nur teilweise in der verbauten Ausstattung zu suchen. Zwar fallen die Novatec-Laufräder vergleichsweise schwer aus, darüber hinaus sind die Komponenten aber auf einem vergleichbaren Qualitätsniveau wie bei den Wettbewerbern. Beim Atlas trägt auch das relativ schwere Rahmen-Set einen Anteil, was uns schon beim ersten TOUR-Test auffiel. Wer später mit leichteren Laufrädern nachregeln will, sollte eine wichtige Eigenheit des Focus beachten: Das Atlas weist an Gabel und Hinterbau ein breiteres Einbaumaß auf als üblich; das wird auch als “Boost” bezeichnet und ist an Mountainbikes verbreitet. Die Naben sind vorne 110 statt der üblichen 100 Millimeter breit, hinten 148 statt 142 Millimeter. Damit sollen die Laufräder seitensteifer und haltbarer werden. Im Umkehrschluss schränkt das die Auswahl ein, zumindest bei klassischen Gravel-Laufrädern. Gut aufgestellte Marken wie Novatec oder DT Swiss führen aber auch passende Gravel-Laufräder; man kann sich zudem im Mountainbike-Regal bedienen oder natürlich individuell aufbauen.
Im Klassenvergleich sitzt man relativ sportlich auf dem Rad, Rahmengeometrie und Lenkverhalten sind etwas näher am klassischen Rennrad als bei vielen anderen Kandidaten. Damit lenkt es sich nicht ganz so träge und wirkt, selbst auf sehr dicken Reifen, auf der Straße etwas lebendiger. Echtes Rennrad-Feeling kommt vor allem wegen des sehr breiten Lenkers nicht auf; der 48 Zentimeter breite Bügel hat dafür im Gelände seine Vorteile. Dort können auch die WTB-Reifen besser überzeugen: Sie bieten mit ihrem Stollenprofil viel Grip auf losem Untergrund, rollen aber auf Asphalt vergleichsweise zäh.
Dass Shimanos GRX-Schaltung am Focus nur zehn Ritzel am Hinterrad zu wechseln hat, empfanden wir kaum als störend: Wer mit der Bedienung des zuverlässigen vorderen Umwerfers zurechtkommt, ist mit der Zweifach-Kurbel und weniger Ritzeln besser bedient als mit einer Elf- oder Zwölffach-Schaltung mit nur einem Kettenblatt. Das Übersetzungsspektrum reicht komfortabel am oberen wie am unteren Ende, die Sprünge von Gang zu Gang sind im mittleren Geschwindigkeitsbereich angenehm abgestuft.
Für Radreisen und andere Abenteuer zeigt sich das Atlas gut vorbereitet. Serienmäßig sind: eine kleine Oberrohrtasche, Ösen unter dem Tretlager für eine Werkzeugbox sowie Schutzblech- und Gepäckträgergewinde. An der Carbongabel lassen sich an drei Ösen je Seite kleine Träger befestigen. Zusätzlich gibt es einen Anschraubpunkt für ein Frontlicht sowie Öffnungen, um das Lichtkabel in Rahmen und Gabel zu verlegen. Wer mit dem Gedanken an einen Aufbau als Randonneur spielt, sollte sich die EQP-Variante anschauen: Für nur 200 Euro mehr wird das Testrad fertig aufgebaut inklusive Schutzbleche, Gepäckträger und Dynamolicht. Die 500 Euro teurere Variante 6.8 kommt mit 2x11-GRX-Schaltung und leichteren DT Swiss-Laufrädern, die Carbonmodelle beginnen bei 3.099 Euro.
Gewicht (25 Prozent der Gesamtnote): Für die Bewertung zählt das gewogene Komplettradgewicht in der einheitlichen Testradgröße 56–57 Zentimeter. Wir weisen zur Orientierung auch die Laufradgewichte aus. Die Notenskala ist so gelegt, dass die Note 1,0 technisch erreichbar ist: Für Gewichte unter 7,5 Kilogramm vergeben wir die Bestnote.
Komfort Heck (20 Prozent): Ein Maß für die Nachgiebigkeit bei Fahrbahnstößen, gemessen im TOUR-Labor. Es wird ein Federweg bei Belastung der Sattelstütze gemessen. Der Messwert korreliert sehr gut mit den Fahreindrücken und dem Komfortempfinden. Gute Noten bedeuten auch eine ordentliche Fahrdynamik, die sich auf schlechten Straßen und im Gelände positiv auf die Geschwindigkeit auswirkt.
Komfort Front (10 Prozent): Analog zum Heck wird die Verformung des Lenkers unter Last ermittelt. Eine gute Note bedeutet viel Federkomfort, was die Hände auf langen Touren entlastet. Starke Sprinter, die viel Steifigkeit wünschen, sollten aber eher auf einen steifen Lenker achten.
Frontsteifigkeit (10 Prozent): Wichtige Größe für die Lenkpräzision und das Vertrauen ins Rad bei hohem Tempo, ermittelt im TOUR-Labor. Es wird eine Gesamtsteifigkeit am fahrfertig montierten Rahmen-Set ermittelt, also inklusive Gabel. Die Steifigkeitswerte werden gedeckelt. Ziel sind nicht unendlich steife, sondern ausreichend fahrstabile Rahmen.
Tretlagersteifigkeit (10 Prozent): Verrät, wie stark der Rahmen bei harten Tritten, zum Beispiel im Sprint, nachgibt. Diese Messung findet ebenfalls im TOUR-Labor statt, mit einer realitätsnahen Aufspannung, bei der sich der Rahmen wie im Fahrbetrieb verformen kann.
Schaltung (5 Prozent): Die Schalteigenschaften werden im Fahrtest ermittelt. Bewertet wird nicht der Preis oder die Qualitätsanmutung einzelner Komponenten, sondern ausschließlich die Funktion des gesamten Getriebes. Dabei spielen das Gangspektrum, aber beispielsweise auch die Zugverlegung, die Qualität der Züge und die montierte Kette eine Rolle.
Bremsen (5 Prozent): Ähnlich wie beim Schalten zählt auch hier der Test auf der Straße, es fließen zusätzlich die Erfahrungen aus unseren unzähligen Tests von Bremsen mit in die Bewertung ein. Dabei wird nicht das Bauteil selbst, sondern die Funktion als Zusammenspiel von Bremskörper, Belägen und Scheiben bewertet: Wie gut lassen sich die Bremsen modulieren? Wie standhaft sind die Bremsen, wie reagieren sie bei Hitze oder Nässe, wie lang sind die Bremswege?
Reifen (5 Prozent): Bewertet werden Rollwiderstand und Grip – soweit bekannt aus einem unserer unabhängigen Reifentests oder anhand des Fahreindrucks. Die Reifenbreite hat auf die Bewertung keinen Einfluss, denn das ist eher eine Frage persönlicher Präferenzen.
Lack (5 Prozent): Der TOUR-Lacktest simuliert Steinschlag und erlaubt eine Aussage über die Haltbarkeit der schützenden Deckschicht. Ein Meißel simuliert Steinschlag oder Kettenschlagen. Beginnend bei zehn Zentimetern Höhe, wird um je zehn Zentimeter gesteigert, bis der Lack nachgibt oder die maximale Fallhöhe von 50 Zentimetern erreicht ist.
Wartung/Einstellung (5 Prozent): Bewertet wird, wie einfach sich ein Rad warten und einstellen lässt. Notenabzüge gibt es beispielsweise für benötigte Spezialwerkzeuge, besonders aufwendige Detaillösungen, herstellergebundene Komponenten oder Wartungsarbeiten, die sich nur in Fachwerkstätten durchführen lassen.
Die Gesamtnote wird arithmetisch aus den prozentual unterschiedlich gewichteten (Prozentangaben in Klammern) Einzelnoten gebildet. Sie bringt vor allem die sportlichen Qualitäten des Rades zum Ausdruck.