Beinahe über Nacht wurde das neue Grail bekannt – bekannter, als es Canyon möglicherweise lieb war. Schließlich hatten die Koblenzer die zweite Generation des Race-Modells noch gar nicht offiziell vorgestellt, als Carolin Schiff damit sensationell den Titel beim Unbound, der inoffiziellen Gravel-WM, gewann. Vier Monate später und kurz nach den Titelkämpfen unter dem Dach der UCI lüftete Canyon das nur noch schlecht gehütete Geheimnis. Mit einem Komplettradgewicht von 8150 Gramm war das Grail CFR Di2 das leichteste Gravelbike im Testzeitraum von Januar bis Dezember 2023.
Auffälligste Änderung am neuen Canyon ist die Front. Der Versandhändler und Hersteller verabschiedet sich vom unkonventionellen Doppellenker und verwendet stattdessen ein Aero-Cockpit, das in Koblenz ob seiner Tragflächenform scherzhaft als “Antonow” bezeichnet wird, benannt nach dem legendären Transportflugzeug. Die neue Lenker-Vorbau-Kombi überzeugt: Am Unterlenker flext das Cockpit spürbar. Zusammen mit den hochwertigen Reifen, am Testrad schlauchlos montiert, federt die Front besser als es der gemessene Gabelkomfort suggeriert.
Am Heck dämpft eine abgeflachte Carbonstütze nicht ganz auf dem Niveau der Blattfederstütze des Vorgängers. Das Rad glättet Unebenheiten aber insgesamt deutlich ausgeprägter als vergleichbare Modelle. Allerdings neigt die Stütze im Tubeless-Set-up mit niedrigem Reifendruck (2,5 bar) zum Wippen, was speziell schwere Fahrer bedenken sollten. Durch das Sondermaß lässt sie sich nicht gegen jedes x-beliebige Modell austauschen.
Generell verläuft die Trennlinie zwischen dem Grail und dem abenteuertauglichen Grizl relativ unscharf. Zwar basiert das Grail, wie die Straßenrenner der Koblenzer erstmals auf einem leichten, steifen sowie aero-optimierten CFR-Rahmen. Durch den extremen Radstand und den hohen Schwerpunkt fährt sich das Canyon in schnellen Kurvenwechseln allerdings etwas träge. In der Race-Kategorie unüblich – aber durchaus praktisch – sind die Befestigungsmöglichkeiten für Gepäck oder Schutzbleche: Unter anderem lässt sich eine Tasche von Fidlock ins Rahmendreieck klipsen, im Unterrohr findet ein Pannen-Set Platz. Schick gelöst ist zudem die Montage von Computer, Handy oder Zeitfahraufsatz in einer kleinen Aussparung am Lenker.