Allroadbikes im TestTOUR stellt sieben der Alleskönner vor

Julian Schultz

 · 28.09.2023

Immer mehr Allroadbikes kommen auf den Markt
Foto: Skyshot/Greber
Nach dem Siegeszug des Gravelbikes erkennen immer mehr Hersteller in der Vielseitigkeit von Rennrädern das Konzept der Zukunft und bringen sogenannte Allroadbikes auf den Markt, die auf dem schmalen Grat zwischen Gravelbike und Marathonrenner wandeln. Wir stellen sieben dieser neuen Alleskönner vor.

Kurz & Knapp

Der Rennrad-Himmel ist um eine weitere Gattung reicher: Zwischen langstreckentaugliche Marathonräder und ­geländegängige Gravelbikes quetschen sich sogenannte Allroad­bikes.

Das komfortabelste Rad - Argon 18 KryptonFoto: Matthias BorchersDas komfortabelste Rad - Argon 18 Krypton

Alu oder Carbon, Komfort- oder Renngeome­trie, mechanische oder elektronische Schaltung, schmale oder breite ­Reifen, günstig oder ­teuer: Noch interpretieren die Hersteller die neue Kategorie ganz ­unterschiedlich. Die ­Testräder zwischen 1800 und 8900 Euro ­illustrieren die große Bandbreite.

Preis-Leistungs-Tipp, Giant Contend AR 1Foto: Matthias BorchersPreis-Leistungs-Tipp, Giant Contend AR 1

Die Allroadbikes im TOUR-Test

Wer gedacht hatte, der Kosmos der Räder mit gebogenem Lenker sei mit Crossrad, ­ Wettkampfrenner, Marathonrad und dem noch jungen Gravelbike jetzt dann mal voll besetzt, wird derzeit eines Besseren belehrt. Auftritt: das Allroadbike. Fast jeder große Hersteller hat inzwischen eines dieser Räder im Portfolio. Gemeinsam ist ihnen, dass sie in der Nische zwischen Marathonrad und Gravelbike angesiedelt sind – aber darüber hinaus interpretiert die Branche die neue Kategorie sehr unterschiedlich. Und die entscheidende Frage ist damit auch noch nicht beantwortet: Braucht’s das wirklich?

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Votec: Die Sattelklemmung ist mit dem Oberrohr verschraubt und kann samt der Stütze entnommen werdenFoto: HerstellerVotec: Die Sattelklemmung ist mit dem Oberrohr verschraubt und kann samt der Stütze entnommen werden

Es kommt wohl, wie so oft, auf die Perspek­tive an. Nimmt man die Bezeichnung wörtlich, sind Allroadbikes Räder für alle Straßen. Versteht man darunter auch solche, die nicht asphaltiert sind, dürfte dies das meistbefahrene Terrain jener Radler sein, die ­ihrem Straßenrenner bereits ein Gravelbike zur Seite gestellt haben oder es noch tun wollen. Doch seit viele Gravelbikes ihre Talente mehr und mehr ins Grobe verlegen und sich zu gelände- und gepäcktauglichen Abenteuermaschinen mausern, sind sie für den gemischten Asphalt- und Schotterpisten-­Job eher überqualifiziert.

Limitiert das Mögliche: Mechanische Rival-Gruppe mit einem Kettenblatt und Elffach-KassetteFoto: Matthias BorchersLimitiert das Mögliche: Mechanische Rival-Gruppe mit einem Kettenblatt und Elffach-Kassette

Für gekieste oder geschotterte Wald- und Feldwege wäre das ­einfachere, rennradähnlichere, gerne auch leichtere Rad eigentlich besser geeignet. Also: das ­Allroadbike. Kritiker dürfen einwenden, dass das alter Wein in neuen Schläuchen sei und Rennräder seit jeher auf solchen Reifen rollen. Doch gerade das macht unser Testfeld so spannend: Das Straßen-Rennrad, so wie es einst erfunden wurde, übertragen auf das Wissen und die Technologien von heute, es müsste doch genau so aussehen. Sieben ­Räder, die das Etikett ­Allroad tragen, haben wir eingeladen und getestet, ob sie dem ­Anspruch an die all­umfassende Straßen­kompetenz tatsächlich gerecht werden.

Allroadbikes im Test - Urahn aus den USA

Die Idee hinter dem Allroadbike ähnelt ­wieder deutlich mehr dem aus den USA stammenden Gravelroad-Bike, das mit entspannter Sitzposition, langem Radstand und Platz für breitere Reifen laufruhig und komfortabel ausgelegt war für die epischen Ritte über Amerikas allgegenwärtige Schotterstraßen. Es grenzte sich damit deutlich ab vom leichten und superwendigen Crossrad europäischer Abstammung, das vorzugsweise von wenigen Spezialisten in Querfeldeinrennen gefahren wurde.

Die Bremsleitungen laufen unter dem Vorbau ins Steuerrohr. Trotz der Teilinte­gration ist der Wartungsaufwand vertretbarFoto: Matthias BorchersDie Bremsleitungen laufen unter dem Vorbau ins Steuerrohr. Trotz der Teilinte­gration ist der Wartungsaufwand vertretbar

Inzwischen rollen viele Gravelbikes aber auf 40 (oder mehr) Millimeter breiten Reifen und betonen ihre Geländegängigkeit. Das ist für Fahrten über Asphalt, Kies und Schotter auf Straßen und Wegen möglicherweise dann doch etwas übermotorisiert. Für diesen ­Einsatzzweck bieten sich die neuen Allroadbikes an – wenn auch noch uneinheitlich im Erscheinungsbild. Die Interpretationen der Hersteller sind vielfältig und reichen vom straßenorientierten Allrounder bis hin zum ­geländegängigen Bikepacker. Koga etwa gibt dem Colmaro den Zusatz “Allroad” mit, ­bewirbt das Modell gleichzeitig aber als Gravelbike.

Mehr Einigkeit herrscht bei der Rahmen­geometrie. Die orientiert sich meist am Marathonrad, wodurch man vergleichsweise aufrecht und damit rücken- bzw. nackenschonend im Sattel sitzt. Ausreißer ist das ­Vitus Venon, auf dem man gestreckt wie auf einem Aero-Rennrad sitzen kann. Mit rund 1000 Millimetern Radstand rollen die Räder sicher geradeaus, in ­Kombination mit ­ einem extremen Nachlauf wie am Argon 18 oder Fara geradezu stoisch.

Unzählige Befestigungspunkte für Gepäck & Co., dennoch das leichteste Rahmen-Set im TestFoto: Matthias BorchersUnzählige Befestigungspunkte für Gepäck & Co., dennoch das leichteste Rahmen-Set im Test

Der eigentliche Mehrwert unserer Test­kandidaten ist jedoch die Möglichkeit, im Vergleich zum Rennrad breitere Reifen aufzuziehen. Klassische Räder für die Langstrecke, wie das neue Canyon Endurace, können inzwischen bis zu 35 Millimeter breite Reifen aufnehmen; Rahmen und ­Gabel der Allroadbikes lassen noch mehr Platz, durchschnittlich sind 38-Millimeter-Pneus möglich. Das Vitus könnte sogar mit 45-Millimeter-Schlappen bereift werden – seine Fahreigenschaften hätten dann aber kaum noch etwas mit einem straßenorientierten Allroadbike, geschweige denn einem Marathonrad gemeinsam.

Allroadbikes im Test - Die Reifen entscheiden

Ab Werk rollen die Bikes auf vergleichsweise schmalen Reifen, womit sie sich kaum vom Marathonrad abheben – oder die Ausrichtung auf Straßen und befestigte Wege dokumentieren, je nach Sichtweise. Gerade das Vitus, das auch ganz anders könnte, rollt auf “nur” 28 Millimeter breiten Michelin-Reifen heran. Die dicksten Pneus sind auf das Fara aufgezogen: Fast 37 Millimeter breit wölben sich die Panaracer-Reifen über die Carbonfelgen und vermitteln trotz des steifen Rahmens spürbaren Federkomfort.

Argon 18: Ins Unterrohr ist ein Staufach integriert. Dank Nylontasche klappert auch auf ruppigem Terrain nichtsFoto: Matthias BorchersArgon 18: Ins Unterrohr ist ein Staufach integriert. Dank Nylontasche klappert auch auf ruppigem Terrain nichts

Je nach gewählter Bereifung kann der spielerische Wechsel zwischen den Untergründen gelingen und damit viel Fahrspaß bringen. Jedoch: Reizt man die Extreme in Sachen Reifenbreite aus, hat das teils drastische Auswirkungen auf das Lenkverhalten, weil breite, voluminöse Reifen das Zusammenspiel der Winkel so beeinflussen, dass aus einem soliden Geradeausläufer ein nervös zu lenkendes Gefährt werden kann. Mit einer verstellbaren Achsaufnahme an der Gabel, über die beispielsweise das Rondo Ratt (TOUR 2/2023) verfügt, ließe sich das Problem entschärfen. Von den Testrädern besitzt aber keines diese Möglichkeit.

Grosses Einsatzspektrum

Über die Wahl der Reifen das eine Rad für (fast) alle Rennrad-Lebenslagen fit zu machen, ist trotzdem ein spannender ­Ansatz. Erfahrungsgemäß ist selbst das eigenwilligste Lenkverhalten nach kurzer Eingewöhnung kein Thema mehr. Dennoch sollte man sich gut überlegen, wie und auf welchem Untergrund man das ­Allroadbike vorwiegend nutzen möchte. ­Abstecher auf Schotterpisten sind mit jedem Modell drin – daneben veranschaulicht die Vielfalt der Testräder sehr schön die Bandbreite der Möglichkeiten.

Mit Anschraubpunkten für Taschen, Schutzbleche und sogar eine dynamobetriebene Lichtanlage lässt sich ein Rad wie das Ridley Grifn zu einem Pendler- oder Winterrad aufbauen. Fara, eine junge Marke aus Norwegen, übersät ihr Rahmen-Set förmlich mit Montageösen und lehnt es ­damit an ein abenteuertaugliches Gravelbike an. Weiterer Pluspunkt der Testräder ist ihr relativ simpler Aufbau: Durch außenliegende Sattelklemmen oder kluge Systemintegrationen hält sich der Wartungsaufwand meist in Grenzen, die Bikes lassen sich unkompliziert anpassen.

Ridley: Das einteilige Cockpit mit ausgestellten Lenker­enden vermittelt ein sicheres FahrgefühlFoto: Matthias BorchersRidley: Das einteilige Cockpit mit ausgestellten Lenker­enden vermittelt ein sicheres Fahrgefühl

Aus den Rahmenmaterialien Aluminium und Carbon ­resultieren große Gewichtsunterschiede. Das Fara wiegt als einziges knapp unter acht Kilo, da es trotz der vielen Montagepunkte auf einem relativ leichten Rahmen-Set aufbaut und mit exklusiven Anbauteilen wie der Funk-Schaltung SRAM Red punktet. Rund 1500 Gramm schwerer ist das Giant Contend AR1, das den Gewichtsnachteil mit einem fahrstabilen Alu-Rahmen sowie beeindruckendem Federkomfort wettmacht. In ­der Endabrechnung landet das straßenorientierte Giant hinter den Testsiegern Fara und Ridley auf einem Podiumsplatz – und kostet dabei weniger als ein Drittel.

Giant: Die Carbonstütze mit D-förmigem Querschnitt federt exzellentFoto: Matthias BorchersGiant: Die Carbonstütze mit D-förmigem Querschnitt federt exzellent

Noch steht die Entwicklung des Allroadbikes am Anfang, wohin sie letztlich steuert, muss sich zeigen. Man könnte aber die These wagen, dass Allroadbikes als ­eigenständige Kategorie möglicherweise gar nicht allzu lange existieren, sondern Impulse für eine moderne ­Interpretation des etwas in die Jahre gekommenen ­Marathonrenners geben. Wobei: Wie das vielseitige, ­robuste Rennrad heißt, mit dem man ohne Scheu auch mal eine Schotterpiste unter die Pneus nehmen kann, ist eigentlich nicht so wichtig, das darf sich die Industrie überlegen. Hauptsache, es gibt solche Räder.

Je nach Reifenwahl nehmen es Allroadbikes auch mit grobem Schotter aufFoto: Wolfgang PappJe nach Reifenwahl nehmen es Allroadbikes auch mit grobem Schotter auf

Allroadbikes im Test - Reifenkunde für Allroadbikes

Welcher Reifentyp ist empfehlenswert?

Bei kaum einem Produkt schreitet die Weiterentwicklung so schnell voran wie bei den Reifen. Das Standardmaß sind 28 Millimeter, aktuelle Marathonräder rollen auf 30 bzw. 32 Millimeter breiten Pneus. Auch Allroadbikes kommen serienmäßig mit vergleichbaren Dimensionen. Schon in dieser Breite federn die Gummis ausreichend, um Abstecher über Schotter- und Waldwege zu ermöglichen, besonders, wenn sie auf etwas breiteren Felgen montiert sind und ihr volles Volumen ausschöpfen.

Durch ausgestellte Gabelscheiden passen breite (Gravel-)ReifenFoto: Matthias BorchersDurch ausgestellte Gabelscheiden passen breite (Gravel-)Reifen

Eine sinnvolle Alternative sind Crossreifen. Mit 33 Millimetern und Stollenprofil federn sie gut und bieten mehr Grip. Wer das Allroadbike häufiger im Gelände als auf der Straße bewegt, kann entweder über ein Tubeless-Setup nachdenken oder die mitunter riesige Reifenfreiheit aktueller Modelle ausnutzen. Durchschnittlich passen in Allroad­bikes etwa 38 Millimeter breite Reifen, vereinzelt sind bis zu 45 Millimeter möglich – das bieten noch nicht einmal alle Gravelbikes.

Welche Nachteile bringen breitere Reifen?

Im Vergleich mit Straßenreifen sind Gravelpneus schwerer und machen die Lenkung träger. Bei schnellen Kurvenfahrten kann das im Extremfall zu einem undefinierten Abkippen des Rades führen. Außerdem nimmt der Luftwiderstand mit breiten Reifen zu.

Reifen mit Schulterstollen eignen sich für AllroadbikesFoto: Matthias BorchersReifen mit Schulterstollen eignen sich für Allroadbikes

Gibt es eine Faustformel für den Reifendruck?

Probieren Sie’s aus! Vor allem bei Geländefahrten sollte man sich trauen, den Reifendruck abzusenken. Schon 0,5 Bar weniger können einen großen Unterschied beim Federkomfort ausmachen, ohne dass der Rollwiderstand signifikant steigt. Für häufige Offroadfahrten ist deshalb ein Tubeless-Setup empfehlenswert, das bei gleichem Pannenschutz besser federt.

Allroadbikes im Test: Reifen wählt man fürs Übliche, nicht für die AusnahmeFoto: Matthias BorchersAllroadbikes im Test: Reifen wählt man fürs Übliche, nicht für die Ausnahme

Ohne oder mit Profil?

Wer ernsthaft im Gelände unterwegs ist und in schnellen Kurven nicht vom Gas gehen will, der kommt um einen Profilreifen nicht herum. Für gemischten Untergrund eignen sich Reifen, die eine glatte Lauffläche mit höheren Schulterstollen kombinieren.

Allroadbikes im Test - Die Ergebnisse im Überblick

Die Ergebnisse der Testräder im ÜberblickFoto: TOUR MagazinDie Ergebnisse der Testräder im Überblick

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