Fahrbericht E-RennräderRose Reveal und Scott Contessa unter Strom

Jürgen Löhle

 · 18.11.2023

Teufelszeug oder Segen der Technik? Am E-Rennrad scheiden sich die Radsport-Geister. Aber mitreden kann nur, wer’s ausprobiert – oder diesen Artikel liest.
Foto: Alexander Keppler/Sportfoto Baumann
Wie ist das so, das Fahren mit einem E-Rennrad, das man als solches kaum erkennt? Ein Feldversuch in vier Akten.

Push for Fun

Drei Worte, die locken: “Push for fun” steht da in kleinen, elegant geschwungenen Lettern. Bevor es zweideutig wird: Nein, es geht nicht um Drogeninjektionen oder Schweinkram. Die drei Worte stehen auf dem Oberrohr des Rennrades, davor ein kleiner, schwarzer Druckknopf und ein noch dunkles Display. Drückt man “Push for fun”, schaltet sich ein nahezu unsichtbar in der Hinterradnabe des Rose Reveal Plus versteckter Mahle-Elektromotor zu, der mit einem Drehmoment von bis zu 55 Newtonmetern die Berge flach machen soll. Heißt es. Und tatsächlich fängt jetzt die Straße nach acht Kilometern flachem Einrollen an zu steigen. Zunächst nur ganz leicht, dann aber so, dass das Tempo schnell unter die 25 km/h fällt, also in den Bereich, in dem der Motor hilft, wenn man ihn aktiviert. Jetzt wäre es also so weit, aber die Hand will nicht weg vom Lenker, da bremst was in meinem Kopf.

Mein Gott, hat man nicht jahrelang stolz den Pedalritter gegeben und sich mit einem spöttischen Lächeln über alle erhoben, die es sich mit elektrischem Rückenwind leichter machen wollen? Gut, ein E-Bike im Alltag ist ­geduldet und sogar okay, aber doch bitte nicht als Rennrad. Das ist eigentlich ein No-Go – und heute soll ich tatsächlich …!? “Push for fun” steht ­immer noch da und lockt, zumal der Puls mit der Straße stetig steigt. Der Schweinehund flüstert ölig lächelnd: “JA, TU ES”, die Neugier will auch – also gut, ich bin ja alleine, keiner sieht es.

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Strom läuft, Spannung steigt

Die rechte Hand löst sich noch ein wenig widerwillig vom Lenker, der Zeigefinger drückt den schwarzen Knopf. Und jetzt? Erst mal nichts, nur das bisher dunkle Mini-Display leuchtet weiß. Später werde ich lernen, dass dies “Stand-by” bedeutet, das Motörchen wartet jetzt auf mich. Noch ein Druck, aus Weiß wird Grün, ein leicht schleifendes Geräusch dringt von hinten ans Ohr, der Tritt wird bei gleicher Geschwindigkeit minimal leichter, eigentlich kaum spürbar. War es das schon? Noch mal drücken. Jetzt leuchtet es orange und das Rad wird schneller. Der Puls aber nicht. Okay, ganz nett, aber mal ehrlich, das könnte ich auch noch. Nicht besonders lange, aber doch.

Aber man kann ja noch mal drücken. Orange wechselt zu Lila, noch ein bisschen mehr Druck aufs Pedal – und jetzt macht das Rad gefühlt einen kleinen Sprung nach vorne. Alle Wetter, jetzt nagle ich den Anstieg, den ich in den vergangenen Jahrzehnten gefühlt ein paar Hundert Mal hochgestampft bin, mit einem mir völlig unbekannten Tempo hinauf. Der Tacho zeigt 22 km/h bei ungefähr 6,5 Prozent Steigung und ich bin noch am Leben. Das zaubert einem unwillkürlich ein Lächeln ins Gesicht. “Push for fun” – so ist es.

Klar schnaufe ich, aber es ist auch schon ein wenig Seligkeit dabei. So ein Tempo bergauf, du spürst den Wind im Gesicht – im Anstieg. Das ist schon schräg. Ich nehme ­einen Tritt raus, bis ich in etwa so schnell bin wie sonst in diesem Abschnitt. Ohne E-Antrieb bin ich da normalerweise etwa bei 80 Prozent meiner Leistungsfähigkeit, jetzt läuft es, zumindest in der Stufe Lila, wie von alleine. Der Atem beruhigt sich, der Puls sinkt. Irgendwie schon super – aber da meldet sich wieder der Sportler alter Schule. Rennradeln soll doch ein wenig wehtun, das gehört doch dazu. So mit dem Finger in der Nase bergauf, das ist doch nicht echt! Und dann die Konklusion: Hart treten und ein wenig leiden, das geht natürlich auch mit Motor. Wenn du einen Anstieg von sechs Prozent und mehr mit der maximalen Motorunterstützung, also mit 25 km/h, hochfahren willst, dann musst du auch, zumindest auf diesem Testrad, selbst in der höchsten Stufe ordentlich eigene Kraft dazugeben. Nur mit lockerem Beinedrehen läuft es kaum schneller als ohne Motor.

Aber eigentlich wird so ein E-Rennrad ja auch empfohlen, damit Paare oder Gruppen, die leistungsmäßig nicht mehr zueinander passen, wieder zusammen fahren können, ohne dass der eine sich langweilt, während der andere sich quält. Dabei kann man allerdings einiges erleben, womit man vorher nun wirklich nicht gerechnet hätte. Und das ist manchmal nur bedingt lustig. Wenn ich mit meiner Freundin auf einer normalen Samstagsausfahrt unterwegs bin, läuft das im Flachen sehr harmonisch. Geht es bergauf und mich überkommt die Lust auf ein engagiertes Training, ziehe ich mit steigendem Puls langsam, aber stetig davon.

Feldversuch Nummer Eins

Jetzt machen wir Feldversuch Nummer eins: ich auf meiner motorlosen, acht Kilo leichten Merida-Rennmaschine, meine Partnerin auf einem knapp zwölf Kilo schweren E-Renner von Scott mit dem hübschen Namen Contessa. Zunächst läuft es wie gewohnt, obwohl schon bei leichten Wellen mit vielleicht zehn Höhenmetern in meinem linken Augenwinkel immer wieder ihr Vorderrad auftaucht. Jetzt geht es in den Berg, und ich ziehe nicht mehr davon. Ich schnaube zwar wie ein Pferd, höre von hinten aber nichts dergleichen; plötzlich kommt mehr als das Vorderrad und sie fährt recht flott, lächelnd und ohne sichtbare Anstrengung vorbei. Sie warte oben, höre ich noch, dann ist die Lücke zu groß. Gut, das war in dieser Konstellation ja irgendwie zu erwarten.

Feldversuch Nummer Zwei: Aufs Gewicht kommt’s an

Überraschend dann aber Feldversuch zwei, also beide auf einem E-Rennrad. Ich habe jetzt wieder das knapp über 12,5 Kilo schwere Rose Reveal Plus unter mir. Das Teil hat den gleichen Nabenmotor wie das Scott. In der Ebene fällt uns zunächst nur auf, dass wir zwar wie gewohnt mit mehr als 25 km/h dahinsurren, also ohne Motorunterstützung, aber nicht so flott wie sonst auf unseren normalen Rennern. In Zahlen ist es nicht so exakt zu bestimmen, es ist eher ein Gefühl, dass die E-Bikes ohne Motor ein wenig träger sind.

Dann beginnt der Berg, wir schalten beide auf Vollschub (lila) und ich denke mir, dass es jetzt so kommt wie immer: dass ich mich jetzt, trotz Motor, ein wenig mehr anstrengen und davonziehen werde. Ich lege mich also ins Zeug, aber es geht keine Lücke auf. Himmel noch mal, was ist das denn? Und damit nicht genug. Auf einmal fährt die Frau vorbei. “Super, wie leicht das geht, so ganz ohne Anstrengung”, sagt sie. Wie? Ohne Anstrengung! Aber es stimmt, ich muss noch ein wenig mehr in die Pedale drücken, um mitzuhalten, und sie spürt nur ein leichtes Ziehen in den Oberschenkeln. Puls und Atmung bleiben aber ruhig. Ganz anders bei mir. Ich erlebe sozusagen die komplette Umkehr des motorlosen Zustands. Und das bei einem Tempo, das knapp doppelt so hoch ist wie ohne Motor. Also so um die 20 statt 10 km/h.

Tempo kostet Kraft: Egal ob mit Muskeln oder Motor: Wer schwerer ist, muss bergauf härter treten.Foto: Alexander Keppler/Sportfoto BaumannTempo kostet Kraft: Egal ob mit Muskeln oder Motor: Wer schwerer ist, muss bergauf härter treten.

Vielleicht liegt es schlicht daran, dass ich 17 Kilo schwerer bin und sich das erst bei höherem Tempo auswirkt? Wie auch immer, auf jeden Fall können wir jetzt am Berg zusammen fahren, das stimmt schon. Nur dass ich mich offenbar mehr mühen muss, was ich als Trainingseffekt positiv verbuche und mir vornehme, es mir künftig nicht mehr anmerken zu lassen. Nicht, dass die Dame noch versucht mich abzuhängen, da hätte der Spaß dann ein Loch. Was bleibt, ist die Frage – wie geht das? Ohne Motor bin ich am Berg stärker als sie, mit Motor sie zumindest nicht schwächer als ich und je steiler, desto unangenehmer wird es für mich. Verrückte E-Welt.

Dranbleiben! Nehmen die Steigungsprozente zu, muss das schwerere “System” auch mit E-Antrieb mehr Kraft fürs gleiche Tempo investieren.Foto: Alexander Keppler/Sportfoto BaumannDranbleiben! Nehmen die Steigungsprozente zu, muss das schwerere “System” auch mit E-Antrieb mehr Kraft fürs gleiche Tempo investieren.

Feldversuch Nummer drei: Mühe, dranzubleiben

Ich lasse mich auf einer bei vielen beliebten, welligen Rennradstrecke am Wochenende von einer kleinen Gruppe überholen. Wir grüßen freundlich, ich frage, wohin es gehen soll und hänge mich hinten rein. So wie sie mich überholt haben, dürften die Radler in der Gruppe ein wenig stärker sein als ich. Aber gut, da ist ja noch mein Motor, den die anderen offensichtlich nicht bemerken. Nur nützt der in dem Fall schlicht überhaupt nichts. Wie gesagt, es ist eher flach, nur ein paar Wellen. Trotzdem bleibt das Tempo die allermeiste Zeit über 25 km/h, und da sitze ich jetzt eben auf einem Bike, das schwerer ist als die der anderen, obwohl man das auf den ersten Blick so wenig sieht wie den Motor.

Limitiert: Über 25 km/h auf ebener Strecke wird’s mühsam – besonders, wenn starke Mitradler die Pace vorgeben.Foto: Alexander Keppler/Sportfoto BaumannLimitiert: Über 25 km/h auf ebener Strecke wird’s mühsam – besonders, wenn starke Mitradler die Pace vorgeben.

Ich habe echte Mühe dranzubleiben, kann mich immer nur ein paar Sekunden auf den kurzen Wellen ein wenig erholen, also dann, wenn der Motor gnädigerweise mitschiebt. Aber nach ein paar wenigen Kilometern wird mir klar, dass ich wohl so gut wie alles aus mir herausholen muss, um noch weitere zehn Kilometer in dem Tempo zu fahren. So weit ist es bis zum Fuß eines drei Kilometer langen Anstiegs mit etwas mehr als 220 Höhenmetern, den die Gruppe auf Nachfrage fahren will. Da hätte ich dann sicher Vorteile, aber ich werde sie zumindest heute nicht erleben, weil ich abreißen lassen muss. “Schickes Rad”, ruft mir einer zu. Ich nicke erschöpft, will dann noch gestehen, dass es nicht nur chic ist, sondern auch noch einen Elektromotor hat, aber sie sind schon zu weit weg.

Kleiner Einschub: Warum die Hersteller sich so viel ­Mühe dabei geben, Batterie, Motor und Konsole so gut wie möglich zu verstecken, erschließt sich mir nicht ganz. Wenn E, dann muss man auch die Traute haben, es ­zuzugeben. Aber klar ist auch – es sieht eben gut aus. Einschub beendet.

Feldversuch Nummer vier

Ein Treffen mit zwei Radkumpels, mit denen ich auch schon öfter auf Mallorca war – die beiden allerdings zwei Leistungsgruppen über mir. Der eine, Leichtgewicht Klaus, hat sich in seinen besten Zeiten auf der Insel nicht mal von trainierenden Profis abhängen lassen. Der andere, Manne, hat in diesem Jahr Ende Oktober 16.000 Kilometer auf der Uhr und die Kraft von zwei Ochsen. So ein Typ Sagan. Damit kann er auf welligen Runden km/h-Schnitte treten, die weit über dem Motorlimit liegen. Und natürlich auch über meinem. Mit ihnen erlebe ich in der Ebene Ähnliches wie mit der Gruppe aus der Zufallsbegegnung. Wenn sie gnädig sind und mit ­maximal 30 km/h rollen, komme ich im Windschatten mit. Wenn sie Ernst machen, also ihr Normaltempo treten, ist sehr schnell Schluss. Dafür müsste der Motor schon bis knapp 35 Sachen schieben.

Am Berg ist es anders: Normalerweise sehe ich die beiden nach der ersten Kehre nicht mehr, jetzt fahre ich mit mittlerer Anstrengung gut mit. Ein völlig unbekanntes Gefühl. Und als Bergkönig Klaus dann antritt, kann ich in der knapp siebenprozentigen Steigung kontern. Manne, ein paar Kilo schwerer als ich, lässt reißen. Ich muss zwar fast alles geben für das Tempo von Klaus, aber ich bleibe dran, was mir das letzte Mal vor 30 Jahren gelungen ist. Wir haben es nicht final aus­gefahren, dazu ist der Anstieg zu kurz, aber eines scheint sicher: Mit einem E-Renner überspringst du am Berg zwei, drei Leistungsklassen. Aber du musst dich richtig reinhauen, anders als bei einem Alltags-E-Bike, das oft schon bei leichtem Pedaldruck furios schiebt.

Letzter Versuch

Ich fahre alleine, eine Runde über 75 Kilometer, und spiele am Berg ein bisschen mit dem Motor. Muss nicht mal volle Power sein, die zweite Stufe reicht, um bösen Anstiegen ihr Gift zu rauben, und am Ende hast du den gleichen Trainingseffekt. Konkret: Du spürst die Beine und dass du etwas getan hast. Der Kraftaufwand ist der gleiche wie ohne Motor, nur den Berg rauf geht es deutlich schneller. Und das, sorry, ist einfach irre gut. Komplett umsteigen werde ich nicht, aber ab und zu ist das schon eine tolle Sache. Nur eines schafft auch das modernste E-Bike nicht – das leichte Gleiten in der Ebene; dieses wunderbare Gefühl habe ich auf dem 12,5 Kilo leichten E-Renner nicht so intensiv gespürt wie auf meinem Merida.

Diese Details sind uns aufgefallen:

Minimalistisch: Die Farbe der Anzeige in dem winzigen Display signalisiert den Grad der Motorunterstützung. Lila bedeutet "Vollstrom".
Foto: Alexander Keppler/Sportfoto Baumann

Unsere beiden E-Rennräder im Vergleich

Rose Reveal Plus 105

Rose Reveal Plus 105Foto: RoseRose Reveal Plus 105

Das E-Rennrad von Rose orientiert sich am gleichnamigen Marathon-Bestseller Reveal. Die Sitzposition fällt auf der elektrisch unterstützten Variante dabei etwas sportlicher aus als auf dem sehr aufrecht konstruierten Marathon-Modell. Außerdem gibt es nur fünf statt sieben Rahmengrößen, die deutlich gröber abgestuft sind. Angetrieben wird das Rad von einem Mahle-X20-Hinterradnabenmotor mit maximal 250 Watt Unterstützung und einer Akkukapazität von 250 Wattstunden. Die preiswertere von zwei erhältlichen Ausstattungsvarianten beinhaltet eine mechanische Elffach-105-Gruppe von Shimano mit robusten Aluminium-Laufrädern – ein preiswertes, zuverlässiges und langlebiges Set-up. Wer’s nobler mag, kann eine elektronische Ultegra Zwölffach-Schaltung mit Carbonlaufrädern ordern, sie liegt bei 6499 Euro. Alle Modelle kommen mit voluminösen 32-Millimeter-Reifen.

Scott Contessa Addict eRIDE 15

  • Preis: 6999 Euro
  • Gewicht*: 11,6 Kilo
Scott Contessa Addict eRIDE 15Foto: ScottScott Contessa Addict eRIDE 15

Bei den Größen verfolgt Scott eine ähnliche Strategie wie Rose, auch hier gibt es nur fünf (statt sieben) Rahmengrößen, wobei eine besonders große Größe fehlt. Wie Rose nutzt auch Scott den minimalistischen X20-Motor von Mahle, die Leistungsdaten sind identisch. Mit einer besseren Ausstattung ist das Scott etwas leichter, im Fahrerlebnis ist der größte Unterschied allerdings die elektronisch betätigte 105-Schaltung, die hier als neue Zwölffach-Variante verbaut ist. “Contessa” bezeichnet die Frauen-Linie bei Scott, unser Testrad ist nur eine von vier Ausstattungsvarianten des elektrisch unterstützten Addict. Sie kommt mit frauenspezifischem Sattel und schmalerem Lenker. Das günstigste Exemplar mit mechanischer 105-Schaltung kostet 5.999 Euro; das Top-Modell mit Ultegra Di2 liegt bei 7.499 Euro.

*jeweils ohne Pedale gewogen

Das rollt: Im Flachen läuft’s relativ locker, aber das höhere Radgewicht macht die Fahrt über 25 km/h etwas träge.Foto: Alexander Keppler/Sportfoto BaumannDas rollt: Im Flachen läuft’s relativ locker, aber das höhere Radgewicht macht die Fahrt über 25 km/h etwas träge.

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