Julian Schultz
· 12.02.2022
Der Tour-Sieger auf einem Aurum? Das ist die Vision von Alberto Contador, der zusammen mit Ivan Basso hinter der jungen Rennrad-Marke Aurum steckt. Ob beim Rennrad Magma der Einfluss der beiden Ex-Profis erkennbar ist, zeigt unser Test.
Die Tränen kann Alberto Contador gerade noch unterdrücken, doch ansonsten sprudeln die Emotionen nur so heraus aus dem Ex-Profi: „Si, si, siii“, grölt der Spanier immer wieder in sein Smartphone, mit dem er sich selbst filmt, und ballt die Siegerfaust. Auf TV-Bildern im Hintergrund ist zu erkennen, wie der italienische Radprofi Lorenzo Fortunato den steilen Anstieg hinauf zum Monte Zoncolan am schnellsten meistert und als Erster über die Ziellinie fährt. „Ein unbeschreibliches Gefühl“, schwärmt Contador im Rückblick. Denn Fortunato war bei dem Coup beim Giro d’Italia 2021 nicht auf irgendeinem Rad unterwegs, sondern auf jenem Magma, das Contador und sein ehemaliger Weggefährte Ivan Basso wenige Monate zuvor unter dem Firmennamen Aurum präsentiert hatten. „Es war die erste große Rundfahrt für unser Rad und eine der wichtigsten Etappen des vergangenen Giro: Das hat uns alle überwältigt“, erinnert sich Contador im Gespräch mit TOUR.
Acht Monate später ist dem mehrmaligen Grand-Tour-Sieger die Passion für sein neues Projekt immer noch anzumerken. Ohne Punkt und Komma erzählt der 38-Jährige über Aurum und das erste Rennrad-Modell Magma. Der sportliche Wettkampf-Allrounder sei „das Rad unserer Träume“, in das die beiden Ex-Profis (beide übrigens mit Dopingvergangenheit) ihre Expertise aus mehr als einem Jahrzehnt im Peloton einbrachten.
„Von außen betrachtet glaubt man vielleicht, dass man als Profi in die Entwicklung seines Rads involviert ist. Aber das war leider nicht der Fall. Das konnte ich nie verstehen“, berichtet Contador, der während seiner 2017 beendeten Karriere unter anderem auf Giant, Specialized und Trek unterwegs war: „Deshalb hatte ich schon damals die Idee, ein Rad ganz nach meinem Geschmack zu entwickeln.“
Nach zweijähriger Entwicklungszeit, vier Prototypen und rund 500.000 Testkilometern rollte das Magma schließlich im Herbst 2020 an den Start. Ganz nach den Vorstellungen von Basso und Contador, die selbst bei den Positionen der Flaschenhalter mitredeten. Die Handschrift der einstigen Kletterspezialisten ist tatsächlich unübersehbar: Die markanteste Kenngröße des Wettkampfboliden ist das geringe Gewicht, unser Testrad mit SRAM Red AXS und leichten Zipp-Laufrädern bringt lediglich 6,8 Kilogramm auf die Waage. Dabei profitiert das Magma allerdings vor allem von seinen leichten Schlauchreifen-Laufrädern, die andere Hersteller bei ihren Serienmodellen kaum noch einsetzen. Das 1.394 Gramm schwere Rahmen-Set wiegt ähnlich viel wie andere Wettkampf-Allrounder großer Hersteller wie Trek, Giant oder Canyon. „Mit dem Gewicht war ich eigentlich schon beim ersten Prototypen zufrieden. Doch bergab war das Magma zu unruhig, weshalb wir zugunsten der Balance noch etwas nach oben gingen“, verrät Contador.
Die TOUR-Testfahrten zeigen: Explosive Antritte und schnelle Abfahrten meistert das Aurum ohne Probleme. Das überaus steife Set-up bringt Sicherheit bei hohem Tempo. Der Federkomfort gehört in dieser Klasse dank runder Carbonsattelstütze und Schlauchreifen an unserem Testrad zum Besten.
Nur Bestwerte also für das selbst ernannte „Traumrad“? Nicht ganz. Insgesamt ist das Rad zweifellos ein Top-Produkt. Dennoch weist es kaum Alleinstellungsmerkmale auf und hebt sich letztlich weniger von etablierten Wettkampfmodellen ab, als sich das Duo Contador/Basso das wohl vorgestellt hat. So hat auch das Magma wie andere Wettkampf-Allrounder (siehe Test in TOUR 12/21)aerodynamisch Nachteile: 231 Watt Widerstand für 45 km/h markieren bei der Windkanal-Messung nur einen durchschnittlichen Wert.
Preislich mischt das Erstmodell dafür gleich in der Oberklasse mit. Die Kompletträder kosten zwischen 7.499 Euro und 12.679 Euro, man kann Gruppen von Shimano oder SRAM, verschiedene Laufräder und Lenker-Vorbau-Einheiten wählen. Das Rahmen-Set gibt’s für 4.099 Euro. Im Juni soll die Plattform um ein etwas preisgünstigeres Modell erweitert werden. Zudem ist ein Gravelbike in Planung. Doch über allem steht für Contador die erfolgreiche Zukunft des Magma. „Es ist kein Projekt für drei, vier Jahre. Wir denken langfristig. Und über allem steht das Ziel, eines Tages die Tour de France zu gewinnen“, kündigt der Ex-Profi vollmundig an. Spätestens dann dürfte er seine Tränen nicht mehr zurückhalten können.
+ sehr leichtes Rahmen-Set, fahrstabil, komfortabel
- Ausstattung mit alten Shimano-Gruppen, mäßige Aero-Performance
Alle Einzelnoten des Aurum Magma gibt´s im TOUR-Heft 1/22.