Als Michael Woods im Vorjahr am legendären Puy de Dôme seinen ersten Etappensieg bei der Tour de France feierte, stiehl der Kanadier den Hauptprotagonisten Jonas Vingegaard (damals noch Jumbo Visma) und Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) die Show. 4:19:41 Stunden benötigte der Profi des zweitklassigen Teams Israel-Premier Tech für das knapp 182 Kilometer lange Teilstück mit dem bis zu 18 Prozent steilen Schlussanstieg. Woods’ Arbeitsgerät: das Ostro VAM von Factor. Ein Race-Allrounder, der im Portfolio der britisch-taiwanesischen Marke zwischen dem Aero-Spezialisten One und dem Leichtbaumodell O2 angesiedelt ist.
Doch was hat Woods’ damalige Materialwahl mit dem neuen Modell des Ostro zu tun? Glaubt man der Simulation von Factor eine Menge, schließlich würde Woods mit der zweiten Generation des Wettkampf-Allrounders nochmal 2:21 Minuten schneller sein als bei seinem Tagessieg im vergangenen Sommer. Als Gründe führt Factor eine verbesserte Aerodynamik und ein geringeres Gewicht gegenüber dem Vorgänger an. “Gleiche Fahrcharakteristik, bessere Performance - das war unser Ziel”, sagt Chefingenieur Graham Shrive, der vor seinem Wechsel zu Factor bei Cervélo unter anderem die Entwicklung des Aero-Boliden S5 leitete.
Die verbesserte Performance ist vor allem an der Aero-Leistung festzumachen. Laut Herstellerangabe ist das neue Ostro VAM sieben Watt schneller als der Vorgänger. Absolute Zahlen nannte Factor rund um die Vorstellung nicht, ein Testrad für einen TOUR-Windkanaltest war vorerst nicht verfügbar. Zum Vergleich: Die aktuell schnellsten Race-Allrounder stellen Cannondale mit dem SuperSix Evo (207 Watt) und Van Rysel mit dem RCR (207 Watt).
Das Ostro VAM profitiert aerodynamisch von der Aufhebung der 3:1-Regel seitens der UCI, die bis Ende 2020 die Abmessung der Rohrquerschnitte streng reglementierte. Das Aero-Tuning hält sich aber in Grenzen, auf flächige Rahmenformen wird verzichtet. “Die Konkurrenz hat in unseren Augen ziemlich hässliche Räder, die zwar im Windkanal gut abschneiden, aber wir wollten das nicht”, sagt Shrive mit einem Augenzwinkern. Sitzrohr und Sattelstütze sind etwas in die Länge gezogen, laut Factor ist die Carbonstütze 36 Prozent schmaler als beim alten Modell. Zudem sollen die filigranen Gabelscheiden und das Steuerrohr im Sanduhr-Design dem Fahrtwind weniger Angriffsfläche bieten.
Neue Vollcarbon-Laufräder der Eigenmarke Black Inc. runden das Konzept ab. Der Satz mit unterschiedlichen Felgenhöhen (vorne: 48 Millimeter, hinten: 58 Millimeter) ist für 28-Millimeter-Reifen optimiert, soll speziell bei Seitenwind seine Stärken haben und per Segeleffekt mehr Vortrieb erzeugen als ein Cervélo S5 oder Specialized Tarmac SL8. Diese beiden Räder nutzte Factor laut eigener Angaben für Vergleichstests im Windkanal. Die Entwicklungsabteilung reagierte damit auf einen Kritikpunkt der Profis um Woods, die die Seitenwindanfälligkeit der alten Black-Inc.-Laufräder moniert hatten.
Positiver Nebeneffekt des 1270 Gramm leichten Laufradsatzes mit Messerspeichen: Sie sollen um 219 Gramm leichter als die Black Inc. 45 sein und damit maßgeblich zur Gewichtsreduzierung des Komplettrads beitragen. Das Rahmen-Set in Größe 54 wiegt 1283 Gramm, wobei der Rahmen um 45 Gramm leichter als beim Vorgänger ausfällt. Je nach Antrieb seien damit Kompletträder um das UCI-Gewichtslimit von 6,8 Kilogramm realisierbar.
Obwohl das sogenannte Launch Book zum Ostro VAM 34 Seiten dick ist, macht Factor darin keine Angaben zur Geometrie. Shrives Aussage zur gleichbleibenden Fahrcharakteristik lässt zumindest darauf hindeuten, dass sich an den Abmessungen wenig ändert. Bei der ersten Generation ergab sich ein STR-Quotient von 1,44. Damit grenzt sich der Wettkampf-Allrounder klar vom O2 VAM ab, das mit seiner aufrechten Sitzposition (STR: 1,57) auch als Marathonmodell durchgehen würde.
Die Preisangaben finden sich dagegen schon in der Pressemappe - und die haben es wie bei vielen, aktuellen Profirädern leider in sich. Demnach kostet die “günstigste” Variante mit Shimano Ultegra bereits 8849 Euro. Die Top-Version mit SRAM Red AXS und Powermeter ist für 11049 gelistet. Varianten mit mechanischen Antrieben gibt es nicht bzw. sind im Selbstaufbau möglich. Das Rahmen-Set wird für 5799 Euro angeboten, inklusive der Laufräder von Black Inc. werden 8599 Euro fällig.
Interessantes Detail: Während Factor zur Vorstellung alle drei Farbvarianten und die Ausstattungsvarianten mit Ultegra Di2, Dura-Ace Di2 und Force AXS zeigt, fehlt ein Produktbild mit der Top-Gruppe von SRAM. Dadurch verdichten sich die Anzeichen, dass der Komponentenspezialist aus den USA kurz vor einem Update der Red AXS steht. Zu Jahresbeginn kursierten auf X, ehemals Twitter, bereits erste Bilder der mutmaßlich neuen Schaltgruppe.