Französische Rennräder im TestWas haben Frankreichs Marken zu bieten?

Julian Schultz

 · 20.08.2023

Was haben Frankreichs Marken heute zu bieten?
Foto: Skyshot/Greber
Die französische Fahrradindustrie war über Jahrzehnte das Maß der Dinge. Der Mut für neue Materialien und innovative Ideen zeichnete Rennräder aus unserem Nachbarland aus – und belohnte deren Hersteller mit großen Erfolgen im Profi-Peloton. Was haben Frankreichs Marken heute zu bieten? Wir werfen einen Blick auf spannende Modelle von Decathlon, Lapierre, Look und Time.

Französische Rennräder im Test

Die französische Radsportnation hat es nicht leicht. Denn auch bei der 110. Auflage der Tour de France kam von vornherein kein Franzose für den Gesamtsieg infrage. Die Durststrecke der Franzosen ist damit auf 38 Jahre gewachsen. So lange ist es inzwischen her, dass Bernard Hinault als bisher letzter französischer Fahrer das Gelbe Trikot nach Paris trug. Pardon, la France!

Für die stolze Nation, mit Abstand die erfolgreichste bei der Tour und beim Grand Depart in Bilbao mit den meisten Teams am Start, entspricht das nicht im Ansatz dem eigenen Selbstverständnis. Vorbei sind die Zeiten, in denen Fahrer und Teams aus Frankreich die Schlagzeilen während des dreiwöchigen Spektakels bestimmten.

Traurige Premiere: Der Tour-Erfolg von Greg LeMond (links) 1986 gegen Bernard Hinault ist gleichbedeutend mit dem letzten Erfolg eines französischen Fahrradherstellers. Das KG 86 von Look war das erste Siegerrad mit CarbonrahmenFoto: WittersTraurige Premiere: Der Tour-Erfolg von Greg LeMond (links) 1986 gegen Bernard Hinault ist gleichbedeutend mit dem letzten Erfolg eines französischen Fahrradherstellers. Das KG 86 von Look war das erste Siegerrad mit Carbonrahmen

Eine Entwicklung, die sich auch am Material der Profis ablesen lässt: Denn nicht nur in den Siegerlisten ist die Trikolore inzwischen außen vor, auch bei den gesponserten Profirädern wurden die französischen Hersteller überholt. Zwar ist mit Lapierre (Groupama-FDJ) und Look (Cofidis) in diesem Jahr erstmals seit 2017 wieder mehr als eine Marke aus Frankreich als Rad-Ausrüster dabei, die meisten Mannschaften jagen jedoch auf Renngeräten aus den USA (5), Italien (4) oder Deutschland (3) nach Paris.

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Französische Rennräder im Test - Erster Carbonrahmen von TVT

Noch um die Jahrtausendwende zeigte sich ein gegensätzliches Bild (siehe Grafik unten). Fast das halbe Fahrerfeld saß auf Boliden “Manufacture en France”. Darunter so traditionsreiche Marken wie Cyfac oder Gitane, die im 21. Jahrhundert nur noch Nostalgiker kennen. Auch Peugeot, nach Pinarello immerhin die erfolgreichste Marke bei der Frankreich-Rundfahrt, ist längst von der Tour-Landkarte verschwunden und fokussiert sich auf motorisierte Velos.

Dabei hatte die französische Rennrad-Industrie in den 80er- und 90er-Jahren noch eine Vorreiterrolle inne: TVT präsentierte 1983 den ersten Serien-Carbonrahmen, Hersteller wie Look oder Vitus – damals noch in französischem Besitz – zogen schnell nach und verklebten Rohre aus dem Verbundwerkstoff in Alu-Muffen. Fortan machte sich Look nicht nur mit revolutionären Klickpedalen einen Namen, sondern stellte mit dem von Greg LeMond pilotierten KG 86 auch das erste Tour-­Siegerrad aus dem Carbon-Alu-Mix – gleichzeitig der letzte Triumph eines französischen Herstellers bei der Großen Schleife.

Kurz darauf verblüffte das 1951 gegründete Unternehmen die Radsport-Welt mit dem KG 196, das erstmals in Monocoque-Bauweise gefertigt wurde und mit einem aero-optimierten Rahmen zur Ikone wurde. Der Wechsel vom Alu- zum Carbonrahmen im Peloton war spätestens damit eingeläutet.

Innovationstreiber

Zum Start der ersten Carbonrennräder entsteht neben Look mit Time eine weitere Marke, die ebenfalls ihre Anfänge im Pedalgeschäft hat und sich in den 1990er-Jahren durch Pioniergeist im Rahmenbau hervortut. Mit einem speziellen, bis heute angewandten Fertigungsverfahren gelingt es dem 1987 gegründeten Hersteller, Carbonrahmen in hoher, gleichbleibender Qualität zu produzieren. Da der Prozess aufwendig ist – unter anderem durch selbst produzierte Negativformen – und weil Rahmen-Sets aus Fernost peu à peu besser und billiger werden, verliert das bei Lyon beheimatete Unternehmen in den Nuller-Jahren allerdings den Anschluss.

Das Time ADHXFoto: Matthias BorchersDas Time ADHX

Die Folge: Bei der wichtigsten Materialschau in Frankreich findet sich Time seit mehr als zehn Jahren in der Zuschauerrolle wieder. Mit einer neuen Carbonfabrik in den USA will das Unternehmen, dessen Rad- wie Pedal-Sparte in US-Besitz ist, nun wieder auf die Weltkarte des Radsports zurück.

Ganz so hart traf es Look nicht. Seit der Jahrtausendwende konnte die Marke aus Nevers, die 2016 vom französischen Investor Activa Capital übernommen wurde und eine Produktion in Taiwan und Tunesien unterhält, ihre Top-Renner mit wenigen Ausnahmen bei der Tour präsentieren.

Das Look 795 Blade RSFoto: Matthias BorchersDas Look 795 Blade RS

Als Konstante unter den französischen Herstellern entpuppte sich in jüngerer Vergangenheit jedoch Lapierre. Seit 2002 stattet das Unternehmen, das heute zur Accell Group aus den Niederlanden gehört, die Groupama-FDJ-Equipe und deren Vorgängerteams mit Rädern aus. Trotz der mehr als 75-jährigen Historie legte Lapierre vergleichsweise spät den Fokus auf Räder mit schmalen Reifen. Während die Konkurrenz mit ersten Rahmen aus Kohlefaser experimentierte, partizipierte man am MTB-Boom und reifte zu einem der größten Hersteller für Offroad-­Bikes. Das erste Fahrrad mit Carbonrahmen verließ erst 2003 das Werk in Dijon.

Das Lapierre Xelius SL 10.0Foto: HerstellerDas Lapierre Xelius SL 10.0

Decathlon im Profi-Peloton?

Noch jünger ist die Firmengeschichte von Van Rysel – der Aufstieg vielleicht sogar steiler. Die Eigenmarke von Decathlon, dem größten Sportartikelhändler der Welt, wurde erst 2018 aus der Taufe gehoben. Sie hat aber mit einer Produktoffensive im Frühjahr aufhorchen lassen und Spekulationen befeuert, im kommenden Jahr vor der “Rückkehr” bei der Tour de France zu stehen. Zwar stattete das junge Unternehmen mit Sitz in Lille bislang noch kein Profi-Team aus, jedoch war der Mutterkonzern Decathlon zwischen 2000 und 2007 in der World-­Tour als Rad-­Sponsor bei AG2R und Cofidis aktiv.

Laut französischen Medienberichten soll AG2R kommende Saison von BMC zu Van Rysel wechseln. Auf Nachfrage wollte man sich bei Decathlon nicht konkret dazu äußern. “Als Radmarke willst du natürlich bei den wichtigsten Rennen dabei sein. Und wenn wir zurückkehren, wollen wir um Siege mitfahren”, so ein Unternehmenssprecher. Man habe sich mit mehreren Teams getroffen, mehr sei aber noch nicht spruchreif.

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In unserem Test zeigt sich jedenfalls, dass sich Van Rysel mit dem brandneuen Wettkampfrad im Peloton nicht verstecken bräuchte. Stellvertretend für die einst ruhmreiche Fahr­radindustrie aus Frankreich unterzogen wir zudem einen Aero-Boliden von Look, das aktuelle Profi-Modell von Lapierre und ein Gravelbike von Time unserem TOUR-Test.

Zahl der Profi-Teams auf Rennrädern französischer Hersteller

Um die Jahrtausendwende dominierten französische Fahrradhersteller das Peloton bei der Tour de France. 2001 waren gleich neun Teams mit Rädern von Cyfac, Gitane, Look, MBK und Time unterwegs. Mehr als zwei Jahrzehnte später fahren nur noch zwei Teams französisches MaterialUm die Jahrtausendwende dominierten französische Fahrradhersteller das Peloton bei der Tour de France. 2001 waren gleich neun Teams mit Rädern von Cyfac, Gitane, Look, MBK und Time unterwegs. Mehr als zwei Jahrzehnte später fahren nur noch zwei Teams französisches Material

Französische Rennräder im Test - Die Einzeltests


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