Nach seiner Rennpremiere beim Critérium du Dauphiné und dem öffentlichkeitswirksamen Auftritt bei der Tour de France ist das neue Cervélo S5 inzwischen offiziell im Handel. Der Bolide versteht sich als konsequente Weiterentwicklung eines der ohnehin schon schnellsten Wettkampfräder der Welt. Doch wie schnell ist das Update? Und hat der Fahrradbauer mit ausgewiesener Aero-Expertise an den Kritikpunkten des Vorgängers gearbeitet? TOUR ging diesen Fragen in Labor, Windkanal und Praxis nach. Optisch fallen die Neuerungen am S5 vergleichsweise behutsam aus.
Cervélo wollte laut eigener Aussage „ein bereits tolles Bike nicht vermasseln“. Das Rahmen-Set greift das flächige „Flunder-Design“ des alten Modells auf. Das Steuerrohr fällt weiter extrem tief aus und reizt wie vergleichbare Aero-Spezialisten das UCI-Reglement aus. Die etwas schärfer gezeichnete Gabel sitzt auch beim neuen Rad wieder vor dem Lenkkopf; eines der Markenzeichen des S5 griff zuletzt auch Konkurrent Colnago beim neuen Y1Rs auf. Stilbildend bleibt die markante Lenker-Vorbau-Einheit mit geteiltem Vorbau. Die Konstruktion soll Luftverwirbelungen reduzieren, so Cervélo. Der Ausrüster der Teams Visma-Lease a Bike um die Tour-Siegerin Pauline Ferrand-Prévot und den Tour-Zweiten Jonas Vingegaard betont dabei, dass das Cockpit namens HB19 den angekündigten Regeländerungen des Radsportweltverbands entspreche. Die Pläne der UCI sehen vor, dass die Lenkerbreite ab der neuen Saison mindestens 400 Millimeter an den Außenkanten betragen soll, zwischen den Griffhöckern dürfe der Abstand nicht kleiner als 320 Millimeter sein. Außerdem soll künftig die Höhe von Carbonfelgen begrenzt und Übersetzungen am schnellen Ende limitiert werden. Die Modifikationen sollen Radrennen langsamer machen und dadurch das Sturzrisiko senken.
Die bei Herstellern umstrittenen, da vergleichsweise kurzfristig angekündigten Regeländerungen sind allerdings noch Zukunftsmusik. Spannender ist die Frage der Aero-Performance des S5, das seit Jahren einen Spitzenplatz unter den schnellsten Serienrädern im TOUR-Test verteidigt. Daran ändert sich auch mit der neuen Generation nichts. Die 204 Watt, die das Cervélo zur Überwindung des eigenen Luftwiderstands bei 45 km/h benötigt, sind weiterhin ein erstklassiges Resultat, das aktuell nur wenige Rennmaschinen erreichen oder unterbieten. Neben den strömungsoptimierten Rohrformen begünstigt der neu entwickelte Laufradsatz von Reserve, das ebenfalls unter dem Dach der niederländischen Pon-Gruppe organisiert ist, die Top-Aerodynamik. Das Ergebnis liegt gleichauf mit unserem schnellen Referenzlaufradsatz (Zipp 404; Bj. 2018).
Die Carbonfelgen messen erstmals 57 (vorne) und 64 Millimeter (hinten). Dabei ist der Querschnitt der vorderen Felge tendenziell etwas bauchiger, die hintere etwas schmaler und asymmetrisch. Reserve ist davon überzeugt, auf diese Weise die Turbulenzen der anströmenden Luft besser bändigen zu können. Das Ergebnis aus dem GST-Windkanal heißt jedoch auch, dass sich das aktuelle S5 gegenüber dem Vorgänger (202 Watt) nicht verbessert hat; den aerodynamischen Fortschritt von rund sechs Watt, den Cervélo angibt, können wir nicht bestätigen. Die starke Leistung soll das allerdings nicht schmälern. In der World-Tour ist uns aktuell nur ein schnellerer Bolide bekannt: Das Van Rysel RCR-F Pro glänzte mit dem Fabelwert von 200 Watt. Spezialisten wie das Colnago Y1Rs, das Tadej Pogačar auf dem Weg zu seinem dritten Tour-Sieg fuhr, sowie das Canyon Aeroad CFR liegen mit dem S5 exakt gleichauf. In der aktuellen TOUR-Bestenliste sind mit dem Storck Aerfast.5 (198 Watt), Simplon Pride II (199 Watt) und Scott Foil RC (203 Watt) nur drei weitere Räder vor dem Cervélo platziert.
Die Windschlüpfigkeit macht sich im Sattel bemerkbar, indem das S5 ohne viel Aufhebens eine hohe Grundgeschwindigkeit anschlägt und die für viele Hobbysportler magische Grenze von 30 km/h fast spielerisch hält. Hochprozentiges in Form von steilen Rampen bekommt man jedoch unmittelbar in den Beinen zu spüren. Zwar konnte Cervélo das Gesamtgewicht vor allem dank eines 100 Gramm leichteren Cockpits etwas senken, mit 7,5 Kilogramm erzielt das Rad in dieser Disziplin, wie auch das Vorgängermodell, aber einen durchschnittlichen Wert. Die genannten Aero-Konkurrenten sind fast durchweg leichter, speziell zu Scott (6,9 Kilogramm) oder Canyon (7,1 Kilogramm) lässt das Cervélo eine relevante Lücke.
Neben dem vergleichsweise hohen Gewicht bleibt das neue S5 auch beim Komfort auf dem Niveau des Vorgängermodells. Zwar erzielt das Rad auf dem Komfortprüfstand einen etwas besseren Messwert, aber die flächige Sattelstütze bleibt mit gemessenen 3 Millimetern „Federweg“ bei einer Sitzhöhe von 750 Millimetern extrem unnachgiebig. Bei etwas weiter ausgezogener Sattelstütze und mit abgesenktem Reifendruck äußerten unsere Tester jedoch wenig Beschwerden. Terrain mit grobem Kopfsteinpflaster oder gar Schotterwege, wie sie inzwischen von dem einen oder anderen Race-Allrounder unter die Reifen genommen werden können, sind mit dem S5 dagegen nicht empfehlenswert oder erfordern einen Reifenwechsel. Mit Platz für maximal 34 Millimeter breite Pneus haben die Ingenieure Spielraum geschaffen, um den beinharten Untersatz in gewissem Rahmen für schlechte Straßen und Wege rüsten zu können. Der schnelle Corsa Pro von Vittoria, der schon auf glattem Asphalt eine versierte Hand am Lenker verlangt, wäre dafür ohnehin nicht der geeignete Reifen.
Der Gesamteindruck wird geprägt von der Erkenntnis, dass Cervélo seiner Philosophie treu bleibt und beim S5 weiter voll – und erfolgreich – auf die Karte Aerodynamik setzt. Die früheren Schwächen bei den Steifigkeitswerten gehören mit der aktuellen Generation der Vergangenheit an; bei Gewicht und Komfort kann die einschlägige Konkurrenz aber leicht davonziehen. So verpasst die kanadische Rennflunder, ähnlich wie zuletzt Colnagos Y1Rs, den Einzug in den Club der Einser-Absolventen im TOUR-Test. Angesichts des Designs und prominenter Werbeträger wie Vingegaard und Ferrand-Prévot wird das Cervélo dennoch das Interesse auf sich ziehen. Was die Preisgestaltung angeht, gehört das S5 jedenfalls unzweifelhaft zum Top-Club. Bereits den Basisversionen mit Shimanos Ultegra Di2 bzw. SRAM Force AXS hängen die Kanadier ein fünfstelliges Preisschild um; das Testrad mit Dura-Ace Di2 kostet wie die Version mit Red AXS 14.000 Euro. Ungewöhnlich ist das Modell mit Red AXS XPLR und 1x13-Übersetzung (50, 10-46 Zähne). Als Reminiszenz an den Giro-Sieg 2023 von Primož Roglič ist es etwas leichter, bei minimal besserer Aerodynamik. Mangels Berggang ist das Einsatzspektrum allerdings eng.