Der Start in die aktuelle Rennsaison ließ sich für EF Education EasyPost sensationell gut an. Das US-Team, das 2022 lange Zeit gegen den Abstieg aus der World Tour gekämpft hatte, fuhr binnen weniger Wochen mehr Siege ein als im gesamten vergangenen Jahr. Bei den Frühjahrsklassikern und der Tour de France konnten die “Pink Panther” diesen Trend zwar nicht mehr nachhalten; dennoch präsentiert sich die Equipe um den Deutschen Jonas Rutsch in den vergangenen Monaten wie ausgewechselt.
Das Erfolgsgeheimnis? Laut Rutsch liege es neben einer klaren Rollenverteilung im Team vor allem am Material: dem neuen SuperSix Evo von Cannondale. “Es ist definitiv das beste Straßenrad von Cannondale, auf dem ich bislang gesessen bin”, sagt der Klassikerspezialist, der auf dem Renner als Teil einer Spitzengruppe lange die Flandern-Rundfahrt prägte. TOUR stellte das Renngerät von Cannondale in der Ausstattung als Hi-Mod 2 im Windkanal, Labor und Fahrbetrieb auf die Probe.
Wie der Vorgänger ist auch die vierte Ausbaustufe des SuperSix als Wettkampf-Allrounder konzipiert, der verschiedene Terrains unter die Reifen nimmt und bei EF Education-EasyPost als Hauptarbeitsgerät zum Einsatz kommt. Das neue ist allerdings um eine Rennklasse schneller als das alte Modell. 12 Watt muss der Fahrer bei einer Anströmgeschwindigkeit von 45 km/h weniger leisten, um den Luftwiderstand des Rades zu überwinden.
Mit 207 Watt zählt das SuperSix damit zu den schnellsten Serienrädern der Welt und schafft den Anschluss zu Spezialisten wie dem Scott Foil oder Stevens Arcalis. Selbst Cannondales SystemSix, vor vier Jahren mit 203 Watt noch der schnellste Aero-Bolide im TOUR-Test, liegt in Reichweite.
Optisch grenzt sich das SuperSix klar von den Aero-Flundern ab und kommt mit einem moderat optimierten Rahmen-Set, das zu den leichtesten auf dem Markt zählt. Speziell das Sitzrohr mit stromlinienförmigem Querschnitt und die grazile Carbonsattelstütze sind sehr markant. Außerdem verlaufen die Leitungen nun erstmals teilweise integriert.
Beim Gesamtgewicht fällt das Hi-Mod 2 hingegen etwas ab. Sowohl der Antrieb mit Shimanos Ultegra Di2 als auch der vergleichsweise schwere Laufradsatz der Eigenmarke Hollowgram machen sich auf der Waage bemerkbar.
Wirklich kritikwürdig ist das nicht, im Gegenteil. Auf der Straße präsentiert sich das Cannondale als agiler Flitzer, auf dem sich relativ mühelos Höhenmeter sammeln lassen und in der Ebene ordentlich geballert werden kann. Großer Pluspunkt ist wie beim Vorgänger der beeindruckende Komfort, eine Co-Produktion der gut federnden Aero-Stütze und des Sitzrohrs, das Richtung Tretlager schlanker wird. Mit bis zu 30 Millimeter breiten Reifen ließe sich das SuperSix zudem noch besser für Rüttelpisten wappnen. Abgerundet wird der komfortable Fahreindruck durch die für ein Wettkampfrad relativ aufrechte Sitzposition.
Damit läuft das SuperSix dem SystemSix den Rang ab. Bei Gewicht und Komfort lässt die Neuheit den Aero-Boliden aus demselben Stall klar hinter sich, bei den aerodynamischen Qualitäten trennen beide Modelle nur noch Nuancen. Der Leichtbau offenbart jedoch eine Schwachstelle: die Steifigkeitswerte. Speziell die Gabel schneidet auf dem TOUR-Prüfstand nur durchschnittlich ab und verformt sich bei seitlicher Krafteinwirkung vergleichsweise stark.
Leichte Rennfahrer werden davon nichts merken und das SuperSix auch bei hohem Tempo punktgenau in die Kurve legen können, schwerere Piloten dürften sich jedoch eine etwas fahrstabilere Basis wünschen – sofern der Renner überhaupt zum Budget passt.
Zwar bietet Cannondale drei Qualitätsstufen an, die sich um bis zu 160 Gramm bei Rahmengewicht und Ausstattungen unterscheiden. Eine wirklich günstige Variante findet sich allerdings nicht. Bereits die Basisversionen mit 930 Gramm schwerem Carbonrahmen und Ultegra Di2 oder SRAM Force AXS kosten fast 7000 Euro; für das von uns getestete Hi-Mod 2 mit Lenker-Vorbau-Einheit werden 9000 Euro fällig.
Extrem fällt der Preissprung zu den beiden Top-Modellen aus, die deutlich über 10000 Euro liegen und mit einem einteiligen Carbon-Cockpit ausgestattet sind, das in Kooperation mit dem italienischen Motorsport-Spezialisten Momo Design entwickelt wurde. Die Profi-Variante namens Lab71, eine neue Premiummarke des US-Herstellers, basiert laut Cannondale auf einem 770 Gramm leichten Rahmen – im Peloton ein neuer Bestwert. Oder wie Rutsch sagen würde: “Das beste Straßenrad von Cannondale.”
>> Das Cannondale SuperSix Evo bekommt eine TOUR-Gesamtnote von 1,7
*Gewogene Gewichte.
**Herstellerangabe Testgröße fett.
***Stack/Reach projiziertes senkrechtes/waagerechtes Maß von Mitte Tretlager bis Oberkante Steuerrohr;
STR (Stack to Reach) 1,36 bedeutet eine sehr gestreckte, 1,60 eine aufrechte Sitzposition.
****Laufradgewichte inklusive Bereifung, Kassette, Schnellspanner/Steckachsen und ggf. Bremsscheiben.
*****Einzelnoten, die unterschiedlich gewichtet in die Gesamtnote einfließen, drucken wir aus Platzgründen nur zum Teil ab. Die Noten werden bis zur Endnote mit allen Nachkommastellen gerechnet; zur besseren Übersichtlichkeit geben wir aber alle Noten mit gerundeter Nachkommastelle an.
******Aerodynamik theoretisch benötigte Tretleistung, um den Luftwiderstand bei 45 km/h zu überwinden, gemessen im Windkanal mit einem tretenden Beindummy.