Keine Frage: Die meisten Boliden unseres Vergleichstests sehen echt klasse aus – wie die Renngeräte der Radprofis im Fernsehen. Aerodynamische Formen an Rahmen und Gabel, imposante Laufräder mit hohen Felgen, integrierte Cockpits und elektrische Schaltgruppen: Auf den ersten Blick stehen die Rennmaschinen um 5000 Euro den jeweiligen Top-Versionen, die nicht selten mehr als das Doppelte kosten, in nichts nach. Da müsste das Rennfahrer-Herz doch lachen – zumal bei denen, die für ein aerodynamisch optimiertes Wettkampfrad kein Vermögen ausgeben wollen. Erst recht, wenn die Inflation auf die Kauflaune drückt und man sich notgedrungen in Verzicht übt.
Die Gretchenfrage: Spiegelt sich die optische Verwandtschaft auch in der technischen Qualität wider? Können die – relativ – preiswerten Kandidaten bei Aerodynamik und Gewicht, den beiden wichtigsten Disziplinen eines Racers, mit den Spitzenkräften mithalten? Oder sollte man von den preiswerten Kandidaten im Wettkampfsegment besser die Finger lassen und für eine hochwertigere Ausstattungsvariante sparen?
Unser Vergleich von aktuellen Modellen zwischen 4300 und 5600 Euro zeigt, dass ein pauschales Urteil kaum möglich ist. Neben Gattung und Preis qualifizierten sich die Kandidaten durch den Aufbau mit Carbonlaufrädern für diesen Test. Neun Hersteller, von Benotti bis Storck, erfüllten die Anforderungen. Marken wie Cannondale oder Radon hatten im Testzeitraum kein fahrbares Modell verfügbar, Orbea scheute den Vergleich mit der Konkurrenz. Mehr nennenswerte Alternativen um 5000 Euro, so die bittere Wahrheit, gibt es aktuell nicht.
Die Wettkampfräder im Vergleich verbindet Aero-Optimierung, Carbonlaufräder und Preise um 5000 Euro. Angesichts dessen erwartet man ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den TOUR-Testsieg. Doch schon im Windkanal zeichnete sich ab, dass sich die Räder deutlich unterscheiden. Im Labor und Sattel bestätigte sich der Eindruck: Fast eine ganze Notenstufe trennt den Testsieger vom Schlusslicht.
Schnellstes Rad: Storck Aerfast.4 Comp
Leichtestes Rad: Benotti Fuoco Aero SL
Obwohl wir die Klammer traditionell eng gefasst haben, ergeben unsere Tests in Labor, Windkanal und Praxis teils eklatante Qualitätsunterschiede. Allein bei der Aerodynamik, die in der Bewertung ein Viertel der TOUR-Note ausmacht, klafft zwischen dem schnellsten und langsamsten Modell eine Riesenlücke. Wo Aero draufsteht, ist nicht immer Aero drin. In Zahlen: Das Storck als Spitzenreiter in dieser Disziplin benötigt eine um 27 Watt geringere Tretleistung als das Focus, um den Luftwiderstand bei 45 km/h zu überwinden. Klarer kann ein Wettbewerbsnachteil kaum sein. Zur Ehrenrettung des Izalco Max ist anzumerken, dass das Aerfast.4 eine Sonderrolle einnimmt und alle Register bei der Aero-Optimierung zieht.
Einzig Canyon stößt mit dem Aeroad in ähnliche Dimensionen vor. Die meisten Kandidaten fahren dem schnellen Duo der beiden Direktvertreiber hinterher, verlieren es aber nicht komplett aus den Augen und erreichen mit einer Performance zwischen 210 und 217 Watt durchaus das Niveau von teureren Aero-Spezialisten. Um das Potenzial des Rahmensets zu erkennen, mussten alle Kandidaten standardmäßig mit unserem schnellen Referenz-Laufradsatz auf die Messbühne im GST-Windkanal (siehe Grafik unten).
Größere Rohrquerschnitte und flächige Bauteile treiben bei den Aero-optimierten Spezialisten per se das Gewicht nach oben. Aktuell bekommen nur wenige, extrem teure Modelle den Spagat zwischen Speed und Leichtbau hin. Die Testkandidaten sind davon relativ weit entfernt, mit durchschnittlich knapp über acht Kilogramm bewegen sie sich mehrere Hundert Gramm über dem Niveau der leichtesten Aero-Konkurrenz. Immerhin steht bei Benotti, Cube und Stevens eine Sieben vor dem Komma; Corratec und Giant sind sogar schwerer als manches Gravelbike. Das CCT Team des Fahrradbauers aus Raubling zeigt zudem als einziges Rad Schwächen bei den Steifigkeitswerten.
Weitere Erkenntnis: Schwere Laufräder ergeben schwere Kompletträder. Vergleicht man die Gewichte der Testkandidaten ohne die Laufräder, rücken sie enger zusammen und verweisen auf den naheliegenden Tuning-Tipp. Beim Federkomfort zeigt sich ebenfalls Licht und Schatten – obwohl in allen Modellen eine Sattelstütze aus Kohlefaser steckt. Am besten reagieren Canyon, Cube, Corratec und Focus auf Unebenheiten. Deren Stützen sind entweder relativ filigran gestaltet, wodurch sie bei der Aero-Performance Punkte liegen lassen, oder sie sind weit aus dem Rahmen herausgezogen, womit sich ein großer Federweg ergibt. Richtig komfortabel ist allerdings keines der Räder, was auch daran liegt, dass Lenker, Vorbauten und Gabeln kaum nachgeben. Am Storck Aerfast.4 weicht die flächige Aero-Stütze unter der Prüflast von 80 Kilogramm lediglich um drei Millimeter aus; ähnlich bei Sensa und Stevens.
Im GST-Windkanal stellt das Storck erneut seine Klasse unter Beweis, mit 204 Watt düpiert das Aerfast.4 selbst teures Profimaterial. Um die Leistung der Rahmen-Sets einordnen zu können, haben wir alle Kandidaten neben dem Original- auch mit unserem Referenz-Laufradsatz gemessen. Von den schnellen Zipp 404 (Bj. 2018) profitieren fast alle Räder, die größte Verbesserung schafft das Sensa. Die Chassis von Storck, Canyon, Cube und Benotti bilden bereits mit Serienlaufrädern schnelle Kombinationen.
Der Testsieg geht damit weder an das schnellste (Storck) noch an das leichteste Rad (Benotti), sondern mit dem Cube an ein Modell, das in allen Disziplinen gut abschneidet und das beste Gesamtpaket liefert. Mit der TOUR-Note 1,9 würde sich das Litening Aero auch gegen teurere Wettkampfräder durchsetzen. Damit zeigt es eindrucksvoll, dass man in der Preisklasse ein renntaugliches Sportgerät bekommen kann. Die preiswerten Varianten von Corratec, Focus und Sensa sind dagegen für ambitionierte Rennfahrer nur bedingt empfehlenswert, da sie in den wichtigsten Kriterien messbar in Rückstand geraten und in der Endabrechnung fast eine ganze Note schlechter abschneiden als der Testsieger.
Rot sind die Teilnoten ab 4,0. So sehen Sie, welche Räder wegen schwächerer Einzelnoten für Sie nicht infrage kommen.
*LL = lebenslang, CR = Crash Replacement, RA = Rennausschluss