Red Bull-Bora-HansgroheHungrig nach mehr Erfolg

Tom Mustroph

 · 31.10.2024

Vuelta a Espana: Red Bull-Bora-Hansgrohe ist hungrig nach mehr Erfolg
Foto: Getty Images; Tim de Waele
Primoz Roglic macht den Erfolg komplett: Alle drei großen Landesrundfahrten in diesem Jahr wurden von Rennfahrern aus Slowenien gewonnen. Und sein Rennstall Red Bull-Bora-Hansgrohe hat sich endgültig als Grand-Tour-Equipe etabliert.

Am Ende noch einmal: das große Zittern. Ein Magen-Darm-Virus fegte durch die Eingeweide von Rennfahrern und Betreuern des Rennstalls Red Bull-Bora-Hansgrohe. Zwei Fahrer gaben auf der vorletzten Etappe auf, Road Captain Nico Denz verpasste das Zeitlimit. “Das war schon brenzlig”, räumte Teamchef Ralph Denk ein. “Eine Mitarbeiterin von uns war im Krankenhaus. Die Ärzte dort haben das intensiv untersucht. Eine Lebensmittelvergiftung können wir mittlerweile ausschließen. Es war ein starker Magen-Darm-Virus, der sich von den Mitarbeitern zu den Rennfahrern übertrug.”

Red Bull-Bora-Hansgrohe: Gesamtsieg trotz Magen-Darm-Virus

Das hatte dramatische Auswirkungen. “Wir hatten plötzlich keine Leute mehr, die die Fahrzeuge von Nordspanien nach Madrid fahren konnten und auch keine Leute mehr für Extraverpflegung. Es war ein sehr intensives Wochenende”, erklärte Denk. Glück im Unglück: Das Virus schlug erst zum Ende der Rundfahrt zu und die beiden Protagonisten Primoz Roglic und Florian Lipowitz kamen mit vergleichsweise milden Symptomen davon. Roglic selbst gab nach der 20. Etappe bekannt, etwa 20-mal die Toilette aufgesucht zu haben. Seine Leistung im Zeitfahren am Folgetag dürfte der Infekt ebenfalls beeinträchtigt haben.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Vuelta-Matadore: Die 16. Etappe mit Ziel bei den Lagos de Covadonga war geprägt vom Kampf der Besten, bergab wie bergauf.Foto: Getty Images; Tim de WaeleVuelta-Matadore: Die 16. Etappe mit Ziel bei den Lagos de Covadonga war geprägt vom Kampf der Besten, bergab wie bergauf.

Bei seinen vorangegangenen Gesamtsiegen bei Giro und Vuelta hatte er das letzte Zeitfahren stets gewonnen. Jetzt in Madrid musste er dem Schweizer Stefan Küng den Vortritt lassen. Seine Rivalen im Gesamtklassement beherrschte er dennoch. Auf den Zweitplatzierten Ben O’Connor fuhr er 34 Sekunden heraus, auf den Drittplatzierten Enric Mas mehr als eine Minute. Der Slowene wirkte danach vor allem erleichtert. “Je näher du dem Ende kommst, desto lieber willst du die Sache auch abschließen”, sagte er.

Natürlich war er hocherfreut über seinen vierten Vuelta-Sieg. Auch an einen fünften mochte er schon denken, um alleiniger Rekordhalter zu werden. Mehr noch als seine individuelle Bilanz schien ihn aber die Tatsache zu berühren, das Nationen-Triple vollendet zu haben. Rennfahrer aus Slowenien haben in dieser Saison alle drei Grand Tours gewonnen. “Ja, ich bin sprachlos. Wer hätte das zuvor von unserer kleinen Nation gedacht?”, meinte er.

Starker Helfer: Florian Lipowitz zieht seinen Chef am Cuitu Negru auf der 15. Etappe.Foto: Getty Images / Luis GomezStarker Helfer: Florian Lipowitz zieht seinen Chef am Cuitu Negru auf der 15. Etappe.

Drei Grand Tours, drei mal Slowenien

In der Tat ist so etwas in der Radsportgeschichte bisher sehr selten vorgekommen. 1964 gelangen Jacques Anquetil bei Giro und Tour und seinem ewigen Rivalen Raymond Poulidor bei der Vuelta das Triple für Frankreich, 2008 Alberto Contador (Giro und Vuelta) und Carlos Sastre (Tour) das Gleiche für Spanien und 2018 brauchten die Briten drei Mann dafür: Chris Froome (Giro), Geraint Thomas (Tour) und Simon Yates (Vuelta). Das demonstriert die Ausnahmestellung Sloweniens in unserer Zeit.

Roglic wie Tadej Pogacar hatten Giro, Tour und Vuelta fest im Griff, auf je unterschiedliche Art. Während der jüngere Slowene auf totale Dominanz setzte, früh das Führungstrikot holte und es über fast die komplette Renndauer auch nicht abgab, wählte der ältere Roglic den Energiesparmodus. Ja, er holte es sich auch früh, bei der Hitzeschlacht auf der vierten Etappe am Pico Villuercas. Zwei Tage später aber gab er es wieder ab und eroberte es erst drei Tage vor Rundfahrtende zurück – ebenfalls mit einen Bergetappensieg, dieses Mal am Alto de Moncalvillo.

Vorstoß: Auf der ebenso heißen wie schweren Etappe zum Pico Villuercas erobert Primoz Roglic als Tagessieger knapp vor Lennert van Eetvelt das Rote Trikot des Gesamtführenden. Sein Team verteidigt das Trikot in den folgenden Tagen jedoch nicht.Foto: dpa / pa / RothVorstoß: Auf der ebenso heißen wie schweren Etappe zum Pico Villuercas erobert Primoz Roglic als Tagessieger knapp vor Lennert van Eetvelt das Rote Trikot des Gesamtführenden. Sein Team verteidigt das Trikot in den folgenden Tagen jedoch nicht.

Red Bull-Bora-Hansgrohe: Defensive Teamtaktik bringt Gesamtsieg

Teamchef Denk sah darin eine rationale Herangehensweise: “Uns fehlt ein Stück weit die Erfahrung und auf der einen oder anderen Position auch die Manpower im Vergleich zu anderen Teams. Deswegen waren wir froh, dass wir viele Tage das Rote Trikot nicht hatten und relativ defensiv fahren konnten.” Die wohl kritischste Situation für das Unternehmen Rot – neben dem Magen-Darm-Virus – wollte Denk übrigens eher positiv bewertet sehen.

Sein Team fing sich in der Szene viel Kritik ein, weil es auf der sechsten Etappe den Australier Ben O’Connor aus einer Spitzengruppe mehr als sechs Minuten Vorsprung herausfahren ließ. “Es war der Plan, dass wir das Trikot abgeben wollen. Aber es hat schon eine Portion Mut dazu gehört, der Gruppe sechs Minuten zu geben. Viele hätten sich vielleicht bei drei oder vier Minuten wohler gefühlt. Aber ich war nicht nervös. Wir haben viel Kraft gespart”, bilanzierte Denk.

Schlussoffensive: Am letzten Anstieg der 19. Etappe zum Alto de Moncalvillo eroberte Roglic die Gesamtführung zurück.Foto: Red Bull Content Pool / Kristof RamonSchlussoffensive: Am letzten Anstieg der 19. Etappe zum Alto de Moncalvillo eroberte Roglic die Gesamtführung zurück.

Viel Freiraum für Ausreißer

Die Methode “Kontrollverzicht” färbte auch auf O’Connors Team Decathlon ab, die sich nicht mit aller Kraft für den Verbleib des Roten Trikots auf den Schultern des Australiers einsetzten. Deshalb geriet diese Vuelta zum Fest für Ausreißer. Gleich neunmal kam ein Etappensieger aus einer Fluchtgruppe. Den Vogel schoss dabei das spanische Wildcard-Team Kern Pharma mit drei Tagessiegen ab.

Danny van der Tuuk, polnisch-niederländischer Profi bei Kern Pharma, machte den Erfolg seiner Teamkollegen genau daran fest: “Wir fahren oft in Spitzengruppen, aber diese Spitzengruppen schaffen es nicht bis ins Ziel. Und so bekommen wir keine Ergebnisse. Bei dieser Vuelta sah man, dass Decathlon und Red Bull-Bora-Hansgrohe viel weniger Kontrolle haben als etwa das Team Jumbo-Visma der letzten Jahre. Eine Ausreißergruppe schafft es also häufiger ins Ziel.” Für den deutsch-österreichischen Rennstall stellt der Vuelta-Sieg eine Bestätigung des eingeschlagenen Wegs dar.

Starke Ausreißer: Pablo Castrillo, einer der erfolgreichen Angreifer aus dem Team Kern Pharma.Foto: Getty Images / Dario BelingheriStarke Ausreißer: Pablo Castrillo, einer der erfolgreichen Angreifer aus dem Team Kern Pharma.

Red Bull-Bora-Hansgrohe will zukünftig noch mehr Erfolg

Die Transformation von einem vornehmlich auf den endschnellen Weltmeister Peter Sagan orientierten Team zu einer Rundfahrt-Equipe ging für Denk sogar schneller als erhofft vonstatten. “Unsere Wege haben sich 2021 getrennt. Innerhalb von drei Jahren haben wir zwei Grand Tours gewonnen. Das ist gut. Aber der Hunger auf mehr ist auch da”, meinte er. Von der Vuelta mitnehmen kann er, dass das Team funktioniert; die Helfer wissen, was Kapitän Roglic braucht.

Motivierend war auch, dass der Slowene von Anfang an klarmachte, dass er um den Sieg kämpft. Bei der Tour war das noch anders. “Bei Etappe zwei in Bologna hat er 20 Sekunden drauf gekriegt. Da haben wir gesehen: okay, es wird ganz schwierig. So etwas überträgt sich auf eine Mannschaft und das kann man nur bedingt von außen steuern. Bei der Vuelta war die Mannschaft aber von Tag eins an selbstbewusst, dass Primoz gewinnen kann. Dementsprechend waren die Leistungen”, erklärt Denk. Früh die Ambitionen klarzumachen, ist also nicht nur ein Zeichen an die Konkurrenz, sondern auch eine Stimulanz nach innen ins Team. Das beherrschen zwei slowenische Rennfahrer aktuell besonders gut.

Starkes Team: Trotz Magen-Darm-Virus holte das Team um Manager Ralph Denk (Mitte) den zweiten Sieg bei einer Grand Tour.Foto: Getty Images / Dario BelingheriStarkes Team: Trotz Magen-Darm-Virus holte das Team um Manager Ralph Denk (Mitte) den zweiten Sieg bei einer Grand Tour.


Steile Rampen, große Hitze

Die Vuelta a Espana war die härteste der drei Grand Tours dieser Saison. Insgesamt 59.934 Höhenmeter mussten überwunden werden; bei der Tour de France waren es 53.103 Höhenmeter, der fürs Pogacar-Double entschärfte Giro d’Italia forderte gar “nur” 45.907 Höhenmeter. Zusätzlich verschärfte das Wetter mit Temperaturen um 40 Grad Celsius vor allem in der ersten Woche die Rundfahrt.

“Wir haben versucht, die Fahrer so gut wie möglich zu kühlen, mit Eiswesten, Eisgels, Eiswasser und gekühlten Getränken”, beschrieb Marc Reef vom Team Visma | Lease a Bike des Vorjahressiegers Sepp Kuss die Anstrengungen. “Aber es ist trotzdem schwierig, mit solchen Umständen klarzukommen. Du fühlst dich bei 40 Grad nicht gut auf dem Rad. Du musst vor allem aufpassen, dass du es nicht übertreibst. Jede Anstrengung zu viel bezahlst du bitter”, meinte er. Das führte seiner Beobachtung nach zur Zurückhaltung vor allem bei den Favoriten. Felix Gall, Helfer des Zweitplatzierten Ben O’Connor, bemerkte das am eigenen Leib. “Das geschieht nicht einmal bewusst. In der Hitze reguliert der Körper einfach die Leistung herunter”, sagte der Österreicher.

Denk: “Bei Hitzeetappen über 40 Grad ist nichts mehr nachhaltig.”

In der zweiten Woche sah er “ein ganz anderes Rennen mit mehr Attacken und höherem Tempo”. Einige Athleten wie etwa Kuss oder der ebenfalls mit Ambitionen aufs Gesamtklassement gestartete Brite Adam Yates (UAE Team Emirates) kamen mit der Hitze gar nicht klar. Der frühere Skispringer Roglic hingegen erwies sich regelrecht als Eismann; er nutzte die in der Kombination aus Profil und Temperaturen wohl anstrengendste Etappe überhaupt am Pico de Villuercas zu Tagessieg und erster Übernahme des Roten Trikots. Sein Teamchef Ralph Denk äußerte sich kritisch über die Bedingungen.

“Ich würde sagen, dass das fast ein Stück des Guten zu viel war. Ich würde dafür plädieren, entweder ein bisschen mehr im Norden zu fahren oder die Vuelta etwas später zu starten. Jeder, der bei 40 Grad Rennen gefahren ist, weiß, wie das schlaucht.” Auch im Sinne der Nachhaltigkeit sollte man Denk zufolge auf Hitzerennen tunlichst verzichten: “Wir haben am Tag 250 Flaschen gebraucht. Die müssen erst mal befüllt und dann an den Mann gebracht werden. Das kostet viele Ressourcen. Nach den Etappen brauchst du eine mega Kühlstrategie, um die überhitzten Körper zu regenerieren. Jeder spricht über Nachhaltigkeit im Radsport. Aber bei Hitzeetappen über 40 Grad ist nichts mehr nachhaltig.”


Ergebnisse der Vuelta a Espana 2024

Meistgelesen in der Rubrik Profi - Radsport