Tour de FranceMaterialstrategien der Teams

Jens Klötzer

 · 25.06.2024

Tour de France: Materialstrategien der TeamsFoto: Getty Images/Tim de Waele
Ein Team, zwei Räder: Wout van Aert (vorne) auf dem Cervélo S5, Jonas Vingegaard (dahinter) auf dem leichteren R5.
Manche Teams nutzen bei der Tour de France ein Rennrad für alle Etappen, andere haben zwei oder sogar drei Modelle zur Wahl. Was steckt hinter den Team-Strategien? Ergeben sich sportliche Vorteile?

Welches Material eher Erfolg verspricht, haben wir schon vielfach in Windkanaltests untersucht und mittels Simulationen berechnet, das Ergebnis ist eindeutig: Aerodynamische Räder sind in den allermeisten Situationen die schnellere Wahl. Im Sprint, auf der Flucht, im welligen Gelände und bergab sowieso. Der Luftwiderstand ist der Hauptgegner des Rennradfahrers, weshalb im Wettkampf ja auch der Windschatten überragende Bedeutung besitzt. Bergauf wird das Gewicht wichtiger – ab einer gewissen Steigung. Weil die Profis sogar in Anstiegen aerodynamisch relevante Geschwindigkeiten erreichen, zählt auch da der Luftwiderstand, jedenfalls ein bisschen. Erst ab neun Prozent Steigung spielen aerodynamische Details des Rades für Rennfahrer keine Rolle mehr.

Tour de France: Welches Rennrad passt für welchen Einsatz?

Im Rennen treten aber viele unterschiedliche Situationen auf, und es hängt an der Rolle des Fahrers, welches Rad für welchen Einsatz das bessere ist. Ein Helfer, dessen Aufgabe darin besteht, im ersten Teil einer Bergetappe Tempo zu machen, mag bewusst ein aerodynamisches Rad wählen, während der Kapitän auf ein Leichtrad setzt, weil er mit einer späten Entscheidung am Berg rechnet. Läuft alles nach Plan, stimmen diese Überlegungen. Nimmt das Rennen aber einen anderen Verlauf, wird der Kapitän zum Beispiel früh isoliert und muss bergab oder im Tal Tempo fahren; kann sich das leichtere aber aerodynamisch schlechtere Rad auch als Nachteil erweisen.



Aerodynamik vor Gewicht

Specialized propagiert wegen der Unvorhersehbarkeit des Rennens die Ein-Rad-Strategie: Das Tarmac SL 8 erreicht das Gewichtslimit und lässt gegenüber den schnellsten Aero-Boliden nur sieben Watt liegen. Das ist ein sehr guter Kompromiss für Klassementfahrer; nur in zugespitzten Situationen wo Aerodynamik sticht sind die Spezialisten schneller. Neben der Technik gibt es aber noch die wirtschaftliche Komponente: Eine schlanke Logistik und geringere Kosten sind für die meisten Teams auch relevant. Das Team dsm-firmenich PostNL nutzt deshalb beispielsweise ausschließlich das Aero-Modell Foil von Scott. Das leichtere Addict worauf das Team ebenfalls Zugriff hätte bleibt zu Hause.

Wie relevant sind die technischen Details für den sportlichen Ausgang? Nicht sehr; aber das Rad kann das Zünglein an der Waage sein – insbesondere für den Etappensieg weniger für die Gesamtwertung. In einem Fotofinish-Sprint geht es um Hundertstel-Sekunden; da kann das Rad den Ausschlag geben. Die größten Unterschiede ergeben sich bei längeren Fluchten: Auf einem 80-Kilometer-Solo kann sich der Aero-Vorteil auf mehrere Minuten summieren.

Die Bedeutung des Gewichts wird eher überschätzt: 500 Gramm mehr bedeuten bei Steigungen von neun Prozent einen Rückstand von rund einer Sekunde (oder sechs Meter) pro Kilometer wenn die Kapitäne Vollgas fahren. Da Attacken meist spät erfolgen und viele Anstiege nur kurze steile Passagen aufweisen ist der rechnerische Vorsprung durch das Leichtrad deutlich geringer als es das Gefühl vermittelt.

Newsletter - TOUR Tech-Briefing

TOUR analysiert zur Tour de France das Material der Teams und gibt exklusiv eine Einschätzung zu Rädern und Equipment ab – zu jeder Etappe und den wichtigsten Streckenabschnitten. Erhalten Sie exklusiv den TOUR Newsletter bereits am Vorabend jeder Etappe.

TOUR bei der Tour de France: Exklusiver Liveblog

Meistgelesen in der Rubrik Profi - Radsport