Die erste Bergetappe der Tour geht über 123,7 Kilometer und 2475 Höhenmeter. Der zentrale Anstieg auf den Col du Béal ist lang, aber nicht steil. Im Schnitt beträgt die Steigung 5,6 Prozent. Das heißt, dass das Bergauftempo bei flotter Fahrt bei rund 25 km/h liegen wird. Das ist so schnell, dass der Windschatten eine relevante Rolle spielt. Rund 50 Watt sind in führender Position dann erforderlich, nur um den Luftwiderstand zu überwinden. Weht zusätzlich noch Wind, kann es auch mehr sein. Am Hinterrad lässt sich daher einiges an Energie sparen.
Entsprechend ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass das Gesamtklassement groß verändert wird. Da die Zeitabstände insgesamt gering und die Etappen kurz sind, werden Ausreißerinnen aber auch nicht viel Auslauf bekommen. Um den Etappensieg fahren daher eventuell auch die Favoritinnen auf den Gesamtsieg mit.
Die Grundausrichtung der GC-Fahrerinnen wird aber vermutlich defensiv sein: bloß keine Zeit verlieren, wird die Devise sein.
Der zentrale Anstieg ist lang, aber nicht steil. Hier wird voraussichtlich keine Favoritin zur Attacke blasen.
Da die Anstiege nicht besonders steil sind und das Rennen schnell sein wird, ist auch auf dieser Bergetappe Aero-Equipment das Mittel der Wahl. Für Ausreißerinnen ist es besonders essenziell, jedes Korn zu sparen, das sich sparen lässt. Wer allein oder in einer kleinen Gruppe bestehen will, muss alles tun, um so leicht wie möglich durch den Wind zu gehen. Von der Bekleidung bis zum Rad sollte alles optimal auf Speed getrimmt sein. Aero-Bekleidung – von der Zeitfahrsocke über Aero-Handschuhe und den Aero-Anzug bis zum Aero-Helm – das volle Programm. Aero-Laufräder, Aero-Reifen und eine frisch gewachste Kette sind weitere Zutaten, um die Fahrwiderstände zu minimieren. Bei den Reifen können Ausreißerinnen ins Risiko gehen und Zeitfahrreifen wählen. Die haben einen schlechteren Pannenschutz, sparen aber nochmal 2-3 Watt.
Für die Fahrerinnen im Gesamtklassement sieht die Sache ähnlich aus – bis auf die Reifen. Bei defensiver Ausrichtung würden wir den besseren Pannenschutz eines normalen Reifens höher gewichten als die kleine Einsparung, die der Zeitfahrreifen bietet. Denn eine Panne zur falschen Zeit, kann zu Rückstand im Gesamtklassement führen, hat demnach spürbarere Auswirkungen.
Ein weitere Reifenoption, die auch den Rollwiderstand erhöht, sind Regenreifen. Schwalbe Regenreifen wurden von den Redakteuren im Paddock schon ausgemacht. Ist die Wetterprognose schlecht, können Reifen, die mehr Vertrauen spenden, die Sicherheit in Abfahrten erhöhen – interessant sowohl für Fahrerinnen, die ein Problem mit Abfahrten haben als auch für solche, die gezielt bergab attackieren. Von unseren Reifentests wissen wir, dass die Gummis sich am Limit sehr verschieden anfühlen können.
Im heutigen Etappenfinale sieht die letzte Abfahrt Richtung Ziel aber nicht sonderlich kompliziert aus. Falls eine Attacke gelingt, geht das auch eher über die Tretpower und die Aerodynamik. Die Simulation des Tages dreht sich um die letzte Abfahrt. Wie viel Zeit ist hier über die Räder rauszuholen?
In unserer Simulation holt das schnellste Bike gegenüber dem langsamsten einen Vorsprung von 21 Sekunden auf 12,1 Kilometern raus. Die Radtechnik spielt in der Attacke bergab also eine Rolle.
Die Tabelle zeigt die simulierten Fahrzeiten für die finalen 12,1 Kilometer, die überwiegend bergab führen. Vorne liegen – wenig überraschend – aerodynamische Bikes. Etwas Übergewicht hilft sogar. Das Canyon Aeroad überholt das Cervélo S5 um 0,2 s wegen etwas mehr antreibender Masse.
*) Die Berechnungen beruhen auf den von TOUR in Labor und Windkanal getesteten Rädern. Die Maschinen bei der Tour de France können in Details davon abweichen. Auch Last-Minute-Prototypen konnten wir natürlich noch nicht untersuchen. Hintergründe zur Simulation.
Robert Kühnen ist studierter Maschinenbauer, schreibt für TOUR über Technik- und Trainingsthemen und entwickelt Prüfmethoden. Die Simulationsrechnungen verfeinert Robert seit Jahren, sie werden auch von Profi-Teams genutzt.