Die 11. Etappe der Tour de France 2024 war an Spektakel kaum zu überbieten. Mehr als 30 Kilometer vor dem Ziel versuchte Tadej Pogacar (UAE Team Emirates) auf dem 211 Kilometer langen Teilstück zwischen Evaux-les-Bains und Le Lioran durch das Zentralmassiv, Jonas Vingegaard (Visma | Lease a Bike) entscheidend abzuhängen. Zwar konnte der Mann im Gelben Trikot den Dänen zwischenzeitlich distanzieren, doch Vingegaard bewies Moral, kämpfte sich zurück und besiegte Pogacar hauchdünn im Zielsprint.
Paroli bieten konnte den beiden Doppelsiegern der Tour de France bei ihrem Zweikampf keiner der Konkurrenten. Remco Evenepoel (Soudal - Quick Step) erreichte das Ziel als Tagesdritter mit 25 Sekunden Rückstand und verteidigte damit seinen zweiten Gesamtrang vor Vingegaard um acht Sekunden.
Der Zeitfahr-Weltmeister bildete lange gemeinsam mit Primoz Roglic (Red Bull-Bora-Hansgrohe) ein Verfolgerduo. Der Kapitän des Raublinger Rennstalls stürzte in der letzten Abfahrt kurz vor dem Ziel, wurde aber ob der Drei-Kilometer-Regel zeitgleich mit Evenepoel gewertet, obwohl er das Ziel nach dem Belgier erreichte.
Vingegaard indes rang im Ziel mit den Tränen. “Das ist sehr emotional für mich. Nach dem Sturz zurückzukommen. Das bedeutet mir sehr viel. Nach all dem, was ich durchgemacht habe in den letzten Monaten. Ohne meine Familie hätte ich das nie geschafft”, sagte der Titelverteidiger nach seinem ersten Etappensieg in diesem Jahr bei Eurosport. “Ich bin einfach glücklich, hier zu sein. Es bedeutet so viel, eine Etappe zu gewinnen, insbesondere sie für meine Familie zu gewinnen. Sie haben mich die ganze Zeit unterstützt.”
Dem Antritt von Pogacar am Puy Mary Pas de Peyrol konnte Vingegaard zunächst nicht folgen. “Es war eine sehr, sehr starke Attacke. Ich musste einfach kämpfen. Eigentlich habe ich gedacht, dass ich es nicht mehr schaffe, nochmal ranzukommen. Ich habe weiter gekämpft, es zurück geschafft und mich mit ihm in der Führung abgewechselt. Es war etwas überraschend, ihn im Sprint zu schlagen. Aber das bedeutet mir so viel. Ich bin so glücklich über den Sieg. Vor drei Monaten hätte ich das niemals für möglich gehalten.”
Der elfte Abschnitt war das Gegenteil zur Bummeletappe am Vortag: Die Plätze in der Ausreißergruppe des Tages waren heiß begehrt und es wurde vom Start weg attackiert. Es gab etliche Attacken, die allesamt von Peloton gekontert wurden. UAE Team Emirates, die Mannschaft von Tadej Pogacar, wollte in der Anfangsphase keine Gruppe wegfahren lassen. Erst im ersten Anstieg des Tages zur Cote de Mouilloux (4. Kategorie) konnte sich eine Ausreißergruppe substanziell absetzen: Ben Healy, Richard Carapaz (beide EF Education EasyPost), Oscar Onley (Team dsm-firmenich PostNL), Paul Lapeira (Decathlon AG2R La Mondiale), Oier Lazakano (Movistar) und Matteo Vercher (TotalEnergies).
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Dahinter bildete sich eine Verfolgergruppe in der Guillaume Martin (Cofidis), Julien Bernard (Lidl-Trek), Bruno Armirail (Decathlon AG2R La Mondiale) und Romain Gregoire (Groupama-FDJ) fuhren. Das Verfolgerquartett stellte 110 Kilometer vor dem Ziel den Anschluss an die Spitze her, sodass fortan zehn Mann ganz vorne fuhren.
Im Peloton mussten Nils Politt und Tim Wellens für UAE Team Emirates schuften und gewährten den Ausreißern maximal 2:30 Minuten Vorsprung. Im Anstieg zum Col de Neronne (2. Kategorie) zerfiel die Ausreißergruppe. Lazkano setzte sich ab, Healy schloss wenig später auf, genau wie sein Teamkollege Carapaz im Aufstieg zum Puy Mary Pas de Peyrol (1. Kategorie).
Im Peloton verschärfte UAE Team Emirates das Tempo, sodass die Ausreißer im Puy Mary Pas de Peyrol eingeholt wurden. Dort hatte mit Juan Ayuso (UAE Team Emirates) zunächst der Fünfte der Gesamtwertung Probleme, das Tempo seiner Mannschaftskollegen zu halten. Angeführt von Adam Yates wurde die Gruppe immer kleiner.
500 Meter vor der Kuppe erfolgte die Attacke von Tadej Pogacar. Jonas Vingegaard konnte zunächst nicht kontern. Gemeinsam mit Primoz Roglic (Red Bull-Bora-Hansgrohe) nahm der Titelverteidiger die Verfolgung auf. Kurz vor der Kuppe ließ Vingegaard Roglic stehen, hatte aber immer noch zehn Sekunden Rückstand zu Pogacar. Größere Probleme gab es bei Remco Evenepoel (Soudal - Quick Step). Der Zweite des Gesamklassements verlor eine halbe Minute in der Steigung.
In der Abfahrt konnte Roglic die Lücke zu Vingegaard wieder schließen. Der Vorsprung von Pogacar auf das Duo wuchs zunächst auf 20 Sekunden an. Der Führende musste auf rutschiger Straße einen Schreckmoment überstehen, als ihm das Hinterrad wegrutschte. Trotzdem wuchs der Vorsprung des Gelbtrikotträgers auf mehr als eine halbe Minute an. Dahinter bekamen Roglic und Vingegaard Gesellschaft von Evenepoel, Joao Almeida (UAE Team Emirates), Giulio Ciccone (Lidl-Trek) und Carlos Rodriguez (Ineos Grenadiers). Die Allianz hielt nicht lange, weil Vingegaard das Tempo forcierte. Roglic und Evenepoel gingen zunächst mit, ehe der Belgier wieder Probleme bekam.
2,5 Kilometer vor dem Gipfel des Col de Pertus (2. Kategorie) musste dann auch Roglic Vingegaard ziehen lassen. Der Däne machte Meter um Meter auf Pogacar gut, kurz vor dem Gipfel war er wieder dran. Die acht Bonussekunden holte sich auf der Kuppe aber der Slowene. Diese erreichte Roglic mit 45 Sekunden später gemeinsam mit Evenepoel, der ihn aufgefahren hatte. Das Verfolgerduo hielt den Abstand auf die Spitze bei rund einer halben Minute.
In der letzten Steigung, dem Col de Font de Cere (3. Kategorie), tat sich nichts mehr zwischen Pogacar und Vingegaard, beide meisterten auch die letzte rutschige Abfahrt auf schlechten Straßen zum Ziel. Im Gegensatz zu Roglic, der in einer Linkskurve wegrutschte, zwar zunächst Zeit verlor, aber von der Drei-Kilometer-Regel profitierte und somit zeitgleich mit Evenepoel gewertet wurde. Den Sprint um den Sieg eröffnete Vingegaard von der Spitze, Pogacar kam zwar auf gleiche Höhe, aber nicht am Dänen vorbei, der diese Runde des Duells der beiden Superstars somit für sich entscheidet.