Team Bianchi 2003Was machen die Fahrer von damals heute?

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 · 06.12.2024

Das Team Bianchi beim Mannschaftszeitfahren der Tour de France 2003.
Foto: picture-alliance / Pressefoto ULMER / Markus Ulmer
Das Team Bianchi aus dem Jahr 2003 war eine Eintagsfliege: Nach nur einer Saison verschwanden die Trikots wieder aus dem Profiradsport. Dennoch prägte die Mannschaft mit Jan Ullrich die Tour de France 2003. TOUR zeigt, wie es nach dem Karriereende für die Fahrer von damals weiterging.

Es war 2003 ein turbulentes Frühjahr für alle Beteiligten beim damaligen Team Coast. Der deutsche Rennstall von Günther Dahms und dessen Bekleidungs-Unternehmen hatte hohe Ambitionen und unter anderem Jan Ullrich nach Dopingsperre für jene Saison ins Team geholt. Das brachte der Mannschaft für 2003 die erste Einladung zur Tour de France ein.

Doch finanziell hatten sich die Verantwortlichen mit dem Radsport-Projekt offenbar übernommen. Aufgrund von ausbleibenden Gehältern sperrte der Radsport-Weltverband UCI das Team zunächst im März von den Rennen aus, später auch im Mai. Kurz darauf meldete die Betreibergesellschaft Insolvenz an und löste das Team Coast auf.



Die Rettung kam durch den niederländischen Ex-Profi Jacques Hanegraaf und den bisherigen Radausstatter Bianchi, die als Geldgeber einsprangen und so den Fortbestand der Mannschaft sicherten. Es folgte eine bemerkenswerte Tour de France, bei der Jan Ullrich beinahe der Gesamtsieg gelang. Doch das Team Bianchi blieb eine kurze Geschichte. Bereits am Saisonende 2003 endete das Engagement. Ein Überblick, was aus den Fahrern aus dem einmaligen Tour-Aufgebot von Bianchi im Anschluss geworden ist.

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Jan Ullrich

Im celeste-grünen Trikot von Bianchi kehrte Ullrich 2003 eindrucksvoll auf die Radsportbühne zurück. Nie war der heute 51-Jährige näher dran, die damalige Übermacht von Lance Armstrong zu brechen – erst die vorletzte Etappe, ein Einzelzeitfahren, entschied die Tour zugunsten des US-Amerikaners. Platz zwei war für Ullrich jedoch ein Riesen-Erfolg, den ihm zuvor kaum jemand zugetraut hatte, und der ihn für 2004 zurück zum Team T-Mobile führte. Im alten Umfeld und unter erneut hoher Erwartungshaltung stagnierten jedoch seine Leistungen – bis zum tiefen Fall vor dem Start der Tour de France 2006.

Jan Ullrich feierte bei Bianchi ein beeindruckendes Comeback und setzte Lance Armstrong bei der Tour de France ordentlich zu.Foto: Getty Images/Franck FifeJan Ullrich feierte bei Bianchi ein beeindruckendes Comeback und setzte Lance Armstrong bei der Tour de France ordentlich zu.

Aufgrund von Verstrickung in den Dopingfall Operacion Puerto wurde Ullrich von der Tour ausgeschlossen. 2012 befand der Internationale Sportgerichtshof (CAS) ihn in dieser Angelegenheit für schuldig. Ein Dopinggeständnis verweigerte Ullrich, der 2007 seine Karriere beendete, jedoch über viele Jahre. Es folgte eine Abwärtsspirale aus Alkohol, Drogen, Autounfällen, Strafbefehlen und öffentlicher Ächtung.

2023 legte Ullrich im Rahmen einer Dokumentation die lang erwartete Dopingbeichte ab – und scheint seinen Eskapaden ein Ende gesetzt zu haben. Inzwischen lebt er seit einigen Jahren wieder in seiner Heimat Merdingen, organisiert Rad-Touren und war zuletzt als Experte für Eurosport während der Tour de France im Einsatz.

Daniel Becke

Der heute 46-Jährige ist vor allem für seine Erfolge auf der Bahn bekannt: In der Mannschaftsverfolgung holte er 1999 und 2000 den Weltmeistertitel und 2000 zudem den Olympia-Sieg in Sydney. In den Folgejahren versuchte sich Becke dann vermehrt im Straßenradsport und gab 2003 für Bianchi sein Debüt bei der Tour de France; die Rundfahrt beendete er auf Platz 145.

Daniel Becke kam als erfolgreicher Bahnfahrer in den Straßenradsport und bestritt 2003 seine erste Tour de France.Foto: Getty Images/ Friedemann VogelDaniel Becke kam als erfolgreicher Bahnfahrer in den Straßenradsport und bestritt 2003 seine erste Tour de France.

Nach dem Aus des Rennstalls kam er beim spanischen Team Illes Baleares unter und bestritt zwei weitere Male die Frankreich-Rundfahrt. Aufsehen erregte Becke, als er 2007 in einer Petition an den Deutschen Bundestag ein Anti-Doping-Gesetz forderte. 2008 beendete er seine Karriere. Heute soll Becke in Erfurt leben. Über seinen beruflichen Werdegang nach der Radsportkarriere ist öffentlich wenig bekannt.

Angel Luis Casero

Der Spanier war der große Transfercoup des Team Coast zur Saison 2002, da er als amtierender Sieger der Vuelta a Espana zum Rennstall kam. In der deutschen Mannschaft konnte er die hohen Erwartungen aber nie ganz erfüllen. Auch bei der Tour de France 2003 blieb er im Trikot von Bianchi blass und entschied sich 2005 zum Karriereende.

Angel Luis Casero feierte den größten Erfolg mit dem Gesamtsieg bei der Vuelta a Espana 2001.Foto: Getty Images/ Tim De WaeleAngel Luis Casero feierte den größten Erfolg mit dem Gesamtsieg bei der Vuelta a Espana 2001.

Ein Jahr später tauchte sein Name im Zuge der Doping-Ermittlungen um den spanischen Arzt Eufemiano Fuentes auf. Heute ist Casero, gebürtig aus der Region Valencia, Direktor der Valencia-Rundfahrt. Das Rennen wurde 2009 wegen Finanzierungsprobleme zunächst eingestellt, ab 2015 bemühte sich Casero um eine Neuauflage und brachte die Rundfahrt 2016 zurück in den Rennkalender.

Felix Manuel Garcia

Die Saison 2003 war die letzte als Profisportler für den Spanier. Seinen größten Erfolg feierte er mit Platz acht bei der Vuelta a Espana 2002, bei der Tour de France 2003 agierte Garcia als wichtiger Helfer für Ullrich und beendete die Rundfahrt auf Rang 23.

Seit 2022 ist Garcia als Nationaltrainer für die spanischen Bahnradmannschaften verantwortlich. Zuvor war der heute 56-Jährige zehn Jahre für die Contador Foundation in Spanien tätig und leitete die regionale Eboli Cycling Academy. Als Sportdirektor begleitete er zudem die Entwicklung von Contadors Team Polti-Kometa aus der U23 in den Pro-Continental-Bereich. Sein Sohn Raul Garcia Pierna ist seit 2021 ebenfalls Profi, fuhr zunächst für die Equipo Kern Pharma und seit 2024 für das World-Tour-Team Arkea-B&B Hotels. In diesem Jahr bestritt er erstmals die Tour de France.

Felix Manuel Garcia im Trikot von Festina bei der Vuelta a Espana 2000. Bei der Tour 2003 war der Spanier ein wichtiger Fahrer an der Seite von Jan Ullrich.Foto: Picture Alliance/ Roth/AugenklickFelix Manuel Garcia im Trikot von Festina bei der Vuelta a Espana 2000. Bei der Tour 2003 war der Spanier ein wichtiger Fahrer an der Seite von Jan Ullrich.


Aitor Garmendia

Auch Garmendia musste Ende 2003 mit 35 Jahren seine Karriere beenden, da er nach dem Aus von Bianchi keinen neuen Arbeitgeber fand. Bis dato feierte der Spanier durchaus einige beachtliche Erfolge, unter anderem Etappensiege bei der Deutschland Tour, der Katalonien-Rundfahrt und dem Criterium du Dauphine. Wie es für den heute 56-Jährigen nach der aktiven Profizeit weiterging, darüber ist öffentlich nichts bekannt.

Aitor Garmendia beendete nach dem Aus von Bianchi seine Karriere.Foto: Getty Images/ Tim De WaeleAitor Garmendia beendete nach dem Aus von Bianchi seine Karriere.

Fabrizio Guidi

Der Italiener blieb dem Radsport bis heute als Sportlicher Leiter erhalten. Aktuell ist er seit 2021 für UAE Team Emirates tätig, zuvor arbeitete der heute 52-Jährige bereits für Saxo-Bank (2011 bis 2014) und den heutigen Rennstall EF Education EasyPost (2015 bis 2020). Sein Einstieg ins Management war nach dem Karriereende 2008 zunächst eine Anstellung beim Team Nippo-Endeka.

In seiner aktiven Laufbahn stach Guidi vor allem als sprintstarker Fahrer heraus: Der Italiener gewann zwei Etappen beim Giro d’Italia und drei Teilstücke bei der Vuelta a Espana. Außerdem sicherte er sich dreimal in den Jahren 1996, 1999 und 2000 den Gewinn der Intergiro-Wertung bei der Italien-Rundfahrt. Nach dem Aus von Bianchi kam Guidi unter anderem bei den Teams CSC und Phonak unter, wurde 2005 jedoch während der Deutschland Tour positiv auf EPO getestet. Eine B-Probe fiel indes negativ aus.

Nach dem Rückzug von Bianchi kam Fabrizio Guidi beim Team CSC unter. Heute ist er Sportlicher Leiter bei UAE Team Emirates.Foto: Getty Images/ Tim De WaeleNach dem Rückzug von Bianchi kam Fabrizio Guidi beim Team CSC unter. Heute ist er Sportlicher Leiter bei UAE Team Emirates.

Thomas Liese

Der heute 56-Jährige bestritt 2003 als Helfer von Jan Ullrich seine einzige Tour de France. Nach dem Aus des Teams Bianchi setzte Liese seine Karriere noch zwei Jahre beim deutschen Continental-Team Winfix-Arnolds vor, ehe er seine aktive Laufbahn beendete.

2008 ernannte ihn der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) zum Trainer der deutschen Nationalmannschaft der Frauen. Ende 2012 wurde sein Vertrag jedoch nicht verlängert. Im Anschluss wechselte Liese in den Vertrieb von Radprodukten, war zunächst bei Steppenwolf Bikes angestellt, später bei der Firma Mavic. Seit 2019 ist Liese als Markenbotschafter des Unternehmens Flyer unterwegs, das sich auf E-Bikes spezialisiert hat.

Thomas Liese (rechts) an der Seite von Jan Ullrich.Foto: Getty Images/Paolo CoccoThomas Liese (rechts) an der Seite von Jan Ullrich.

David Plaza

Den größten Erfolg feierte Plaza im Jahr 2000 mit dem Gewinn der Deutschland Tour. Ein Jahr später erreichte er zudem Platz sechs bei der Vuelta a Espana. Bei der Tour de France 2003 erwies sich der kletterstarke Spanier wiederum als wertvoller Helfer für Ullrich. Im Trikot von Barloworld beendete er dann 2005 seine Karriere.

Danach verschwand Plaza für lange Zeit aus dem öffentlichen Fokus. Ab 2018 leitete der 54-Jährige dann für drei Jahre das mexikanische Frauen-Team Swapit Agolico. Seit 2024 ist er verantwortlich für das Männer-Amateurteam Petrolike, ebenfalls aus Mexiko.

David Plaza während eines Einzelzeitfahrens bei der Tour de France 2003. Seine Stärken lagen allerdings im Gebirge.Foto: Picture Alliance/ Sven SimonDavid Plaza während eines Einzelzeitfahrens bei der Tour de France 2003. Seine Stärken lagen allerdings im Gebirge.

Tobias Steinhauser

Der Name Steinhause ist inzwischen wieder im Profi-Peloton vertreten, dieses Mal durch Georg Steinhauser, dem Sohn von Tobias Steinhauser. Und der Sohnemann hat bereits Eindruck als Profi hinterlassen und 2024 eine Etappe beim Giro d’Italia gewonnen – vor den Augen seines Vaters, der die damalige Etappe als Experte für Eurosport begleitete.

Nach dem Aus von Bianchi ging Tobias Steinhauser (links) mit Jan Ullrich zum Team T-Mobile.Foto: Getty Images/ Christof KoepselNach dem Aus von Bianchi ging Tobias Steinhauser (links) mit Jan Ullrich zum Team T-Mobile.

Tobias Steinhauser war von 1996 bis 2005 Profi und gewann in dieser Zeit als starker Zeitfahrer die Hessen-Rundfahrt sowie eine Etappe der Tour de Suisse. Außerdem belegte er 2000 Platz fünf beim WM-Straßenrennen. Bei der Tour de France 2003 war Steinhauser vor allem im Mannschaftszeitfahren eine wichtige Stütze für Bianchi.



Nach dem Aus des Rennstalls ging Steinhauser mit Ullrich, dessen Schwager er ist, zum Team T-Mobile. Nach dem Karriereende übernahm Steinhauser, gelernter Schmied, die Geschäftsführung im Familienbetrieb Metalltechnik Steinhauser im Allgäu.

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