Tadej PogacarDer nächste “Außerirdische”?

Tom Mustroph

 · 30.07.2024

Dramen und Triumphe - die besten Bilder aus 21 Etappen Tour de France: Auch das Zeitfahren der 21. Etappe nutzte Tadej Pogacar, um einen weiteren Sieg zu erringen. Wenn sich die Chance bietet, schlägt er zu
Foto: Getty Images/Dario Belingheri
Tadej Pogacar dominierte die Tour de France 2024 mit sechs Tagessiegen, sechs Bergrekorden – und anscheinend nach Belieben. Keiner hat in einer Saison mehr Rosa und Gelbe Trikots getragen, der Doppelsieg bei Giro und Tour ist historisch. Das weckt Bewunderung - und Skepsis.

Ein Blick zurück über die Schulter, ein Antritt, und dann durfte Tadej Pogacar die ausgestreckten fünf Finger seiner rechten Hand in die Höhe recken. Am vorletzten Tag der Tour de France 2024 holte sich der Slowene auf dem Col de la Couillole den fünften Tagessieg. Den Vorsprung hielt er mit sieben Sekunden noch relativ knapp. Bei seinen anderen Siegen machte er es deutlicher.



Da waren es schon fünf: Tadej Pogacar gewann am Col de la Couillole und machte im Schlusszeitfahren das halbe Dutzend Siege vollFoto: Getty Images/Tim de WaeleDa waren es schon fünf: Tadej Pogacar gewann am Col de la Couillole und machte im Schlusszeitfahren das halbe Dutzend Siege voll

Am Galibier waren es 37 Sekunden, in Pla d’Adet 39, am Plateau de Beille 1:08 Minuten, um die er Jonas Vingegaard distanzierte. Beim Aufstieg zur Skistation Isola 2000 waren es gar 1:42 Minuten. Pogacar war dabei von einem besonderen Bündel aus Motivationen befeuert. Er fühlte sich von Visma | Lease a Bike herausgefordert. “Sie hatten zwei Mann in der Fluchtgruppe und haben uns die Führungsarbeit aufgezwungen. Zum Dank für die tolle Arbeit meiner Teamkollegen wollte ich dann auch den Tagessieg”, erklärte er. Weiter spornte ihn an, dass ganz vorne mit Matteo Jorgenson der wichtigste Helfer des Hauptrivalen Vingegaard fuhr. Jorgenson verlor fast vier Minuten auf den wie entfesselt fahrenden Mann in Gelb. “Warum soll ich meinen Rivalen einen Sieg gönnen, den ich selbst erreichen kann”, begründete er die Aufholjagd.

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Nur auf Spontanität und leidenschaftlicher Rivalität basierte dieser Parforceritt aber nicht. “Tadej hat einen guten Moment gewählt, um Jorgenson zu distanzieren. Den Punkt zwei Kilometer vor dem Ziel hatten wir uns ausgesucht als ideale Angriffsstelle”, lobte UAE-Sportdirektor Matxin Fernandez seinen Schützling. Exakt 1,9 Kilometer vor dem Ziel ließ Pogacar den US-Amerikaner stehen.

Tadej Pogacar erfüllt den Plan

Überhaupt hielt Fernandez die neue Harmonie zwischen den Plänen der Sportlichen Leiter und dem Instinkt des Rennfahrers für einen der wichtigsten Gründe für die Erfolge der kompletten Saison: “Das ganze Jahr war davon geprägt, dass wir uns einen ehrgeizigen Plan gesetzt haben und uns auch alle daran hielten. Seien das die Trainingsintervalle mit der Konzentration auf die langen Anstiege, der verkürzte Wettkampfkalender, mit dem Tadej einverstanden war, selbst wenn es ihm schwerfiel, im Trainingslager zu sein und die anderen fahren zu sehen, oder auch die Pläne für die einzelnen Etappen.”

Am Col du Galibier auf der vierten Etappe prüfte Pogacar erstmals Jonas Vingegaards VerfassungFoto: picture alliance / Roth / CVAm Col du Galibier auf der vierten Etappe prüfte Pogacar erstmals Jonas Vingegaards Verfassung

In Frankreich wiederholte sich zudem das Muster von Pogacars Giro-Triumph. Hier wie dort setzte er frühe Duftmarken: Beim Giro gleich am zweiten Tag, bei der Tour de France am vierten. Am Galibier demütigte er Vingegaard erstmals. Für den Slowenen war das die Schlüsseletappe. “Es war der erste lange Anstieg der Tour. Hier zeigten sich bereits die Kräfteverhältnisse. Danach ging es für mich eigentlich nur flüssig weiter”, analysierte er. Für die Kritiker und Zweifler an Pogacars Leistung ragte die 15. Etappe heraus. Am Plateau de Beille verbesserte er die Allzeitbestmarke von Marco Pantani gleich um 3:44 Minuten. Als “monströs” und “mutantenhaft” bezeichnete der frühere Festina-Coach und spätere Antidopingaktivist Antoine Vayer die Leistung.

Außer pharmazeutischer Hilfe, wie sie Vayer unterstellt, spielen allerdings auch andere Faktoren wie das schnellere Material, die optimierte Ernährung und veränderte Trainingsreize eine Rolle. Pogacar unterzog sich Hitzetraining. Er maß auch während des Rennens per Core-Sensor seine Körperkerntemperatur, um Überhitzung zu vermeiden. Er nutzte kürzere Kurbeln am Rad (165 Millimeter), um schneller und entspannter treten zu können. Er gewann zum Abschluss sogar noch das Zeitfahren über 33,7 Kilometer von Monaco nach Nizza – das erste Mal seit 2021 bei der Tour.

UAE und Pogacar erreichten in diesem Jahr im Wettbewerb der “marginal gains”, der kleinen Schritte, eine neue Stufe. Auch deshalb feierte die Sportzeitung L’Equipe den Slowenen als “einen von einem anderen Planeten”. Die gleiche Titelzeile hatte das Fachblatt einst Lance Armstrong gewidmet. Bleibt zu hoffen, dass sich die Parallelen zwischen dem Texaner und dem Slowenen damit erschöpfen.

Red Bull-Bora-Hansgrohe - zu wenig Substanz

Geschunden und gescheitert: Bora-Kapitän Primoz RoglicFoto: Getty Images/Marco BertorelloGeschunden und gescheitert: Bora-Kapitän Primoz Roglic

Das deutsche Team mit neuem Hauptsponsor hatte sich diese erste Tour de France im Bullen-Look ganz anders vorgestellt. “Es ist oft so im Leben: Wenn man etwas besonders gut machen will, kommt es ganz anders”, meinte ein melancholischer Teamchef Ralph Denk. “Wir können aber beruhigt sein, dass es Gründe dafür gibt”, betonte er. Das sturzbedingte Ausscheiden von Primoz Roglic identifizierte er als Hauptgrund. In Luft aufgelöst hatte sich das große – und einzige – Ziel: mit dem Slowenen die Tour zu gewinnen. “Danach fielen wir alle in ein emotionales Loch, auch wir Sportlichen Leiter”, räumte Rolf Aldag ein. Mit dem danach aufgestellten Nebenziel tat sich das Team allerdings schwer in der Umsetzung. Nur der Luxemburger Bob Jungels und der Australier Jai Hindley kamen überhaupt so aussichtsreich in Fluchtgruppen, dass sie vom Tagessieg träumen konnten. Auch diese Träume zerbröselten jedoch. Um das “beste Team der Welt” zu werden, wie Denk beim Einstieg von Red Bull versprach, fehlt es zumindest derzeit noch an Substanz.

Biniam Girmay - Kämpfer und Könner

Biniam Girmay: Geballte Sprint-Power im Grünen TrikotFoto: Getty Images/Thomas SamsonBiniam Girmay: Geballte Sprint-Power im Grünen Trikot

In die Geschichtsbücher Afrikas und des afrikanischen Sports wird diese Tour de France auch eingehen. Denn der Eritreer Biniam Girmay gewann gleich drei Etappen und eroberte das Grüne Trikot des besten Sprinters. All das gelang noch nie einem schwarzen Athleten aus Afrika. Beeindruckend waren auch seine Kämpferqualitäten. Girmay stürzte auf der 16. Etappe, sein Vorsprung schmolz. Am Folgetag, mit Schmerzen in Knie und Ellenbogen, stellte er aber die Verhältnisse wieder her und besiegte im direkten Duell beim Zwischensprint den Rivalen Jasper Philipsen.

Seinen tollen Auftritt verdankte er einer veränderten Radsportphilosophie und besser strukturiertem Training. “Ich bin gelassener geworden, mache mir nicht mehr so viel Druck”, sagte er. Das Training zielte auf größere Resistenz. “Biniam kommt jetzt weniger erschöpft in ein Etappenfinale. Dort kann er seine Maximalgeschwindigkeit länger halten”, erklärte sein Sportlicher Leiter Aike Visbeek. Sein Schützling gehört jetzt zur absoluten Sprint-Elite.

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