Das Interview wurde geführt von Tom Mustroph
TOUR: Wir sind hier in Pau beim abschließenden Zeitfahren der Tour de France Femmes. Viele Menschen stehen an der Strecke und feiern die Frauen, die diese Tour beenden. Mit welchen Gedanken und Gefühlen haben Sie den Zielstrich passiert?
Liane Lippert: Oh, da war einfach Erleichterung. Ich bin froh, dass die Tour jetzt vorbei ist.
TOUR: Wie stark verändert ein Rennen wie die Tour den Frauenradsport insgesamt?
Liane Lippert: Sehr. Die Aufmerksamkeit ist einfach größer, das Medieninteresse, die Menschen, die uns an der Straße anfeuern. Das ist schon eine andere Dimension. Ich habe es auch daran gemerkt, wie viele Nachrichten ich nach meinem Etappensieg bekommen habe und wie viele Menschen, die sonst mit Radsport nicht viel zu tun haben, das mitbekommen haben. Das zeigt schon, wie groß das ist. Und auch das Niveau im Feld ist gestiegen durch die Rennen, die wir jetzt haben.
TOUR: Bedeutet Ihr Etappensieg, errungen in diesem Peloton mit gestiegenem Niveau, für Sie den ersehnten Durchbruch in die Weltspitze?
Liane Lippert: Es war der Hammer, dass ich so eine Etappe gewinnen konnte. Davor habe ich mich auch in der Weltspitze gezeigt und war immer präsent. Aber ich musste lange auf einen solchen Sieg warten. Natürlich habe ich die Deutschen Meisterschaften gewonnen. Aber das hier hat noch eine ganz andere Qualität. Und ich weiß jetzt, dass ich gewinnen oder zumindest immer um den Sieg mitkämpfen kann. Das ist einfach ein gutes Gefühl.
TOUR: Hätten Sie statt dieser Etappe lieber eines der klassischen Eintagesrennen im Frühjahr gewonnen?
Liane Lippert: Beides hat einen hohen Stellenwert, würde ich sagen. Als nächstes kann dann gerne ein Klassiker folgen.
TOUR: Es war auch die Abschiedstour Ihrer Teamkollegin und Kapitänin Annemiek van Vleuten. Sind Sie sehr betrübt, dass es mit dem Gesamtsieg nicht geklappt hat?
Liane Lippert: Ja, natürlich. Wir sind schließlich mit dem großen Ziel hergekommen, mit Annemiek den Titel zu verteidigen. Aber wir sind trotzdem alle sehr stolz auf sie. Auch wie sie gekämpft hat am Tourmalet. Sie gibt nie auf.
TOUR: Wie haben Sie selbst die Etappe am Tourmalet erlebt?
Liane Lippert: Ich bin leider schon früh gestürzt an dem Tag, habe mir Hüfte und Knie geprellt. Deshalb war es nicht so angenehm auf dem Rad. Ich habe dann noch am ersten Berg getan, was ich konnte, aber mehr war nicht möglich.
TOUR: Das bedeutet, ohne diesen Sturz wären Sie am Berg noch länger bei den Favoritinnen geblieben?
Liane Lippert: Ja, genau das war das Ziel. Und mein Team hätte auch mir erlaubt, dass ich, wenn ich das schaffe, selbst aufs Gesamtklassement fahren kann. Aber nach dem Sturz habe ich gemerkt, dass ich mit meinem Knie nicht richtig treten kann. Deshalb habe ich am vorletzten Berg, dem Col d’Aspin, für eine Minute Tempo gemacht und Annemiek hat attackiert.
TOUR: Nächstes Jahr, nach dem Karriereende von Annemiek van Vleuten, übernehmen Sie die Führungsrolle bei Movistar. Wie werden Sie damit umgehen?
Liane Lippert: Ich werde generell mehr Freiheiten haben, um auch bei Etappenrennen für mich selber auf das Gesamtklassement zu fahren. Mal sehen, wie ich mich da entwickle. Ich werde auf jeden Fall viele Chancen bekommen.
TOUR: In welchen Belangen wollen Sie sich noch am meisten verbessern, woran wollen Sie arbeiten?
Liane Lippert: Ich will meine Spritzigkeit nicht verlieren. Ich will mich auf die Rennen wie Amstel Gold Race und Fleche Wallonne fokussieren. Und bei den Rundfahrten oder bei der Tour will ich wieder eine Etappe gewinnen und auch die Meisterschaft verteidigen.
TOUR: Was haben Sie aus dem gemeinsamen Jahr bei Movistar mit Annemiek van Vleuten mitgenommen?
Liane Lippert: Es war einfach großartig. Das hat natürlich auch etwas Druck von mir genommen. Und ich denke, wir haben uns ganz gut ergänzt. Ich bin mehr punchy, und sie ist stärker in den langen Bergen. Das Schöne ist auch, dass sie sehr gerne ihr Wissen weitergibt. Und man kann sich bei Annemiek schon ein paar Sachen angucken und mitnehmen. Ich würde aber auch sagen, dass wir vom Fahrertyp her eher verschieden sind und dass ich auch gerne so bleiben möchte, wie ich bin.
TOUR: Über van Vleuten heißt es, sie sei ein regelrechtes Trainingsmonster, andauernd in der Höhe und mit enormen Trainingsumfängen. Ist das so? Und ist es nachahmenswert?
Liane Lippert: Ich glaube, es gibt nur eine auf der Welt, deren Körper diese Umfänge verkraftet. Für mich würde es jetzt keinen Sinn ergeben. Wenn ich auf einmal so viel trainieren würde, wäre es eher kontraproduktiv, und ich mache schon genug. Das Training ist mittlerweile so durchgeplant, ich vertraue da voll auf die Trainer, auf deren Rat, wie wir es machen sollen.
TOUR: Der deutsche Frauenradsport hat sich super präsentiert, mit zwei Tagessiegen durch Sie und Ricarda Bauernfeind. Ihr Fazit?
Liane Lippert: Natürlich super! Für Ricarda habe ich mich sehr gefreut. Ich glaube auch, alle Deutschen, die hier am Start waren, haben was gezeigt. Sie waren in der Spitzengruppe, hatten ein Ergebnis wie Clara Koppenburg (15. in der Gesamtwertung) oder Kathrin Hammes (9. auf der 4. Etappe). Und dann gibt es noch Antonia Niedermaier, die jetzt nicht hier bei der Tour war, aber beim Giro eine Etappe gewonnen hat.
TOUR: Die Zukunft schaut also gut aus?
Liane Lippert: Auf jeden Fall.