Team Red Bull - BORA - hansgroheRoglič vs. Lipowitz - die Kandidaten für die Kapitänsrolle im Vergleich

Andreas Kublik

 · 17.07.2025

Team Red Bull - BORA - hansgrohe: Roglič vs. Lipowitz - die Kandidaten für die Kapitänsrolle im VergleichFoto: Getty Images/Dario Belingheri
Fährt er endgültig ins Rampenlicht? Florian Lipowitz (rechts), der sich bei der Tour bisher schon häufiger an der Seite der besten wie Jonas Vingegaard (links) gezeigt hat
Die Rollenverteilung scheint klar: Primož Roglič ist im Team Red Bull - BORA - hansgrohe der Chef. Florian Lipowitz geht noch in die Lehre. Doch die Etappen in den Pyrenäen werden beim deutschen Rennstall zu Stunden und Tagen der Wahrheit. Sportchef Rolf Aldag hatte immer wieder auf die Bedeutung der langen Berge hingewiesen. Wer macht das Rennen um die Chefrolle - Primož Roglič oder Florian Lipowitz?

Am Donnerstag (17. Juli 2025) geht es auf der 12. Etappe erstmals bei dieser Tour in die Pyrenäen - und damit ins Hochgebirge und über lange Berge. Vor dem Start scheint alles klar, wie man aus dem Lager von Red Bull - BORA - hansgrohe hörte: Florian Lipowitz fügte sich brav in die ihm öffentlich zugeschriebene Rolle. “Ich würde mich als Edelhelfer bezeichnen. Ich glaube, die Rollenverteilung ist ganz klar”, sagte der 24-Jährige am ersten Ruhetag der 112. Ausgabe in Toulouse (lesen Sie hier).

TOUR hat die beiden aktuell besten Rundfahrtspezialisten im Trikot des deutschen Rennstalls unter die Lupe genommen. Wer kann welche Argumente für sich ins Feld führen? Unser Vergleich von Primož Roglič und Florian Lipowitz - im Pro & Contra:

Primož Roglič (35 Jahre / Slowenien)

Blickt nach oben: Primož Roglič, der hofft, sich in den Pyrenäen im Gesamtklassement Richtung Podium arbeiten zu könnenFoto: Getty Images/Dario BelingheriBlickt nach oben: Primož Roglič, der hofft, sich in den Pyrenäen im Gesamtklassement Richtung Podium arbeiten zu können

Pro - was spricht für den erfahrenen Slowenen Primož Roglič?

Die Erfahrung

Der Slowene nimmt trotz seines späten Karrierestarts als Radprofi (er war zunächst Skispringer) bereits seinen 17. Start bei einer Grand Tour unter die Räder. Er hat schon viele Krisen bei schweren Etappenrennen gemeistert. Roglič hat viermal die Vuelta, einmal den Giro d’Italia gewonnen und war 2020 Zweiter der Tour. Insgesamt ist er bei der Frankreich-Rundfahrt schon zum siebten Mal am Start.

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Die Rückendeckung

Beim Team Red Bull - BORA - hansgrohe betonen alle, der alte Fahrensmann sei der unumstrittene Leader des Teams. Als Lipowitz auf der ersten Etappe zwischenzeitlich abgehängt war, bekam der junge Deutsche keine Hilfe. Eine ähnliche Szene sah man rund um Roglič nicht. Sportchef Rolf Aldag betont, dass die acht Podiumsplatzierungen des Teams-Kapitäns ein Pfund an Argumenten sei. Vertrauen ist mentaler Rückenwind.

Die Persönlichkeit

Hinfallen und Aufstehen – Roglič verkörpert das seit seiner Zeit als Skispringer. Krisen hat er häufig gemeistert. Stürze haben ihn nur vorübergehend aus der Bahn geworfen. Mit Gleichmut arbeitet er sich Tag für Tag durch die Belastung langer Etappenrennen – wie im Vorjahr, als er auf dem Weg zum Vuelta-Sieg den in der Gesamtwertung enteilten Ben O’Connor mit viel Geduld und kleinen Zeitgewinnen erst ein- und dann überholte. Er hat den langen Atem des Rundfahrtspezialisten - und den Kopf dafür.

Contra - was spricht gegen Roglič?

Mann mit Schrammen: Primož Roglič  nach einem Sturz bei der Tour im Vorjahr - später gab er das Rennen aufFoto: Getty Images/MARCO BERTORELLOMann mit Schrammen: Primož Roglič nach einem Sturz bei der Tour im Vorjahr - später gab er das Rennen auf

Das Alter

Roglič wird im Oktober 36 Jahre alt. In diesem Alter hat in den vergangenen Jahrzehnten niemand die Tour gewonnen. Der älteste Tour-Sieger der jüngeren Vergangenheit war Cadel Evans – beim Triumph 2011 war der Australier 34 Jahre alt. Auch auf den Podiumsplätzen war ein reifes Alter kaum hilfreich: Zuletzt schaffte nur Geraint Thomas im Jahr 2022 in einem mit Roglič vergleichbaren Alter den Sprung aufs finale Podium. Der Waliser war damals 36 Jahre und zwei Monate alt. Die Jahre haben den einst antrittsschnellen Kletterer Roglič Explosivität gekostet – so sah es zumindest an den letzten Renntagen aus. Auch Zeitbonifikationen und damit gute Etappenplatzierungen könnten im Kampf ums Podium eine Rolle spielen. Der Slowene kann nur noch auf Ausdauer setzen. Auch im Einzelzeitfahren wirkt er nicht mehr so stark wie früher.

Die Erfolgsquote

Ja, Roglič stand achtmal auf einem Grand-Tour-Podium. Zuletzt siegte er im vergangenen Jahr bei der Vuelta. Es gehört aber auch zur Wahrheit, dass der Slowene bei zuletzt neun Starts bei dreiwöchigen Etappenrennen fünfmal nicht ins Ziel kam. Besonders schlecht ist die Quote ausgerechnet bei der Tour: Seit ihm Tadej Pogačar bei der Tour 2020 bei letzter Gelegenheit den Gesamtsieg entriss, startete er dreimal, erreichte nie das letzte Tour-Etappenziel in Paris bzw. Nizza. Auch bei seinem ersten großen Saisonziel, dem Giro d’Italia, im Mai stürzte er und schied aus. Kurz: Stürzt zu oft. Der Fauxpas, als er auf der 1. Etappen an der Windkante den Anschluss an Pogačar und Vingegaard verlor, war kein Nachweis für reife Fahrweise und gute Führung in seinem Team.

Die Form

Der aktuelle Leader kann aus der Saison 2025 wenige Argumente für sich vorbringen. Er hat die bergige Katalonien-Rundfahrt für sich entschieden. Beim Giro startete er gut - gab dann aber auf. Weitere Formnachweise: keine. Auf der ersten Hälfte der Tour-Strecke fuhr er zurückhaltend – in Sichtweite der Besten, aber nicht wirklich bei den Besten. Für seine Verhältnisse schwach im Einzelzeitfahren. Von seiner früheren Explosivität und Angriffslust nichts zu sehen. Formschwäche oder gelungenes Pokerspiel?

Die Zukunftsperspektive

Stand jetzt läuft der Vertrag von Roglič am Saisonende aus - soviel man öffentlich weiß. Teamchef Ralph Denk pflegt keine Vertragslaufzeiten zu kommunizieren. Roglič’ Leistungskurve spricht eigentlich nicht für eine Vertragsverlängerung. Als Seniorpartner für jüngere Rennfahrer taugt er eher nicht. Schließlich hat er Visma | Lease a Bike verlassen, weil ihm die Rolle in der Hierarchie hinter dem deutlich jüngeren Teamkollegen Jonas Vingegaard nicht gefiel.

Der Markt

Roglič ist als Vermarktungsobjekt keine Investion mit Langzeitwirkung. Er stammt aus dem kleinen Land Slowenien, und dürfte nicht mehr viele Sommer auf höchstem Niveau im Radsport erleben. Zudem läuft ihm selbst in der Heimat Landsmann Tadej Pogačar den Rang ab. Auch wenn Roglič zuhause lange Zeit der beliebtere der beiden Radprofis war.



Florian Lipowitz (24 Jahre / Deutschland)

Mit klarem Blick: Für seine Wegbegleiter gilt Lipowitz schon lange als großes Talent mit Fokus auf seine sportliche EntwicklungFoto: Getty Images/Tim de WaeleMit klarem Blick: Für seine Wegbegleiter gilt Lipowitz schon lange als großes Talent mit Fokus auf seine sportliche Entwicklung

Pro - Was spricht für den jungen Deutschen Florian Lipowitz?

Die Form

Es läuft bei Florian Lipowitz – seit Saisonbeginn durchgehend. Der 24-jährige Tour-Debütant war einer der wenigen aktiven Verfolger der Topfavoriten Tadej Pogačar und Jonas Vingegaard im bisherigen Verlauf der Tour. Auffälliger, spritziger als Roglič. Schneller auch im Einzelzeitfahren als sein Teamkollege, der 2021 noch Olympiasieger im Kampf gegen die Uhr war. Die Leistungskurve geht seit Gesamtrang sieben bei der Spanien-Rundfahrt im vergangenen Herbst (als Helfer von Roglič) stabil nach oben: Zweiter bei Paris-Nizza, Vierter bei der Baskenland-Rundfahrt, Dritter bei der Dauphiné-Rundfahrt, als er in den Bergen deutlich stärker fuhr als Podiumskandidat Remco Evenepoel. Wirkte auch auf den ersten Tour-Etappen formstark. Distanzierte Roglič im flachen Zeitfahren auf der 5. Etappe rund um Caen um 21 Sekunden.

Das Alter

Mit 24 Jahren hat Lipowitz die Zukunft vor sich, dürfte noch besser werden, er hat naturgemäß die bessere Erholungsfähigkeit. Allein wegen seines Alters lohnt es sich in ihn zu investieren. Talentförderung beginnt früh - auch damit, dass man früh Vertrauen geschenkt bekommt vom Arbeitgeber.

Florian Lipowitz (vorne) verhalf Primož Roglič (hinten) 2024 zum Vuelta-SiegFoto: Getty Images/Luis GomezFlorian Lipowitz (vorne) verhalf Primož Roglič (hinten) 2024 zum Vuelta-Sieg

Die Zukunftsperspektive

Ralph Denk hat immer davon gesprochen, er möchte einen Klassementfahrer im eigenen Team aufbauen. Am liebsten aus der eigenen Nachwuchsabteilung. Zwar wurde Lipowitz in Österreich beim Team Tirol entdeckt und gefördert – aber den Durchbruch bei den Profis schaffte er beim einzigen deutschen World-Tour-Rennstall. Der junge Mann hat Potenzial, begeistert mit seiner Fahrweise, ist jetzt schon als echter Allrounder für große Etappenrennen zu erkennen. Man könnte lange Freude an dem Talent haben.

Der Markt

Wenn in Deutschland jemand als “Hoffnungsträger” beim oft als drittwichtigstem Sportereignis bezeichneten Tour de France gilt, sollten die Marketingexperten aufhorchen. Auch teamintern. Zumal Deutschland mit 80 Millionen Einwohnern einen riesigen Markt bedient.

Die Persönlichkeit

Ein bisschen scheinen sich in diesem Punkt Roglič und Lipowitz zu ähneln. Bodenständig, fokussiert, schwer aus der Ruhe zu bringen. So bedächtig wie Lipowitz mit schwäbischem Einschlag spricht, so bodenständig und langfristig denkt und handelt er als Sportler - allerdings noch nicht in jeder Rennsituation.

Contra - was gegen den jungen Deutschen spricht:

Guckt auf die Besten: Florian Lipowitz neben Tadej Pogačar (in Gelb)Foto: Getty Images/MARCO BERTORELLOGuckt auf die Besten: Florian Lipowitz neben Tadej Pogačar (in Gelb)

Die Erfahrung

Der junge Mann aus Laichingen auf der Schwäbischen Alb ist zum ersten Mal bei der Tour dabei. Berge und Radrennen kennt er. Aber die Tour de France ist eine Nummer größer – mehr Aufmerksamkeit, mehr Druck, mehr Medientermine. Und die Konkurrenten sind besser in Form als bei jedem anderen Rennen. Oft wirkt die Fahrweise ungezügelt – Rennfahrerkollegen wie Nils Politt haben ihm schon zu bedachterer und zurückhaltender Fahrweise geraten. Etwas unbedarft und übermütig wirken seine Antritte mitunter. Zudem ist der ehemalige Biathlet erst spät in den Radsport eingestiegen, verdingte sich vor fünf Jahren (mit 19 Jahren) erstmals als richtiger Radrennfahrer und bestreitet erst im dritten Jahr Profi auf World-Tour-Niveau. Drei Grand-Tour-Starts – je einmal Giro, Vuelta und nun die Tour. Als er auf der 1. Etappe wegen eines Defekts aus dem Hauptfeld zurückfiel, wirkte er etwas hektisch und übermotiviert. Der Tour-Neuling schien in diesen Momenten aber auch nicht optimal von der Sportlichen Leitung gesteuert. Womit wir beim nächsten Punkt wären...

Die Rückendeckung

Alles was gesprochen wurde und was man gesehen hat: Der junge Deutsche muss sich nicht maximal protegiert fühlen im eigenen Team. Manches erinnert an die Tour 1996 - als man beim Team Telekom Bjarne Riis als Kapitän schützte, gegen den talentierteren und stärkeren Jan Ullrich. Fehlende Rückendeckung kann eine Trotzreaktion verursachen, aber auch eine mentale Bremse sein. Übrigens: Ullrich wünschte sich zuletzt live im TV, man möge Lipowitz mehr unterstützen. Zuletzt war aus der Szene zu hören, Ralph Denk habe nicht den besten Ruf als Arbeitgeber, nachdem er deutsche Topleister wie Emanuel Buchmann, Maximilian Schachmann und Lennard Kämna in schwierigen Situationen nicht stützte und vergraulte. In letzter Zeit wirkten viele Auftritte des deutschen Rennstalls, als wäre es beim Arbeitsklima nicht zum Besten bestellt.

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