Es waren noch 50 Kilometer bis ins Ziel, als Tadej Pogačar (UAE Emirates - XRG) in einer asphaltierten Kurve plötzlich die Kontrolle über sein Rad verlor, aus der Kurve schlitterte und sich auf einer Wiese überschlug. Mit zahlreichen Abschürfungen und zerrissen Outfit sprang er wieder aufs Rad, fuhr zurück Pidcock (Q36.5 Pro Cycling Team). Nach einigen Kilometern, die er weitgehend am Hinterrad verbrachte, attackierte er 18 Kilometer vor dem Ziel im vorletzten Schottersektor unwiderstehlich. Bis ins Ziel ließ der Weltmeister nichts mehr anbrennen und verteidigte somit als erster Profi seinen Titel in der Toskana. Souverän. Auch 2022 hatte Pogačar in Siena gewonnen, 2023 war er nicht am Start.
Mit einem Lächeln nahm Pogačar die letzte Steigung zur Piazza del Campo in Angriff. Nach 213 Kilometern von und nach Siena machte er sich damit neben Fabian Cancellara zum Rekordsieger des Rennens, das nun 19 Austragungen in den Büchern stehen hat.
“Ich habe das Rennen bis zur Ziellinie genossen”, sagte Pogačar dann vielleicht etwas überraschend im Zielinterview. Doch der 26-Jährige ergänzte: “Das Adrenalin hat geholfen den Schmerz bis dorthin zurückzuhalten. Jetzt spüre ich ihn aber. Ich hoffe, dass es nicht schlimmer ist, als es aussieht.” Die Blessuren an der linken Körperseite des Slowenen waren unübersehbar. Seinen Unfall schilderte er so: “Ich bin einfach zu schnell gewesen. Ich kennen die Straßen eigentlich gut, bin hier schon 20 Mal in meinem Leben langgefahren. Aber dieses Mal war es zu schnell und dann bin ich weggerutscht. Ich war okay, musste aber mein Rad wechseln. Ein wenig beunruhigt war ich danach schon, weil ein Sturz dem Körper immer einiges abverlangt.”
Sollte Pogačar keine lämngerfristigen Probleme davontragen, wird sein UAE-Team letztlich mit dem Tag zufrieden sein, denn mit Tim Wellens fuhr ein Zweiter Profi aus dem Team der Emirate aufs Podium. Pidcock, Sieger aus dem Abstinenz-Jahr von Pogačar, grüßte nach seinem zweiten Platz bei Zielüberfahrt ins Publikum und schien nach der kurzen Desillusionierung nach der Pogačar-Attacke letztlich dennoch zufrieden.
Der hingegen feierte nach dem Gewinn der UAE Tour bei seinem Saisonauftakt nun den zweiten Sieg im zweiten Rennen.
RG | Fahrer | Zeit |
---|---|---|
1 | UAE Team Emirates - XRG | 05:13:58 |
2 | Q36.5 Pro Cycling Team | +00:01:24 |
3 | UAE Team Emirates - XRG | +00:02:12 |
4 | EF Education - EasyPost | +00:03:23 |
5 | Bahrain - Victorious | +00:04:20 |
6 | Uno-X Mobility | +00:04:26 |
Es dauerte etwa zehn Kilometer, bis das Rennen bei bestem Frühlingswetter - Sonne, gute Temperaturen und kaum Wind - Fahrt aufnahm. Zwölf Fahrer bildeten die erste Spitzengruppe des Tages. Mit den beiden Briten Lewis Askey (Groupama - FDJ) und Connor Swift (Ineos Grenadiers) waren die Ausreißer durchaus prominent besetzt, wenn auch keiner der Topfavoriten dabei war. Die Gruppe lief gut, fuhr sich bis zu vier Minuten Vorsprung heraus.
Reichlich Defekte vorne sorgten aber dafür, dass die Gruppe schneller ausgedünnt wurde, als es vielleicht aus sportlicher Sicht so gewesen wäre. Aber auch im Feld stürzten viele Profis. Für David Gaudu (Groupama - FDJ) oder Krists Neilands (Israel - Premier Tech) ging es nicht weiter. Doch auch für viele andere Fahrer waren das Rennen schneller gelaufen als gedacht. Denn vom Hauptfeld war schon 80 Kilometer vor dem Ziel nur noch ein kleines Grüppchen von rund 20, 25 Fahrern übrig. Daraus beschleunigten Pogačar und Pidcock Ende des Sektor Monte Sante Marie heraus und hatten dann auch schnell zur Spitze aufgeschlossen.
Das Duo hielt sich dort aber nicht lange auf. Nur Swift konnte sich ans Hinterrad der Beiden klemmen. Dahinter formierten sich neue Gruppen, die sich aber nicht wirklich Grün waren, sodass der Abstand zum Spitzentrio schnell auf anderthalb Minuten anwuchs. Ben Healy (EF Education - EasyPost), Gianni Vermeersch (Alpecin - Deceuninck), Roger Adria (Red Bull - BORA - hansgrohe), Tim Wellens (UAE Team Emirates - XRG), Magnus Cort (Uno-X Mobility) und Lennert Van Eetvelt (Lotto) waren die prominentesten Namen.
50 Kilometer vor dem Ziel steuerte Pogačar in der Spitze eine Kurve falsch, rutschte in die Wiese und überschlug sich. Schnell sprang er wieder aufs Rad, war aber dennoch von Hautabschürfungen und einer zerrissenen Hose gezeichnet. Auch Swift wurde dadurch ausgebremst. Pidcock blieb zunächst auf dem Tempo, nahm später aber doch wieder raus und wartete auf den Slowenen, der nach einem verspäteten Radwechsel auch wieder aufschließen konnte. Swift hingegen schaffte die Rückkehr nicht.
Fünf Kilometer später war Pogačar zurück, hielt sich aber erstmal am Hinterrad des Briten auf. Trotzdem blieb der Vorsprung auf die Verfolger recht konstant. Die spalteten sich 35 Kilometer vor dem Ziel auch. Wellens, der sich lange ausruhen konnte ob seines Kapitäns an der Spitze, Healy, Bilbao und Adria lösten sich vom Rest und sammelten Swift auf, machten dann ihr Ding.
Auch 20 Kilometer vor dem Ziel blieb die Situation unverändert. Pogačar hielt sich überwiegend am Hinterrad von Pidcock, der Vorsprung zu den ersten Verfolgern blieb bei einer Minute. Im vorletzten Sektor - Colle Pinzuto - ging Pogačar dann aber in die Offensive. Im Anstieg trat der Titelverteidiger plötzlich aufs Tempo, löste sich und ließ einen resignierten Pidock zurück.
Bei den Verfolgern nutzte Pogačars Teamkollege Wellens ebenfalls die Stelle, an der Pogačar attackierte, um sich seinen Mitstreitern zu entledigen. Allerdings hatte auch der Belgier zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als anderthalb Minuten Rückstand auf seinen Kapitän.
Im letzten Sektors - Le Tolfe - zwölf Kilometer vor dem Ende ging Pogačar zwar etwas vorsichtiger. Auch alle anderen Abfahrten nahm er nicht mehr mit Vollgas. Dennoch wuchs sein Vorsprung auf eine Minute. Daran änderte sich bis ins Ziel nichts mehr entscheidend. Allerdings schaffte es Wellens auch nicht, die Lücke zu Pidcock zu schließen, der damit den UAE-Doppelsieg verhinderte. Nach hinten brannte für den Belgier aber auch nichts mehr an. Auch Healy kam als Vierter solo ins Ziel - mit dreieinhalb Minuten Rückstand.
Adria, der als bester Profi von Red Bull und als Ersatz-Kapitän für den kranken Maxim Van Gils lange auf dem Weg zu einem Top 5 Ergebnis war, musste seinem Effort auf den letzten KIlometern noch Tribut zollen. Er wurde mit gut fünf Minuten Rückstand Zehnter.