Wie hart beim Kopfsteinklassiker gefahren wird, verraten uns die Leistungsdaten von Marcus Burghardt, der uns die Aufzeichnung seines SRM-Powermeters aus dem Jahr 2012 2015 zur Analyse zur Verfügung gestellt hat. Der einstige Klassikerspezialist hat seine Karriere 2022 beendet und ist mittlerweile Vizepräsident Vertragssport beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR). Vor Paris-Roubaix 2024 nutzen wir diese Gelegenheit, um nochmal aufzuzeigen, was ein Radprofi bei der “Königin der Klassiker” leisten muss.
Der Original-SRM-Schrieb zeigt ein wildes Zackenprofil. Ständige Leistungs- und Geschwindigkeitswechsel machen die Grafik in der Totalen unübersichtlich. Bemerkenswert ist die sehr hohe Durchschnittsleistung von 308,5 W über die gesamte Renndauer von Paris-Roubaix. Das ist signifikant mehr als bei typischen Profirennen. Der Energieumsatz beträgt üppige 6804 Kilojoule. Die wahre physiologische Belastung ist sogar noch höher, denn die rund 50 Kilometer Kopfsteinpflaster rütteln die Muskeln erbarmungslos durch – eine zusätzliche Belastung für die Muskeln, die die Grafik nicht zeigt. Auch der wahre Energieumsatz ist entsprechend höher. Marcus Burghardt beendet das Rennen auf Platz 36 mit einem Rückstand von 7:46 Minuten auf den Sieger Tom Boonen. Burghardts Platzierung ist dennoch bemerkenswert gut, weil er von der ersten Minute des Rennens hart für seinen Kapitäne Allessandro Ballan (3. Platz) und Thor Hushovd (Platz 14) gearbeitet hat.
Die die letzten Kilometer vor den einzelnen Kopfsteinpflasterpassagen werden im Stil eines Sprintfinales gefahren. Das Tempo steigt teilweise auf über 60 km/h. Es geht darum, möglichst weit vorne im Peloton in die schwierigen Passagen zu fahren und so das Sturzrisiko zu minimieren. Der Auszug des Fahrtschriebs zeigt drei solcher Beschleunigungsphasen.
Sie zeigt, dass die häufigste Tretleistung von Burghardt zwischen 300 und 350 W liegt. Bei rund 360 W ist ein kleiner Sprung in der Kurve nach unten – hier kann man die Dauerleistungsgrenze von Marcus Burghardt vermuten. Nach eigener Aussage war der Radprofi an diesem Tag nicht ganz gesund – und konnte daher nicht die gewohnte Leistung abrufen. Richtig hart wird der Klassiker dadurch, dass 36 Prozent der Tretleistung im Bereich jenseits von 360 Watt erbracht wird.
Gleich nach dem Start wird das Rennen sehr schnell und beruhigt sich erst nach anderthalb Stunden, als die erste Ausreißergruppe vom Rest des Feldes wegkommt. In diesen ersten anderthalb Stunden, die als Intervall markiert sind, mischt Burghardt voll mit: Die Durchschnittsleistung liegt bei 334 Watt, die effektive Leistung bei 361 Watt (effektive Leistung bedeutet gewichteter Durchschnittswert, der Leistungsspitzen höher bewertet als niedrige Leistungsanteile. Dieser Wert entspricht eher der wahren Belastung als die normale Durchschnittsleistung; Anm. d. Red.). Die durchschnittliche Geschwindigkeit ist in dieser Rennphase am höchsten: sie beträgt 47,9 km/h. Auch den härtesten Antritt (mit 1429 Watt) fährt Burghardt in dieser frühen Phase. Mit seinem Einsatz für die Mannschaft macht Burghardt seine persönliche Chance auf einen Sieg zunichte. Wer zu Beginn eines so langen Rennens so hart fährt, hat am Ende nicht mehr genug Sprit im Tank, um die entscheidenden Attacken mitzugehen. Der starke Klassikerfahrer Burghardt wird hier Opfer seiner hervorragend besetzten Mannschaft, in der als Helfer, nicht als Kapitän fährt.
Hier sieht man die Spitzenwerte der Tretleistung – aufgeschlüsselt nach Zeitintervallen (von kurz bis lang). Kurzzeitig (bis zwei Minuten) kann ein Mensch weitaus mehr leisten als dauerhaft. Als Klassikerfahrer muss man beides können: lange schnell fahren (der flache Teil der Kurve soll möglichst hoch liegen) und kurzzeitig richtig Gas geben.
Durch starke Glättung der Leistungswerte erkennt man den Verlauf des Rennens besser. Dargestellt sind das gleitende Mittel über 20 Minuten und über vier Minuten – sowie Antritte mit über 700 Watt für mindesten 20 Sekunden. Gut zu sehen ist der harte Einsatz zu Beginn und die Konsolidierungsphase, nachdem die erste Fluchtgruppe steht. Die entscheidende Rennphase ist das letzte Drittel. Hier fällt die Leistung leicht ab. Fährt ein Rennfahrer um den Sieg, steigt diese Kurve zum Ende eines Profirennens an. Die Anzahl langer harter Antritte ist gering – verglichen mit Daten aus anderen Klassikern. Dies dürfte auch am sehr flachen Streckenprofil liegen. Hier reichen oft kurze Antritte, um sich wieder in den Windschatten zu fahren, während die Profis am Berg auch im Windschatten eine hohe Leistung mobilisieren müssen, um den Anschluss zu halten. Die geringe Schwankungsbreite des gleitenden Vier-Minuten-Mittels zeigt, dass Burghardt das Rennen gleichmäßig gefahren ist. Der Leistungseinsatz ist fast wie bei einem extralangen Zeitfahren.
Christian Knees fuhr beim Amstel Gold Race im Jahr 2009 auf ein Spitzenergebnis. Am Ende belegte er mit acht Sekunden Rückstand auf den Sieger Sergej Iwanow Rang elf. Knees, damals in Diensten von Team Milram, zeigte mit 270 Watt eine deutlich geringere Durchschnittsleistung als Burghardt bei Paris-Roubaix 2012, er fuhr aber sonst durchweg härter. Unser Bild 7 zeigt: Nach einem verhaltenen Start wird das Rennen im Finale immer härter – mit mehr Antritten und steigender Leistung. Große Varianz, erkennbar am gleitenden Mittel über vier Minuten, das starke Ausschläge hat. So sieht eine typische Fahrt um den Sieg aus. Marcus Burghardt ist hingegen bei Paris-Roubaix 2012 im Wesentlichen ein Zeitfahren im Dienste der Mannschaft gefahren. Am meisten Körner hat er zu zu Beginn investiert. Man sieht in der Analyse wenig Varianz (Streubreite) der Leistung, verhältnismäßig wenige Antritte.
* Golden Cheetah: Open Source Software zur Analyse von Leistungsdaten