Paris-Roubaix ist vielleicht nicht das schwerste, aber das härteste Radrennen der Welt. Den Fahrern stellt sich kaum ein Hügel in den Weg und trotzdem hat sich das Rennen den Beinamen “Hölle des Nordens” redlich verdient. Die Fahrer müssen kilometerweit über brutalstes Kopfsteinpflaster, über die sogenannten Pavés, fahren. Allerdings entstand der Name gar nicht, weil das Rennen für die Fahrer die Hölle ist, sondern bei einer Besichtigung der Strecke nach dem Ersten Weltkrieg. Die Zerstörung der von der Textilindustrie geprägten Region war erschreckend, Millionen von Menschen waren gestorben und ein Reporter schrieb von der “Hölle des Nordens”.
Paris-Roubaix hasst man als Fahrer oder man liebt es. Bernard Hinault hasste es. “Paris-Roubaix est une connerie!”, frei übersetzt: “Paris-Roubaix ist Schwachsinn”, pflegte der Franzose zu sagen. Das hielt ihn natürlich nicht davon ab, das Rennen 1981 zu gewinnen. Den Pflasterstein, den jeder Sieger als Trophäe erhält, drückte er nach der Siegerehrung seinem Sportlichen Leiter in die Hand und sagte voller Verachtung: “Hier hast du deinen Scheiß-Stein.”
Die inzwischen unter Denkmalschutz stehenden Pavés sind zum Teil um die 150 Jahre alt. Man müsse sich das in etwa so vorstellen, als würde man die gesamte Zeit über gegen den Bordstein knallen, sagte John Degenkolb einmal, der Sieger von 2015. Rolf Aldag, heute Sportdirektor bei Red Bull - BORA - hansgrohe, meinte: “Eigentlich ist das Schwachsinn und kein Radrennen, sondern modernes Gladiatorenturnum.” Und Chris Boardman stieß ins gleiche Horn, indem er sagte: “Es ist ein Zirkus. Ich verstehe zwar, warum die Zuschauer das Rennen lieben. Aber ich möchte nicht einer der Clowns sein.”
Die Premiere 1896 gewann in Josef Fischer ein Deutscher. Sein Vorsprung war so groß, dass Fischer die letzten Runden im Velodrom mit einem Glas Sekt in der Hand drehte. Zuvor allerdings hatte er zwei Schrecksekunden zu überstehen. Zunächst brach ein Pferd von der Weide aus und Fischer konnte dem Gaul nur knapp ausweichen. Einige Kilometer später blockierten Kühe den Weg des späteren Siegers. Natürlich hat auch Paris-Roubaix unzählige Geschichten geschrieben. So etwa die von Roger Lapébie: Er hatte wenige Kilometer vor dem Ziel einen Defekt, schnappte sich das Damenrad einer Zuschauerin und schaffte das scheinbar Unmögliche. Er schloss zu den Führenden auf und siegte im Sprint. Doch der gute Lapébie hatte sich zu früh gefreut. Weil das Reglement 1934 noch keinen Radwechsel zuließ, wurde er disqualifiziert.
1949 wurde die Spitzengruppe unmittelbar vor der Radrennbahn von einem verwirrten Streckenposten auf den falschen Weg geleitet. Aber die Rennfahrer fanden einen Nebeneingang und der Franzose André Mahé gewann das Rennen. Nachdem der Italiener Serse Coppi den Sprint der Verfolger gewonnen hatte, protestierte dessen Bruder, der große Fausto Coppi, gegen die Wertung. Die Rennkommissäre gaben dem Protest statt und erklärten Coppi und Mahé gemeinsam zu Siegern.
Der vielleicht größte Pechvogel in der Geschichte des Monuments dürfte Thomas Wegmüller sein. Der Schweizer bog 1988 als Erster auf die Radrennbahn von Roubaix ein, wenige Meter von der “Unsterblichkeit” im Radsport entfernt – an seinem Hinterrad der Belgier Dirk Demol, der deutlich schwächere Sprinter der beiden. Doch dann wehte Wegmüller eine Plastiktüte in die Kette, er konnte vor dem finalen Sprint nicht mehr richtig schalten und statt seiner gewann Demol.
Die Hassliebe gegenüber Paris-Roubaix ist unter Profis jedenfalls immer noch weit verbreitet, was sicher auch daran liegt, dass das Rennen seit 123 Jahren kaum verändert wurde und die anachronistische Jagd über einen für Rennräder ungeeigneten Straßenbelag immer noch die zentrale Herausforderung darstellt. Der Belgier Theo de Rooij fasste das 1985 nach einem Sturz einmal so zusammen: “Dieses Rennen ist ein Witz. Du schuftest wie ein Tier. Du bist bis zur Schulter voll Schlamm. Du hast nicht mal Zeit zu pinkeln, sondern machst dir in die Hose. Es ist ein Haufen Scheiße. Und es ist das wundervollste Rennen der Welt!”