Es ist jedes Jahr ein bis kurz vor dem Start ein mehr oder weniger gut gehütetes Geheimnis: Wie wird die Strecke beim letzten großen Eintagesklassiker der Saison aussehen? Die Überraschung war nun bei der Veröffentlichung durch den Rennveranstalter RCS nicht besonders groß. Die Route der 119. Auflage der Lombardei-Rundfahrt (Il Lombardia) führt am 11. Oktober vom Start in Como nach Bergamo. In den vergangenen Jahren waren jeweils Start und Ziel getauscht worden zwischen den beiden Städten in der Lombardei. “Der Wechsel zwischen Como und Bergamo ist zur Tradition geworden, es garantiert spektakuläre Rennen auf höchsten Niveau. Für diese Ausgabe haben wir uns entschieden, wieder die Route von 2023 zu bringen”, sagt Renndirektor Stefano Allocchio dazu. “Il Lombardia” ist nach Höhenmetern das schwerste Eintagesrennen im Kalender der Profis vor dem Frühjahrsklassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich.
Der Veranstalter spricht von einem großartigen Wochenende für alle Radsportler. “Das ist, was Il Lombardia so einmalig macht: Es gelingt, die gesamte Radsport-Community zusammenzubringen - von den Profis bis zu den Amateuren, in einem international beachteten Fest”, ergänzt Paolo Bellino, CEO von RCS Sport, zur kommenden Auflage. Am Tag nach den Profis gibt es ein Granfondo, ein Jedermannrennen. Allerdings ist es dem Veranstalter bisher nicht gelungen, auch eine Startmöglichkeit für die Profis bei den Frauen zu schaffen, die sich beispielsweise die italienische Giro-Siegerin Elisa Longo Borghini im TOUR-Interview gewünscht hatte. In diesem Jahr hatte RCS nach langer Pause beim zweiten großen italienischen Radsport-Klassiker Mailand-San Remo wieder ein Frauenrennen ergänzt.
Die Strecke im Profirennen ist topographisch anspruchsvoll. Los geht es in Como, bevor es vom Städtchen Asso aus über den Anstieg zur Madonna del Ghisallo geht und eine Abfahrt an den Comer See bei Bellagio folgt. Am Seeufer entlang geht es nach Lecco. Kurz darauf folgt eine dichte Serie von Anstiegen fast ohne Flachstücke. Am Valico di Valpiana erreicht die Steigung maximal 17 Prozent. Nach der Abfahrt vom Passo di Ganda über 19 Kehren folgt die einzige flachere Passage auf dem Weg nach Bergamo. Dort bietet die bis zu 12 Prozent steile, auf 200 Metern gepflasterte Auffahrt zur Porta Garibaldi in die “Città alta”, die Oberstadt, Chancen für letzte Attacken vor der kurze Abfahrt ins Ziel. Insgesamt müssen die Radprofis auf der 238 Kilometer langen Strecke rund 4600 Höhenmeter klettern.
Die finale Startliste gibt es erst kurzfristig. Die Stars sind oft spät im Jahr müde - mit kurzfristigen Absagen muss man rechnen. Für Tadej Pogačar, den aktuell stärksten Radprofi, war das “Rennen der fallenden Blätter” zuletzt ein Pflichttermin. Der 27-jährige will auch in diesem Jahr dabei sein - trotz wichtiger Höhepunkte mit der WM in Ruanda und der EM in Frankreich kurz zuvor. Viermal in Folge hat der Slowene den nach Höhenmetern schwersten Klassiker zuletzt für sich entschieden. Mit einem weiteren Sieg könnte der Radprofi von UAE Team Emirates - XRG zu Fausto Coppi als Rekordgewinner aufschließen. Die diesjährige Fahrtrichtung dürfte “Pogi” besonders liegen - weil im Hinterland von Bergamo besonders viele lange Anstiege im Finale zu bewältigen sind.
Folgende 25 Teams werden mit jeweils maximal sieben Rennfahrern am Start stehen: Die 18 World-Teams sind automatisch dabei: Alpecin - Deceuninck (Belgien), Arkéa - B&B Hotels (Frankreich), Bahrain - Victourious (Bahrain), Cofidis (Frankreich), Decathlon AG2R La Mondiale Team (Frankreich), EF Education - EasyPost (USA), Groupama - FDJ (Frankreich), INEOS Grenadiers (Großbritannien), Intermarché - Wanty (Belgien), Lidl-Trek (USA), Movistar Team (Spanien), Red Bull - BORA - hansgrohe (Deutschland), Soudal Quick-Step (Belgien), Team Jayco AlUla (Australien), Team Picnic PostNL (Niederlande), Team Visma | Lease a Bike (Niederlande), UAE Team Emirates - XRG (UAE) und XDS Astana Team (Kasachstan). Zusätzlich sind auf Basis der UCI-Rangliste die drei Rennställe Israel - Premier Tech (Israel), Lotto (Belgien) und Uno-X Mobility (Norwegen) qualifiziert. Per Einladung des Veranstalters (Wildcard) sind die vier Mannschaften Q36.5 Cycling Team (Schweiz), Team Polti-Visit Malta (Italien), Tudor Pro Cycling Team (Schweiz) und VF Group Bardiani CSF-Faizanè (Italien) mit von der Partie.
Die Mauer von Sormano, einen bis zu 27 Prozent steilen asphaltierten Wirtschaftsweg zum Colma di Sormano, lässt das Profi-Peloton in diesem Jahr aus. Die Abfahrt von dort zum Lago di Como ist technisch sehr anspruchsvoll und tückisch. Viele Rennfahrer stürzten in der Vergangenheit im Downhill schwer, unter anderen Remco Evenepoel. Der Olympiasieger aus Belgien war dort im Jahr 2020 von einer Brücke gestürzt und sagte später: “Ich hätte verbluten oder gelähmt sein können.” Es ging für ihn glimpflich aus mit einem Beckenbruch. Danach war die “Mauer” nicht mehr Teil der Rennstrecke. Im Vorjahr wurde der Anstieg zur Colma di Sormano in umgekehrter Fahrtrichtung bestritten - allerdings mit einer Abfahrt auf der viel flacheren Hauptstraße. Die Kletterprüfung an der Mauer von Sormano, an der sich selbst Radprofis die Beine verbogen haben, zählt aber zum Parcours des Jedermann-Rennens Granfondo Il Lombardia am Tag nach dem Profi-Rennen.