***** Tadej Pogacar
*** Remco Evenepoel
** Enric Mas, Aleksandr Vlasov, Matteo Jorgenson, Marc Hirschi, Ben Healy
* Florian Lipowitz, Adam Yates, Simon Yates, Tom Skujins, Michael Woods, Neilson Powless
* Je mehr Sterne ein Fahrer erhält, desto stärker ist er einzuschätzen
Strade Bianche, Lüttich-Bastogne-Lüttich, Katalonien-Rundfahrt, Giro d’Italia, Tour de France, Straßen-Weltmeisterschaft: Von solchen Siegen träumen die meisten Radprofis eine Karriere lang und können sie nicht erreichen. Tadej Pogacar hat sie allesamt in einer Saison eingefahren. Der Slowene ist momentan fast unantastbar und fährt in einer eigenen Liga. Bei der Rad-WM in Zürich fuhr Pogacar 100 Kilometer vor dem Ziel los - normalerweise ein Himmelfahrtskommando, doch der Slowene zog es erfolgreich durch. Ähnliches Bild beim Giro dell’Emilia am vergangenen Wochenende. Dort setzte sich Pogacar rund 40 Kilometer vor dem Ziel an die Spitze, forcierte das Tempo und triumphierte. Bei der Lombardei-Rundfahrt kann Pogacar wohl nur ein Defekt, ein Sturz oder ein Hungerast stoppen. Ansonsten wäre es eine große Überraschung, sollte er am Samstag nicht ganz oben auf dem Podium stehen. Mit 26 Jahren hätte der Radsport-Superstar dann bereits seinen vierten Sieg beim Rennen der fallenden Blätter eingefahren - es würde nur noch einer fehlen, um mit der italienischen Radsportlegende Fausto Coppi gleichzuziehen und eine jetzt schon historische Saison mit einem weiteren Paukenschlag zu beenden.
Dass wir keine vier Sterne vergeben haben, liegt daran, dass der Leistungsunterschied zwischen Pogacar und dem Rest des Pelotons so eklatant groß ist. Remco Evenepoel ist einer der Kandidaten, die zumindest um das Podium mitfahren dürften. Der Belgier war allerdings zuletzt nicht mehr in der Form seines Olympiasiegs Anfang August. Hätte er die, wäre er sogar jemand, der Pogacar in Bedrängnis bringen könnte. An die Lombardei-Rundfahrt hat Evenepoel nicht die besten Erinnerungen. 2020 stürzte er in der Abfahrt von der Colma di Sormano, die dieses Jahr in umgekehrter Richtung gefahren wird, von einer Brücke und erlitt einen Hüftbruch. Bei seinen beiden anderen Teilnahmen reichte es zu Rang 19 (2021) und 9 (2023).
Der Spanier blüht gerne auf, wenn sich die Saison dem Ende neigt. Das hat er 2022 mit dem Sieg beim Giro dell’Emilia und Rang zwei hinter Pogacar bei der Lombardei-Rundfahrt bereits bewiesen. Von dem oft zögerlich agierenden Spanier ist nicht zu erwarten, dass er das Rennen offensiv gestaltet. Viel mehr würde er davon profitieren, wenn es lange richtig schwer ausgefahren wird. Die Form passt für die Lombardei-Rundfahrt - Mas war zuletzt Achter bei der WM und beim Giro dell’Emilia.
Im Vorjahr war Vlasov Vierter bei der Lombardei-Rundfahrt, 2020 sogar Dritter. Der Russe mag lange und schwere Rennen und ist neben den formstarken Florian Lipowitz und Roger Adria wohl die stärkste Karte von Red Bull-Bora-Hansgrohe am Samstag.
Der US-Amerikaner hat nach seinem Wechsel von Movistar zu Visma | Lease a Bike einen gehörigen Leistungssprung gemacht. Der 25-Jährige mischte sowohl bei den Rundfahrten (Sieger von Paris-Nizza und Achter der Tour de France), als auch bei den Klassikern (Sieger von Quer durch Flandern) vorne mit. Bei seinem Lombardei-Debüt im Vorjahr wurde Jorgenson 23. In diesem Jahr sollte ein vorderer Top-10-Platz möglich sein.
Beginnend mit der Clasica San Sebastian gewann der Schweizer ab Mitte August sechs Eintagesrennen. Wobei oft nicht die absolute Weltspitze am Start stand. Bei der Lombardei-Rundfahrt dürfte er der erste Fahrer sein, der in die Bresche springt, falls Tadej Pogacar ein Problem hat. Ansonsten wird er sich in den Dienst seines Chefs stellen müssen. Wenn der allerdings bereits wieder weit vor dem Ziel losfährt, ist auch für Hirschi vielleicht noch eine Top-Platzierung drin.
Der Ire ist wie immer ein Kandidat für eine frühe Attacke. Bei der WM zuletzt versuchte er es wieder mal mit einer Aktion von weit weg - am Ende sprang Platz sieben dabei heraus. Gemeinsam mit Neilson Powless führt der 24-Jährige ein starkes Team EF Education EasyPost an, zu dem auch der Deutsche Georg Steinhauser gehört.
Florian Lipowitz (Red Bull-Bora-Hansgrohe) konnte seine gute Form von der Vuelta a Espana, wo er als Helfer Siebter wurde, konservieren und fuhr beim Giro dell’Emilia lange auf Platz zwei Pogacar hinterher. Erst bei der letzten Auffahrt zu Wallfahrtskirche von San Luca wurde er gestellt. Bei seinem ersten Monument geht es für den 24-Jährigen darum, Erfahrungen zu sammeln. Kommt er gut durch, ist ihm ein Top-10-Platz zuzutrauen.
Während Il Lombardia für Lipowitz Neuland ist, stand Adam Yates (UAE Team Emirates) dort 2021 als Dritter schon auf dem Podium. Der Brite wird aber wohl für Pogacar arbeiten müssen und kaum Freiheiten haben. Dagegen führt sein Zwillingsbruder Simon Yates Team Jayco-AlUla als Kapitän an. Der 32-Jährige war zuletzt Fünfter des Giro dell’Emilia und schielt auch in der Lombardei auf eine Top-Platzierung, genau wie der Überraschungsvierte der WM Toms Skujins (Lidl-Trek), der starke Kletterer Michael Woods (Israel-Premier Tech) und Neilson Powless (EF Education EasyPost - zuletzt Sieger von Gran Piemonte).