Am Schlustag der Rundfahrt präsentierte sich Jorgenson (Visma | Lease a Bike) dabei stärker als im Rest der Woche. Obwohl der 25-Jährige früh auf sich allein gestellt war, weil alle seine Teamkollegen bereits am ersten Berg den Kontakt zur Spitzengruppe verloren, blieb Jorgenson immer auf der Höhe des Geschehens, parierte alle Attacken von Lipowitz und Co. und ging dann vor dem Col d’Èze, dem vorletzten Anstieg des Tages, selbst in die Offensive.
Dem Vorstoß konnten seine Kontrahenten nicht folgen. Nur Sheffield, der sich zuvor schon aus der Favoritengruppe gelöst hatte, konnte Jorgenson nicht mehr einholen. Am amerikanischen Doppelsieg auf der 8. Etappe änderte das aber nichts. Während der 25-Jährige Jorgenson seinen fünften Sieg als Profi feierte, war es für den drei Jahre jüngeren Sheffield erst der vierte, dabei der erste auf der WorldTour. Im Siegerinterview präsentierte sich der Ineos-Profi hoch emotional, musste immer wieder mit den Tränen kämpfen. “Es ist einfach unglaublich. Ich war sooft Zweiter. Und jetzt hat es endlich gereicht. Das bedeutet mir so viel. Es ist so schwer im Radsport zu gewinnen, egal bei welchem Rennen. Das Team hat immer an mich geglaubt, auch in den schweren Zeiten, das gleiche gilt für meine Familie.”
Jorgenson hingegen nahm seinen Sieg beinahe gelassen, obwohl er erklärte: “Das ist eine große Erleichterung nach all dem Stress. Ich habe vier Monate lang an diese Woche gedacht. Schön, dass ich es geschafft habe. Ich habe alles getan, was mir möglich war und es hat geklappt.” Bei seinem Sieg vor einem Jahr galt Jorgenson als Überraschungssieger - in gewisser Hinsicht ist er das auch dieses Mal. Zumindest unter Berücksichtigung der Konkurrenz, auch aus dem eigenen Lager. Allerdings musste in Jonas Vingegaard der größte Name verletzungsbedingt aufgeben, Joao Almeida (UAE Emirates - XRG) als weiterer Favorit kam mit den schwierigen nasskalten Bedingungen nicht zurecht.
Dazu kommt: Titelverteidigungen bei der “Fernfahrt zur Sonne” sind selten. In diesem Jahrtausend klappte das erst zum dritten Mal. Zuvor gelang das nur Alexandre Vinokourov (2003) und Maximilian Schachmann (2021). Insgesamt gibt es in der 83-jährigen Geschichte des Rennens überhaupt nur 15 Fahrer, die mehr als einmal gewinnen konnten, darunter Rekordsieger Sean Kelly mit sieben Titeln - alle in Serie.
Auch für Florian Lipowitz (Red Bull - BORA - hansgrohe) ist der zweite Platz inder Gesamtwertung, der auch das Weiße Trikot des besten Jungprofis bedeutet, der größte Erfolg seiner Karriere. Bisher waren das für den Quereinsteiger, der urpsrünglich vom Biathlon kommt, Rang drei in der Gesamtwertung bei der Tour de Romandie und PLatz sieben bei der Vuelta Espana im vergangenen Jahr. Im Unterschied zu damals ging der 24-Jährige dieses Mal (mindestens) als Co-Leader ins Rennen, hatte dementsprechend auch den Druck, ein Ergebnis einzufahren. Diese Situation meisterte Lipowitz scheinbar problemlos.
Während sich an den Trägern des Gelben und des Weißen Trikots am Schlusstag nichts mehr änderte, gilt das auch für die anderen beiden Individual-Wertungen. Mads Pedersen (Lidl - Trek) verteidigte mit einem weiteren Husarenritt durch die Berge, der ihn bis zum Schlussanstieg noch an der Spitze sah, sein Grünes Trikot. Das Bergtrikot bleibt auch in der Abschlusswertung auf den Schultern von Thomas Gachignard (TotalEnergies), auch ohne auf der Etappe weitere Punkte einzufahren.
RG | Fahrer | Zeit |
---|---|---|
1 | INEOS Grenadiers | 02:48:37 |
2 | Team Visma | Lease a Bike | +00:00:29 |
3 | Decathlon AG2R La Mondiale Team | +00:00:35 |
4 | Tudor Pro Cycling Team | +00:01:01 |
5 | XDS Astana Team | +00:01:01 |
6 | Red Bull - BORA - hansgrohe | +00:01:01 |
Gerade noch rechtzeitig zum Ende der Rundfahrt sorgte das Wetter nicht mehr für Negativschlagzeilen. Zum Start der letzten Etappen am frühen Nachmittag in Nizza schien die Sonne, dazu gab es 15 Grad - eine willkommene Abwechslung zu Schnee, Regen und einstelligen Temperaturen der zurückliegenden Woche. Dennoch hatten die Bedingungen der letzten Tage ihren Tribut gefordert. Brandon McNulty (UAE Emirates - XRG), Siebenter in der Gesamtwertung, konnte dem Feld wie Adrien Petit (Intermarché - Wanty) und Max Walker (EF Education - EasyPost) schon nach weniger als 20 Kilometern nicht mehr folgen und gab daraufhin auf.
Am vorderen Ende des Pelotons war es auf den ersten Kilometern vor allem Pedersen, der eine Fluchtgruppe initiieren wollte. Nach mehreren erfolglosen Versuchen, an denen sich unter anderem auch Ben O’Connor (Team Jayco AlUla) oder Julian Alaphilippe (Tudor Pro Cycling Team) beteiligten, waren allerdings zunächst alle erfolglos. Bei einem weiteren Angriff nahm Pedersen Georg Steinhauser (EF Education - EasyPost) und Jhonatan Narvaez (UAE Emirates - XRG) mit. Einen großen Vorsprung konnte sich die Gruppe aber nicht herausarbeiten, Pedersen wurde dann als Solist kurz vor dem Col de la Porte (1. Kategorie) gestellt.
Eingeholt wurde der Däne aber nur von einer rund 30-köpfigen Gruppe um Jorgenson, der allerdings der einzige Visma-Profi in der neuen Spitzengruppe war, während vor allem Ineos Grenadiers wieder stark vertreten war. Die Briten führten das Feld über den Gipfel, ehe Pedersen in der Abfahrt wieder attackierte und sich dort erstmals mehr als eine Minute Vorsprung herausfahren konnte.
In der Côte de Peille (1. Kategorie) begannen dann die Angriffe auf Jorgenson. Vor allem Lipowitz machte mehrmals Druck, doch der Gelbe konnte alle Vorstöße parieren. Derweil hatten aber dessen Teamkollege Aleksandr Vlasov und Felix Gall (Decathlon AG2R La Mondiale Team) die kleine Lücke zu Pedersen überbrückt. Mit 20 Sekunden Vorsprung schaffte es das Trio über die Kuppe und sammelte bergab noch ein paar Sekunden dazu, die es mit in den unkategorisierten, aber mit einer Sprintwertung versehenen Col d'Èze nahm. Dort sammelte Pedersen die Punkte ein.
Derweil war Magnus Sheffield (Ineos Grenadiers) in der Abfahrt ebenfalls ausgerissen und hatte bis zum Èze die Lücke zu Pedersen geschlossen. Das Duo ließ im Bergaufsprint Vlasov und Gall stehen. Zu den beiden war zu diesem Zeitpunkt dann aber auch Jorgenson vorgefahren, der einen schläfrigen Moment von Lipowitz und der Gruppe genutzt hatte um sich zu lösen.
In der Abfahrt vom Èze ging die Lücke zwischen der Jorgenson-Gruppe und Lipowitz und Co. auf eine Minute auf. Und so ging es in den Col des Quatre Chemins. Dort konnte Sheffield Pedersen direkt auf den ersten Metern bergauf abschütteln. Der Däne versuchte, sich dahinter bei Jorgenson festzubeißen, musste aber auch dieses Trio ziehenlassen.
Derweil musste sich Lipowitz nochmal einem Angriff von Arensman erwehren. Mithilfe von Vlasov, der dann aber zurückgefallen war und sich vor seinen Landsmann spannte, gelang das. Auch Gall versuchte, Jorgenson bergauf in die Schranken zu weisen, konnte den Amerikaner aber nicht abschütteln. Der hingegen ging auf den letzten Kilometern in der Abfahrt hinunter nach Nizza nochmal volles Risiko und versuchte, Sheffield noch den Tagessieg streitig zu machen. Doch Sheffield behielt als starker Abfahrer seine Nerven und auch seinen Vorsprung und konnte so den Tagessieg sicher nach Hause bringen.