Giro d’ItaliaGiro-Sieger Nairo Quintana kehrt zurück

Tom Mustroph

 · 01.05.2024

Giro d’Italia: Giro-Sieger Nairo Quintana kehrt zurückFoto: dpa / pa / Roth
Am Gipfel: 2014 gewann Nairo Quintana die Bergetappe auf den Monte Grappa und den Giro.
Nairo Quintana möchte beim Giro d’Italia alte Stärke zeigen und Imageschäden beheben. Seit dieser Saison steht er nach einjähriger “Pause” beim Team Movistar unter Vertrag. Wie stehen seine Chancen beim Giro?

Die Zeiten ändern sich. Als Nairo Quintana vor zehn Jahren den Giro d’Italia gewann und im rosa Trikot in Triest einfuhr, stand ein 15-jähriger Jüngling aus Slowenien an der Strecke und applaudierte heftig. Gut, der Beifall von Tadej Pogacar galt Landsmann Luka Mezgec, der damals die Etappe gewann. Aber der schmächtige Quintana war seinerzeit die Jubelfigur der Stunde, der erste Kolumbianer, der die Italien-Rundfahrt gewann, und der einzige, dem man auch zutraute, bei der Tour die Dominanz von Team Sky zu brechen.

Eine Dekade später ist Sky – heute Ineos Grenadiers – fast schon ein Trauerfall, wenn es um Erfolge im Straßenradsport geht. Pogacar, der Zuschauer von einst, ist hingegen zum Coverboy der Branche aufgestiegen. Und Quintana ist ein kleiner älterer Mann, der vor allem auf Revanche aus ist. Sportlich will er zeigen, dass noch mit ihm zu rechnen ist. Vor allem aber will er seine Karriere nicht als vermeintlicher Dopingsünder beendet wissen.

Nairo Quintana: Dopingfall 2022

Nach der Tour de France 2022 wurde der Kolumbianer wegen zweier positiver Tests auf das Schmerzmittel Tramadol von der UCI suspendiert. Die Resultate wurden ihm aberkannt – immerhin ein sechster Gesamtrang sowie Platz zwei auf der Bergetappe zum Col du Granon, bei
der Jonas Vingegaard den Grundstein für seinen ersten Tour-Triumph legte. Das damalige Team Arkea-Samsic distanzierte sich umgehend von Nairo Quintana und nahm ihn aus dem Aufgebot für die Vuelta. Weil Tramadol aber noch nicht auf der Dopingliste der WADA stand, wurde der Fahrer nicht gesperrt. Er trat sogar für Kolumbien bei der anschließenden WM an. Das war für mehr als ein Jahr allerdings Quintanas letzter großer Auftritt im internationalen Radsport. Ab da sah man ihn nur bei den Landesmeisterschaften.

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Zu Beginn der Saison schloss sich Nairo Quintana dem Team Movistar an.Foto: Team MovistarZu Beginn der Saison schloss sich Nairo Quintana dem Team Movistar an.

Rückkehr in den Profiradsport

Zu Beginn der Saison holte ihn aber sein altes Team Movistar zurück an Bord. Die Gründe sind vielfältig. Dem Rennstall mangelt es an Spitzenfahrern. Der bereits mit einem Vorvertrag verpflichtete Carlos Rodriguez entschied sich doch, bei Ineos Grenadiers zu bleiben. Der US-Amerikaner Matteo Jorgenson bevorzugte Visma | Lease a Bike für seinen weiteren Karriereweg – und gewann für den neuen Rennstall gleich die Fernfahrt Paris-Nizza. Als Star allein im Haus blieb der ewige Enric Mas. Quintana soll ihn mit guten Platzierungen etwas entlasten.

“Nairo ist nicht mehr auf dem Niveau von seinen besten Jahren. Aber er kann immer noch gute Ergebnisse einfahren, gehört im Hochgebirge noch immer zur erweiterten Weltelite”, begründet Teamchef Eusebio Unzue den Schritt. Ein weiteres Motiv ist eher emotionaler Natur. “Der Radsport war ungerecht zu Nairo. Wir wollen ihm eine Möglichkeit der Rehabilitation geben”, sagt Unzue und spielt auf die Suspendierung Quintanas an sowie die Scheu anderer Teams, ihn in der Saison 2023 zu verpflichten.

Neben dem befürchteten Imageschaden dürfte bei vielen Rennställen auch eine Rolle gespielt haben, dass Quintana nicht als einfacher Charakter gilt. “Unter den Leadern, mit denen ich zu tun hatte, war Quintana eindeutig der schwierigste”, meinte nach seinem Karriereende der Australier Rory Sutherland, drei Jahre lang Teamkollege des Kolumbianers und auch einer von dessen Helfern beim Vuelta-Sieg 2016. “Er trifft vor allem emotionale Entscheidungen und vertraut nicht immer dem Team”, begründete Sutherland seine Aussage.

Chancen auf den Gesamtsieg beim Giro?

Inwieweit die mehr als einjährige Rennpause Quintana in dieser Hinsicht verändert hat, inwiefern auch Movistar mit dem eigenwilligen Oldie besser umzugehen vermag, wird der Giro zeigen. Die Aussichten auf einen Gewinn der Rundfahrt sind begrenzt. Vor allem die vielen Zeitfahrkilometer kommen ihm nicht entgegen. Seine Vorbereitung wurde zudem durch eine Covid-19-Infektion im Frühjahr und eine Bänderverletzung im Arm erschwert. Andererseits kennt er viele Berge.

An den möglicherweise entscheidenden Monte Grappa, der am vorletzten Tag gleich zweimal befahren wird, hat er zudem allerbeste Erinnerungen. Dort gewann er 2014 das Bergzeitfahren. Zehn Jahre später muss er beweisen, dass er nicht nur allein, sondern auch mit dem Team an diesem Anstieg der Beste sein kann.


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