Sebastian Lindner
· 28.05.2025
Es war genau die richtige Reaktion, die es im UAE-Lager gebraucht hatte, um den schwierigen Vortag zu verdauen. Da schien es nur eine Frage der Zeit, wann Del Toro Rosa abgibt. Schon heute, oder doch erst am Freitag auf der Königsetappe. Der 21-Jahre alte Mexikaner hat zumindest Ersteres verneint und nach drei zweiten Plätzen im Laufe der Rundfahrt nun seinen ersten Sieg bei einer Grand Tour eingefahren. Dafür attackierte der Mann in Rosa am letzten Anstieg des Tages. Nur Carapaz konnte folgen. In der sich anschließenden Abfahrt fuhr das Duo auf den letzten verblieben Ausreißer Bardet auf.
Ins absolute Finale, das wieder leicht bergauf führte, nahm Del Toro dann eine kleine Lücke von wenigen Metern mit, die Carapaz und Bardet ohne Windschatten nicht mehr schließen konnten, sodass der Mann in Rosa nicht nur Bonifikationen, sondern auch vier Sekunden Zeitabstand auf den Ecuadorianer mitnehmen konnte, der nun sein ärgster Verfolger ist, weil Simon Yates (Team Visma | Lease a Bike) in der Gruppe dahinter als Vierter ins Ziel fuhr. 41 Sekunden hat Del Toro nun Vorsprung auf Carapaz in der Gesamtwertung, zehn weitere auf Yates.
“Ich hatte gehofft, dass ich im Maglia Rosa eine Etappe gewinnen kann”, freute sich Del Toro im Sieger-Interview. “Der Giro ist bisher sehr gut verlaufen. Heute habe ich gemerkt, dass ich niemals aufgeben werde. Ich werde immer versuchen, zu gewinnen. Ich habe nichts zu verlieren. Es war heute nicht einfacher als gestern. Mit dem Team haben wir erwartet, dass es auf dem Mortirolo einige Attacken geben würde. Wir wollten nicht alle GC-Fahrer ziehen lassen. Ich bin zu ihnen rübergefahren und habe es ein bisschen ruhiger angehen lassen. In der Abfahrt habe ich sie dann eingeholt. Wir hatten mit dem Team den Plan gefasst, dass ich am letzten kleinen Anstieg angreifen würde.“
Lanciert von seinen drei Helfern Adam Yates, Brandon McNulty und Rafal Majka - Juan Ayuso zählte direkt nach Etappenstart zu den ersten Abgehängten und erreichte das Ziel letztlich mit anderthalb Minuten Vorsprung auf den Letzten eine gute halbe Stunde hinter seinen Teamkameraden - stellte Del Toro einmal mehr seine Antrittsstärke unter Beweis.
Weniger gut lief es erneut für Antonio Tiberi (Bahrain - Victorious). Der eigentliche Kapitän der Mannschaft bekam schon früh am Mortirolo Probleme und kassierte zehn Minuten Rückstand, womit er weit aus den Top 10 der Gesamtwertung viel. Einmal mehr muss damit Altmeister Damiano Caruso die Kohlen aus dem Feuer holen. Der 37-Jährige kam in einer Gruppe mit Yates, Giulio Pellizzari (Red BUll - BORA - hansgrohe), Derek Gee (Israel - Premier Tech) und auch Einer Rubio (Movistar Team) ins Ziel. Durch das Zurückfallen von Tiberi und auch Michael Storer (Tudor Pro Cycling Team) rückte damit neben Egan Bernal (INEOS Grenadiers), der allerdings etwas mehr Zeit verlor, ein zweiter Kolumbianer in die Top 10 vor.
Bester Deutscher wurde einmal mehr Storer-Helfer Florian Stork. Auch der 28-Jährige kam mit Bernal ins Ziel, war zuvor lange Teil der Ausreißergruppe und wurde erst im finalen Anstieg gestellt. Er wurde 14. mit etwas mehr als einer Minute Rückstand. Auch Georg Steinhauser (EF Education - EasyPost) gehörte zu dieser Gruppe, wurde aber zurückbeordert, um Carapaz zu unterstützen.
RG | Fahrer | Zeit |
---|---|---|
1 | UAE Team Emirates - XRG | 03:58:48 |
2 | Team Picnic PostNL | +00:00:04 |
3 | EF Education - EasyPost | +00:00:04 |
4 | Team Visma | Lease a Bike | +00:00:15 |
5 | Red Bull - BORA - hansgrohe | +00:00:16 |
6 | Israel - Premier Tech | +00:00:16 |
Erneut war der Kampf um die Spitzengruppe beinahe schon erbittert ausgefahren. Auf dem bis zum Pass del Tonale fast durchgehend leicht ansteigenden Terrain versuchten sich zwar von Mads Pedersen (Lidl - Trek) über Lorenzo Fortunato (XDS Astana Team) bis hin zu Wout van Aert (Visma | Lease a Bike) wieder die großen Namen, doch sie kamen genauso wenig wie alle anderen. Am Zwischensprint in Cles sicherte sich Pedersen die Punkte, zog danach aber durch und sorgte damit für den Bruch im Feld. Vor allem das UAE Team Emirates - XRG zeigte sich dort wie am Vortag zunächst haarsträubend unorganisiert, Del Toro musste den Sprung nach vorne als Solist meistern. Und Ayuso war bereits früh wieder weit abgeschlagen.
Nach gut 30 Kilometern bildete sich dann aber doch eine große Gruppe mit bis zu 50 Fahrern, in der dann aber keine Klassement-Aspiranten dabei waren. Dafür aber fast alle deutschen Profis, die im Rennen sind. Das Peloton nahm daraufhin die Beine hoch, die Lücke ging rasant auf, schnell waren es drei Minuten. Dennoch lief es nicht perfekt, die Kräfteverhältnisse waren ungleich verteilt.
Am Tonale-Pass siebte sich die Gruppe aus und verkleinerte sich etwa bis auf die Hälfte. An der Bergwertung (2. Kategorie) sicherte sich Fortunato die Punkte. Mit Steinhauser, Stork und Marco Brenner (Tudor Pro Cycling Team) waren noch drei Deutsche dabei. Das Hauptfeld überquerte den Pass mit drei Minuten Rückstand. In der Abfahrt waren noch ein paar Fahrer zurückgekommen, sodass 24 Mann gemeinsam mit vier Minuten Vorsprung in den Mortirolo gingen.
Mitte des Anstiegs bekam mit Tiberi der erste Top-10-Fahrer Probleme. INEOS erhöhte daraufhin das Tempo und sortierte den Italiener endgültig aus. Derweil schrumpfte auch der Vorsprung der Ausreißer auf unter drei Minuten. Daniel Felipe Martinez (Red Bull - BORA - hansgrohe) wurde es daraufhin zu heiß - er attackierte fünf Kilometer vor der Passhöhe. Der Großteild er Gruppe kam aber bis zur Bergwertung (1. Kategorie) zurück. Und dort war nicht Fortunato vorn, sondern Afonso Eulalio (Bahrain - Victorious). Der Portugiese ging mit einer paar Sekudnen Vorsprung auf Stork, Steinhauser, Fortunato, Martinez, Bardet und McNulty.
In der Favoritengruppe attackierte gut einen Kilometer vor der Höhe Carapaz, nachdem seine Helfer das Tempo verschärft hatten und del Toro, Yates und Bernal Probleme bekamen. Auch Gee, Rubio und Pellizzaru konnten den Ecuadorianer nicht halten. In der Abfahrt lief vieles wieder zusammen, doch konnten Carapaz, der Unterstützung von Steinhauser bekam, Pellizzari und Rubio rund 20 Sekunden retten.
Vorne wiederum fanden sich Eulalio, Bardet und Mattia Cattaneo (Soudal Quick-Step) zusammen, von hinten rollten Stork und Fortunato wieder ran und gingen zusammen auf die letzten 30 Kilometer. Doch schon kurz darauf gab es vorne wie hinten Zusammenschlüsse. Während die fünf Spitzenreiter von Martinez, Mathias Vacek (Lidl - Trek) und Wilco Kelderman (Visma | Lease a Bike) eingeholt wurden, waren auch für Carapaz und Co. von der Gruppe Rosa gestellt.
In den letzten Anstieg des Tages ging die Spitzengruppe nur noch mit einer knappen Minute, schnell war davon die Hälfte verbraucht. Dann versuchte es Stork, doch Bardet attackierte drüber. 800 Meter vor der Bergwertung war der Franzose der einzige, der noch vor den Favoriten unterwegs war. Und dann attackierte Del Toro. Nur Carapaz konnte mitgehen. Das Duo hatte Bardet auf den letzten abschüssigen Kilometern mit viel Risiko schnell gestellt.
Von hinten drohte keine Gefahr mehr, wenngleich die Gruppe um Yates, Gee und Pellizzari ihren Rückstand gering halten und Schadensbegrenzung betreiben konnte. Kurz bevor es auf den wieder leicht ansteigenden Schlusskilometer ging, nutzte Del Toro die letzten Meter der Abfahrt, um sich dreo, vier Meter Vorsprung auf Carapaz herauszufahren. Und die reichten, damit sein Verfolger nicht mehr vom Windschatten profitieren konnte. Carapaz konnte die Lücke nicht mehr schließen, weil dein Rivale in den letzten Kurven auch mit mehr Leichtigkeit unterwegs war. So fing sich Carapaz vier Sekunden Zeitverlust ein. Dazu kamen noch sechs Sekunden durch Zeitbonifikationen, weil Bardet auf der Ziellinie auch noch vorbeifuhr.