Sebastian Lindner
· 14.05.2024
Mitunter ist es abenteuerlich, wie RCS die Giro-Etappen bewertet. Bestes Beispiel ist der Vergleich zwischen der 10. Etappe und dem Teilstück davor. Beide Tage haben nach offizieller Angabe eine Schwierigkeit bei drei von fünf Sternen. War die 9. Etappe zwar relativ lang, aber dennoch überwiegend flach, wartet nun eine Bergankunft in Bocca della Selva. Der 17,9 Kilometer lange Schlussanstieg der 1. Kategorie ist der längste der gesamten Rundfahrt.
Vielleicht fließt in die Bewertung der Organisatoren aber auch der Ruhetag vor der 10. Etappe mit ein. Um sich erstmal wieder an den Rennmodus zu gewöhnen, sind die ersten 45 Kilometer nach dem Start des zwar mit wenig Giro-Tradition ausgestattenen, dafür historisch umso bedeutenderen Pompei komplett flach. Auf den verbliebenen knapp 100 Kilometern des Tages sind ebene Abschnitte im Profil allerdings Mangelware.
Nun, da sich der Giro quasi auf dem Rückweg nach Norden befindet - Pompei ist die am weitesten südlich gelegene Stadt im 2024er Kurs - geht es auch wieder zurück in den Apennin. Langsam wird das Terrain welliger, zunächst mit unkategorisierten, aber steilen Steigungen. Nach 82 Kilometern ist am Camposauro (2. Kategorie) der erste Höhepunkt des Tages erreicht, an den sich eine lange Abfahrt anschließt. Für weitere 30 Kilometer bleibt das Profil wellig, dann ist mit Cusano Mutri die Zielgemeinde erreicht.
Schluss ist allerdings erst in der kleinen, keine 30 Einwohner zählenden und zu Cusano Mutri gehörenden Siedlung Bocca della Selva, knapp 1000 Höhenmeter weiter oben. Der Giro passierte die Gipfelhäuser zwar schon zweimal, doch eine Etappe endete dort noch nie. 2021 führte die 8. Etappe über den Berg, allerdings aus der anderen Richtung. Victor Lafay gewann später die Etappe aus einer Ausreißergruppe heraus, Nikias Arndt wurde Dritter.
2016 kamen die Fahrer aus der gleichen Richtung wie auch nun wieder, aus Südosten. Damals war Tim Wellens der Stärkste einer Ausreißergruppe. Die Südostrichtung ist die schwerere weil längere Anfahrt. 5,6 Prozent im Schnitt lassen zwar einen Anstieg der Kategorie Rollerberg vermuten, doch da gerade der letzte Teil doch noch deutlich steiler ist, was aber durch die schiere Gesamtlänge verwässert wird, passt das nicht ganz.
18 Kilometer am Stück bergauf sind viel. Gerade durch das steilere Finale wird das eine echte Herausforderung. Der moderne Radsport kennt große Abstände zwischen dem Hauptfeld und Ausreißern nur noch in Ausnahmefällen, weshalb die Chancen auf das erfolgreiche Abschließen einer Fluchtgruppe eher gering sein dürften.
Doch auch große Abstände zwischen den Favoriten im Gesamtklassement - ausgenommen vielleicht zwischen Tadej Pogacar und dem Rest des Feldes, doch das gilt nahezu an jedem Tag dieser Rundfahrt, an dem es in irgendeiner Form bergauf geht - sind eher unwahrscheinlich. Dafür ist der Berg am Ende doch nicht steil genug.