Mountainbike-Profis im StraßenradsportVom Trail auf den Asphalt

Angriffslustig: Mona Mitterwallner (vorne) zeigt ihren Ehrgeiz im Trikot von Human Powered Health Ehrgeiz auch auf der Straße.
Foto: Luc Claessen/Getty Images
Profi-Mountainbiker beweisen, im Straßenradsport, dass große Erfolge in unterschiedlichen Radsport-Disziplinen möglich sind. Wie Mathieu van der Poel oder Tom Pitcock folgten zuletzt die Mountainbike-Weltmeister Alan Hatherly und Mona Mitterwallner dem Lockruf der Straße, auf der sich auch einfach mehr Geld verdienen lässt.

Schon bei der Kontaktaufnahme merkt man, dass es zwei Welten sind – der Straßenradsport und die Mountainbike-Szene. Eine Weltmeisterin, die ihre Interviewtermine noch selbst organisiert? Das gibt es bei den großen Rennställen im Straßenradsport schon länger nicht mehr – auch wenn dort die Frauen noch weit zugänglicher sind als die männlichen Berufskollegen.

Mona Mitterwallner hingegen meldet sich schnell persönlich, als wir Interesse an ihrem Werdegang und ihrem Wechsel in den Straßenradsport erkennen lassen. Zweimal hat sie das Regenbogentrikot im Mountainbike-Marathon der Frauen gewonnen – bei der Premiere als bisher jüngste Athletin im zarten Alter von 19 Jahren.

Auch zwei Weltcuprennen in der olympischen Disziplin Cross-Country hat sie für sich entschieden, belegte in der Gesamtwertung der wichtigsten Rennserie im Jahr 2023 Rang drei. Sie zählt zur Weltspitze auf dem Mountainbike. Aber das reicht ihr nicht.

Tom Pidcock hat einen Stammplatz auf der Radsport-Favoritenliste. Dabei ist es egal, ob der Brite auf einem Rennrad oder auf einem Mountainbike sitzt.Foto: Bartek Wolinski/Red Bull Content PoolTom Pidcock hat einen Stammplatz auf der Radsport-Favoritenliste. Dabei ist es egal, ob der Brite auf einem Rennrad oder auf einem Mountainbike sitzt.

Der Traum: Erste Frau bei der Tour der Männer

Man muss nicht lange mit der 23-jährigen Österreicherin reden, um zu erkennen: Sie liebt die Herausforderung. Das Neue. Das scheinbar Unmögliche. In dem zierlichen Körper steckt eine starke Persönlichkeit, unbändiger Ehrgeiz. Anders als viele Konkurrentinnen scheut sie nicht davor zurück, extrem hochgesteckte Ziele sehr klar zu formulieren. Und sich damit auch selbst unter Druck zu setzen.

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Das mit den hochgesteckten Zielen sei schon immer so gewesen, erzählt sie in Tiroler Dialekt am Telefon. Schon als Kind habe sie ein klares Lebensziel gehabt: „Ich wollte die erste Frau sein, die bei der Tour de France der Männer mitfährt.“ Man könnte bescheidenere Ziele nennen.

Immerhin hat sich zuletzt einiges im Frauen-Radsport verändert. Seit drei Jahren gibt es die Tour de France Femmes, die es binnen kürzester Zeit geschafft hat, das wichtigste Rennen im Frauen-Radsport zu werden und neue Aufmerksamkeit für das bisher finanziell schwächer gestellte Geschlecht zu erzeugen. Jetzt will Mona Mitterwallner eben zur Tour der Frauen und herausfinden, ob sie dort ganz vorne mitmischen kann. „Die Tour de France – das ist der Traum von vielen Radfahrern“, betont sie.

Angriffslustig: Mona Mitterwallner (vorne) zeigt ihren Ehrgeiz im Trikot von Human Powered Health Ehrgeiz auch auf der Straße.Foto: Luc Claessen/Getty ImagesAngriffslustig: Mona Mitterwallner (vorne) zeigt ihren Ehrgeiz im Trikot von Human Powered Health Ehrgeiz auch auf der Straße.

Zur Saison 2025 hat sie einen Vertrag als Straßenprofi beim World-Tour-Team Human Powered Health unterschrieben – dort will man ihre Ambitionen unterstützen, obwohl sie auch künftig nicht alles auf den Straßenradsport setzen will. Für das Mondraker-Team will sie zusätzlich auch im Gelände weiter ganz vorne mitmischen.

Ein Trend? Von Trails auf Asphalt

Aber jetzt steht erst einmal ein erster großer Test für die Debütantin auf der Straße bevor: Bei der Vuelta Femenina, der Spanien-Rundfahrt der Frauen, will sie vom 4. bis 10. Mai 2025 auf den sieben Etappen herausfinden, wie weit für sie der Weg an die Weltspitze im Straßenradsport ist – gerade bei den beiden Bergankünften an den Lagunas de Neila und auf dem Alto de Cotobello.

45 Kilo bei 1,58 Metern: Mitterwallners Wettkampfgewicht ist so etwas wie ein Geschäftsgeheimnis.

„Ich bin eine Kletterin“, betont sie – bei 1,58 Meter Größe wiegt sie rund 45 Kilogramm. Ihr Wettkampfgewicht ist so etwas wie ein Geschäftsgeheimnis. Vielleicht haben alle, auch Mitterwallner, danach eine Ahnung bekommen, ob sich die Tour-Siegerinnen Demi Vollering und Kasia Niewiadoma vor der zierlichen Österreicherin künftig in Acht nehmen sollten.

Mitterwallner ist kein Einzelfall – sie ist ein augenfälliges Beispiel für einen Trend. Reihenweise versuchen sich langjährige Mountainbiker auf Asphalt. Landsfrau Laura Stigger, die Schweizerin Steffi Häberlin (beide SD Worx-Protime), Olympiasiegerin Pauline Ferrand-Prévot (Visma-Lease a Bike) und Weltmeister Alan Hatherly (Jayco-AlUla) wollen wie Mitterwallner Straßenrennen auf höchstem Niveau bestreiten und haben Verträge bei Rennställen der international ersten Liga unterschrieben.

Alan Hatherly im Weltmeistertrikot auf seinem Cross-Country-Bike.Foto: Piotr Staron/Getty ImageAlan Hatherly im Weltmeistertrikot auf seinem Cross-Country-Bike.

Was sie verbindet: Alle suchen sie nach neuen Reizen am Ende eines Olympia-Zyklus, der im vergangenen Sommer mit den Spielen in Paris endete. Was sie trennt: Mit wie viel Ehrgeiz sie den Wechsel vorantreiben, wie hoch sie ihre Ziele stecken und wie viel Platz sie den Mountainbike-Rennen noch einräumen.

Mitterwallner will möglichst beide Disziplinen auf höchstem Niveau bestreiten. Das ist eine Gratwanderung. Ferrand-Prévot sagte jüngst, sie glaube nicht, dass sie beide Disziplinen auf höchstem Level vereinbaren könne. Besser gesagt: Nicht mehr.

Cross-Country-Star Pauline Ferrand-Prévot gewann kürzlich das Prestige-Rennen Paris-Roubaix – auf schmalen Reifen.Foto: Dario Belingheri/Getty ImagesCross-Country-Star Pauline Ferrand-Prévot gewann kürzlich das Prestige-Rennen Paris-Roubaix – auf schmalen Reifen.

Die 33-jährige Französin weiß, wovon sie spricht: 2014/2015 war sie die bisher Einzige, die im Elitesport die WM-Titel auf der Straße, im Cyclocross und auf dem Mountainbike gleichzeitig hielt. Ein einmaliges Kunststück?

Alles für den Tour-Sieg: Olympiasiegerin diszipliniert sich

Ferrand-Prévot hat nach Olympia-Gold dem Cross-Country-Sport Adieu gesagt – sie will in den kommenden drei Jahren alles dem Versuch unterordnen, die Tour de France der Frauen zu gewinnen.

Der amtierende Weltmeister und Olympia-Dritte Hatherly fährt zwar zweigleisig, plant seine Saison aber auch zweigeteilt: Straßenrennen bis in den Mai, danach konzentriert sich der 29-jährige Südafrikaner auf die Weltcups im Gelände und will im September im schweizerischen Crans-Montana den Titel als weltbester Biker verteidigen – vermutlich wird er es dort mit Olympiasieger Tom Pidcock und Ex-Straßen- und Cyclocross-Weltmeister Mathieu van der Poel zu tun bekommen.

Die beiden waren die Vorreiter, haben einer ganzen Generation den Weg geebnet, zu einer Art Work-Life-Balance zwischen Hauptberuf Straßenradprofi und einer Art Gute-Laune-Nebenjob auf Stollenreifen.

Hier sehen wir Alan Hatherly (vorne) im Trikot seines Straßen-Teams.Foto: Szymon Gruchalski/Getty ImagesHier sehen wir Alan Hatherly (vorne) im Trikot seines Straßen-Teams.

Doch auch bei diesen beiden Ausnahmetalenten sieht man: Der ständige Wechsel zwischen den beiden Radgattungen erfordert exakte Saisonplanung und ein Straßenteam, das mitspielt. Ein schneller Radwechsel, dann Erfolg in der jeweils anderen Disziplin – das funktioniert nach Meinung von Experten nicht. Training und Wettkampfbelastung sind zu unterschiedlich, erfordern gezielte Vorbereitung.

Vielleicht gibt sich auch deshalb Hatherly – anders als Mitterwallner – zurückhaltend, was große Ziele angeht. „Ich habe in meiner Karriere einen Punkt erreicht, an dem ich nach neuen Möglichkeiten gesucht habe, um mich weiterzuentwickeln. Ich habe Straßenrennen schon in den vergangenen Jahren als Saisonvorbereitung genutzt, jetzt tue ich es eben auf einem höheren Niveau. Es ist Teil eines langfristigen Prozesses, um mich als Sportler zu verbessern“, erläutert er, warum er den Vertrag beim australischen Straßen-Rennstall Jayco-AlUla unterschrieben hat.

Die Tirolerin Laura Stigger, Zweite im Gesamtweltcup und Olympia-Sechste, war als Juniorin 2018 bereits Weltmeisterin auf der Straße – jetzt startet sie eine Art „Schnupperpraktikum“, das ihr Straßen-Olympiasiegerin Anna van der Breggen vermittelte. Beide trafen sich vor Jahren während eines Höhentrainingslagers der Niederländerin im Kühtai, einem Bergdorf nahe Stiggers Heimatort Haiming. „Ich freue mich, Erfahrung zu sammeln”, sagt Stigger zu Beginn ihres Zwei-Jahres-Kontrakts bei ihrem neuen Rennrad-Team. Nicht mehr und nicht weniger.

Hier fliegt Laura Stigger noch auf dem Mountainbike durch die Luft. Dieses Jahr will sie an ihren Junioren-Weltmeistertitel auf der Straße anknüpfen.Foto: Billy Ceusters/Getty ImagesHier fliegt Laura Stigger noch auf dem Mountainbike durch die Luft. Dieses Jahr will sie an ihren Junioren-Weltmeistertitel auf der Straße anknüpfen.

Stigger, Hatherly und Mitterwallner wollen das Beste aus beiden Radsport-Welten mitnehmen, sich auch durch den Straßenradsport als Mountainbiker entwickeln. „Straßenrennen helfen den Mountainbikern, auf ein höheres Niveau zu kommen – daher macht es absolut Sinn. Es geht um die hohe aerobe Belastung bei Rennen, vor allem bei Rundfahrten. Das bringt einen sehr großen Stimulus, den man über Training fast nicht hinbekommt“, betont Radsport-Trainer Dan Lorang. Aber es reizt mehr als nur die physische Verbesserung, behauptet Mitterwallner: „Beide Sportarten sind im Aufwind. Ich will bei diesen großen Entwicklungen mitmachen.“

Im Straßenrennsport war die Wiedergeburt der Tour de France für die Frauen vor drei Jahren eine mächtige Anschubhilfe. Bei den Mountainbikern sieht mancher, dass sich neue Märkte auftun könnten, seit der US-Konzern Warner Bros. Discovery, im deutschen Sprachraum vor allem durch seine Plattform Eurosport bekannt, nicht nur die TV-Rechte innehat, sondern als Veranstalter der wichtigsten Rennserie auftritt.

„Es ist eine gute Zeit für den Mountainbikesport, um an Geld außerhalb der Radsportindustrie zu kommen“, sagt Tim Vanderjeugd, Verantwortlicher für das Sportmarketing bei US-Radhersteller Trek. Man könnte das auch als Aufforderung an die Bike-Szene verstehen, die Chance zu nutzen, neue Geldquellen aufzutun. Bisher ist der Aufwind für die Offroad-Szene eher ein Gefühl, harte Fakten fehlen.

Alan Hatherly und Tom Pidcock treten im Gelände und auf der Straße gegeneinander an.Foto: Piotr Staron/Getty ImagesAlan Hatherly und Tom Pidcock treten im Gelände und auf der Straße gegeneinander an.

Einer, der die Bike-Szene seit rund 40 Jahren begleitet, bremst die Euphorie: Thomas Frischknecht, einst Weltmeister und Weltcupsieger, jetzt Teamchef von Scott-SRAM, sieht den Mountainbikesport weiterhin auf der Stelle treten. Die Hoffnung auf neue, große Geldquellen hat sich bisher nicht erfüllt – als Sponsoren treten noch immer fast nur Vertreter der aktuell eher klammen Radbranche auf.

Straßenradsport finanziell gesehen bessere Option

Sondieren also die Mountainbiker aktuell den Arbeitsmarkt, erwägen langfristig den Job- und Disziplinwechsel – setzt eine Gelände-Flucht aus wirtschaftlichen Gründen ein? Die Sportler verneinen unisono. Frischknecht will das nicht wirklich glauben: „Mountainbiken hat sich von der wirtschaftlichen Seite her nicht so gut entwickelt wie der Straßenrennsport, in dem einfach bedeutend mehr Geld drin ist. Das ist meines Erachtens der Hauptgrund, wieso man so viele Mountainbiker im Straßenrennsport sieht: das Geld, das sehr verlockend ist.“

Ungefähr drei Dutzend Mountainbiker haben Aussicht auf einen lukrativen Job.

Die mittlerweile ergraute Eminenz des Bikesports rechnet vor, dass im aktuellen Modell des Weltcups vielleicht drei Dutzend Mountainbike-Rennfahrer Aussicht auf einen lukrativen Job haben. „Selbst für Helfer auf der Straße beginnen die Saläre viel weiter oben als bei einem guten Bikeprofi“, weiß Frischknecht. Das hat Folgen für den Arbeitsmarkt Radsport: Allein die erste Liga des Straßenradsports, die World-Tour, bietet in den 18 Mannschaften mehr als 500 Radsportlern Lohn und Brot – inklusive eines garantierten Mindestgehalts von rund 44.000 Euro.

Wer wird am Ende Recht haben – wo führt der Weg, der Trend hin? Der Straßenradsport darf sich jedenfalls auf neue Talente, neue Gesichter, vielleicht auch neue Sieger freuen. Die gute Nachricht für den Mountainbikesport: Hatherly ordnet aktuell noch alles einem ganz großen Ziel unter: Olympia-Gold 2028 in Los Angeles. Auf dem Mountainbike.

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