Tim Farin
· 01.06.2006
Bei der Tour de France 2005 war Alejandro Valverde der einzige Konkurrent, der dem übermächtigen Lance Armstrong einen Etappensieg abjagen konnte. Es sprechen allerdings noch ein paar Gründe mehr dafür, dass 2006 ein Valverde-Jahr werden könnte. TOUR hat Spaniens größte Radsport-Hoffnung beim Training auf Mallorca besucht.
Alejandro Valverde Belmonte, am 25. April 1980 in Las Lumbreras in der südspanischen Provinz Murcia geboren, ist ein durch und durch ehrgeiziger Mensch. Und seit dieser Saison, seit dem Weggang von Francisco Mancebo, ist er der alleinige Anführer seiner Mannschaft.
„Das ist meine Chance“, sagt er und fügt hinzu: „Der Druck und meine Verantwortung steigen.“ Dafür muss Valverde vorbereitet sein. Dafür trainiert er mit seinem Team Illes Balears-Caisse d’Epargne schon seit Anfang des Frühjahrs intensiv, meistens drei bis fünf Stunden am Tag. Alles konzentriert sich auf diese Stunden. Auch die restliche Zeit, die Mahlzeiten, Massagen und die ausgedehnten Ruhephasen sind nur darauf ausgerichtet, dass die Leistung auf dem Fahrrad stimmt. Es ist eine Art Parallelwelt, in der Valverde und seine Kollegen existieren, völlig losgelöst vom Alltag – und vom nahe gelegenen „Ballermann“ ungefähr so weit entfernt wie die Erde vom Mond. „Seit meiner Jugend wusste ich, dass ich Profi werden wollte. Deshalb habe ich nie daran gedacht, mich einer anderen Sache zu widmen“, sagt der Spanier.
Der Moment, in dem Valverde Millionen Menschen weltweit fesselte, ist Radsport-Fans noch gut in Erinnerung: Es ist 17.22 Uhr am 12. Juli 2005. Nach einer letztlich einseitigen Schlacht zwischen den großen Favoriten bei der zehnten Etappe der Tour de France führt Lance Armstrong das Quartett mit Michael Rasmussen, Francisco Mancebo und Alejandro Valverde dem Ziel entgegen. Jan Ullrich, Ivan Basso und Levi Leipheimer fallen weit zurück. 195 Schläge in der Minute misst das Pulsgerät des Tour-Debütanten Valverde. Armstrong setzt den letzten Angriff, nur den Mann an seinem Hinterrad wird er nicht los. Aus dieser optimalen Position sprintet Valverde los und überquert als Erster die Ziellinie im 2000 Meter hoch gelegenen Wintersportort Courchevel. „Vielleicht haben wir hier die Zukunft des Radsports gesehen“, kommentiert Lance Armstrong den Ausgang der Etappe, „er ist jung, er ist schnell, er ist stark. Alejandro bringt alles mit.“
„Zum großen Rennfahrer wird man geboren“, sagt Alejandro Valverde auf die Frage, ob Talent oder Arbeit der entscheidende Faktor für eine erfolgreiche Karriere sei. Trainieren muss Valverde noch seine bislang einzige offenkundige Schwäche, das Zeitfahren.
Der italienische Biomechaniker Alessandro Mariano soll bei der optimalen Haltung helfen. „Aber das ist sicher auch eine mentale Frage“, sagt Alfonso Galilea, ein weiterer Sportlicher Leiter des Teams.
Illes Balears-Caisse d’Epargne kehrt 2006 zurück zu seinem Erfolgsrezept: „Wir haben immer einen Anführer, das Team schart sich um ihn“, sagt Sportdirektor José Luis Jaimerena. Das Team – Nachfolger von Reynolds und Banesto – hatte oft starke Protagonisten. Die Überragenden: Pedro Delgado und Miguel Induraín. Nach dem Abgang von Francisco Mancebo vor der Saison geht die Führungsrolle eindeutig an Alejandro Valverde. Mancebo, 2005 bei Tour und Vuelta Vierter, wechselte zu AG2R. Das finanzielle Angebot soll überzeugend gewesen sein. Doch Klagen darüber hört man nicht bei den Spaniern, eher das Gegenteil.
„Die Mannschaft ist aus geglichener geworden“, sagt Jaimerena und meint eine Balance, die dem Top-Fahrer dienen soll. „Hier gibt es Alejandro als Chef, und Fahrer wie Karpets und ich stehen in der zweiten Linie“, sagt Oscar Pereiro, Neuzugang von Phonak und zweimal Zehnter bei der Tour de France. Zwar hat auch Pereiro das Ziel, bei der Tour de France nach vorne zu fahren und eine Etappe zu gewinnen – doch immer mit Rücksicht auf Valverde. Eine erstaunliche Aussage für jemanden, der sich 2005 als aggressivster Fahrer der Frankreich-Rundfahrt hervorgetan hat.
Kollege Constantino Zaballa sagt: „Ich werde mich für Valverde aufopfern.“ Ein Ziel der Mannschaft 2006: Bei den Klassikern will sich das Team stärker präsentieren als in der Vergangenheit. Auch hierfür gilt neben Zaballa, der von Saunier Duval kam, Alejandro Valverde als Kapitän.