Er hat es noch einmal getan: Beim Singapur Kriterium sprintete Mark Cavendish zum letzten Mal in seiner Laufbahn als Erster über eine Ziellinie. Der Sieg beim Show-Wettbewerb in Fernost hat nur symbolischen Wert. Andere Rennen in seiner Karriere sind viel bedeutender - der bedeutendste Erfolg gelang ihm wohl im diesem Sommer. Es war der 3. Juli 2024, als Cavendish auf der 5. Etappe der Tour de France 2024 Geschichte schrieb. Auf den 177,4 Kilometern zwischen Saint-Jean-de-Maurienne und Saint-Vulbas holte sich der 39-Jährige seinen 35. Tagessieg bei der Frankreich-Rundfahrt und sicherte sich den alleinigen Rekord, den er sich zuvor noch mit Eddy Merckx (34 Etappensiege) teilen musste.
Merckx ist ein gutes Stichwort. Schließlich taucht der Belgier in einigen der wichtigsten Statistiken des Radsports vor Cavendish auf. Da wäre zunächst die Liste mit den meisten Profi-Siegen, die führt Merckx an, doch dann kommt schon Cavendish.
*In diese Statistik wurden nur Siege als Profi einberechnet - Mannschaftszeitfahren wurden nicht mitgezählt - Quelle: Procyclingstats.com
Logischerweise, und das bedingt die Charakteristik des Radsports, sind in dieser Statistik viele Sprinter vorne zu finden und weisen mehr Siege auf als die meisten Klassementfahrer. Zudem sind solche historischen Vergleiche der Zahlen immer schwierig und mit einem Augenzwinkern zu betrachten, da sich der Radsport im Verlaufe der Jahre enorm gewandelt hat. Umso bemerkenswerter ist es daher, dass Cavendish bei immer höherer Leistungsdichte im Peloton über fast 20 Jahre 165 Profi-Siege eingesammelt hat und damit, was die Sprinter angeht, der stärkste seiner Zunft ist.
Einziger Konkurrent aus Cavendishs’ Generation, der ihm dicht auf den Fersen ist: André Greipel. Der ehemalige deutsche Top-Sprinter, der 2021 seine Laufbahn beendete, lieferte sich vor allem während der 2010er Jahre viele erbitterte Duelle mit Cavendish und brachte es auf insgesamt 158 Profisiege - sieben weniger als sein Konkurrent von der Isle of Man.
Es gibt noch eine zweite Statistik, die extrem beeindruckend ist mit Blick auf Cavendishs’ herausragende Karriere. Insgesamt 55 Etappensiege hat der 39-Jährige bei den drei großen Landesrundfahrten geholt. 35 davon bei der Tour de France, 17 beim Giro d’Italia und drei bei der Vuelta a Espana. Nur zwei Fahrer haben mehr: Eddy Merckx (64) und Mario Cipollini (57).
*Quelle: Procyclingstats.com
Als bester Deutscher rangiert André Greipel in dieser Statistik auf Platz 30 mit 22 Grand-Tour-Tagessiegen (7 Giro, 11 Tour, 4 Vuelta). Wenn es einen gibt, den Cavendish in naher Zukunft fürchten muss, wenn es um seine Position in diesen Bestenlisten geht, dann ist es Tadej Pogacar.
Der Slowene hat schon jetzt 26 Grand-Tour-Etappensiege auf seinem Konto - und das gerade mal mit 26 Jahren. Zwar hat der amtierende Straßenweltmeister damit noch nicht ganz die Hälfte von Cavendishs’ 55 Erfolgen im Sack, Pogacar fährt aber auch erst seit 2019, also seit fünf Jahren, Grand Tours. Hält der Slowene dieses Niveau noch weitere zehn Jahre durch, könnte er Cavendish und wohl auch Eddy Merckx überholen. Allerdings ist das eine rein spekulative Hochrechnung.
Was Cavendish angeht, so wäre es vermessen, den Sprinter und dessen Karriere nur auf Giro, Tour oder Vuelta zu beschränken. Mit Mailand-San Remo hat er eines der fünf Monumente des Radsports gewonnen und Cavendish war 2011 in Kopenhagen Straßenweltmeister. Dazu wurde er auf der Bahn dreimal Madison-Weltmeister - 2005 mit Rob Hayles sowie 2008 und 2012 mit Bradley Wiggins. Dazu kommt die Silbermedaille im Omnium bei Olympia 2016 in Rio. Disziplinübergreifende Erfolge, wie sie nur ganz wenige in der Geschichte des Radsports feiern konnten.