Trotz Fahrrad-Verbot zur Rad-WMDie Geschichte einer WM-Starterin

Kristian Bauer

 · 18.09.2025

Trotz Fahrrad-Verbot zur Rad-WM: die Geschichte einer WM-StarterinFoto: Ridley Racing Team
Violette Irakoze Neza
Die 24-jährige Violette Irakoze Neza wird am 21. und 27. September bei der Rad-WM in ihrer Heimat Ruanda antreten. Als Kind musste sie das Radfahren heimlich lernen - jetzt ist sie Profi beim belgischen Ridley Racing Team. Die erste UCI-Straßen-Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden markiert den Höhepunkt ihrer Karriere.

Am 21. September 2025 wird Violette Irakoze Neza an der Startlinie des Einzelzeitfahrens bei der Rad-WM in Ruanda stehen. Die 24-jährige Profi-Radsportlerin des belgischen Ridley Racing Teams tritt in ihrer Heimat bei der ersten UCI-Straßen-Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden an. Eine Woche später, am 27. September, wird sie auch im Straßenrennen starten. Für Violette markieren diese Wettkämpfe nicht nur den Höhepunkt ihrer sportlichen Karriere, sondern auch ihrer persönlichen Geschichte. Als Kind wurde ihr ständig gesagt, dass Radfahren nichts für Mädchen sei. Dennoch trainierte sie heimlich weiter. Heute ist sie nicht nur Profi-Radsportlerin, sondern auch ein Vorbild für junge afrikanische Mädchen, die von einer Zukunft auf dem Fahrrad träumen. Ruanda, das "Land der tausend Hügel", schreibt mit dieser Weltmeisterschaft ein neues, positives Kapitel seiner Geschichte, nachdem das Land 1994 durch einen Völkermord erschüttert wurde, der etwa 800.000 bis 1 Million Menschen das Leben kostete.

Das verbotene Fahrrad

Während in Europa fast jeder Haushalt ein Auto besitzt, hat in Ruanda jede Familie ein Fahrrad. Landarbeiter nutzen es, um ihre Ernte nach Hause zu transportieren. Dennoch wurde Violette ständig eingeschärft, dass Fahrräder nichts für Mädchen seien. Heimlich beobachtete sie, wie die Männer ihre Pedale und Bremsen bedienten, und wenn niemand zusah, versuchte sie selbst zu fahren. Ihr Traum war größer als die Angst, erwischt zu werden. Die Jungen in ihrem Dorf konnten kaum glauben, was sie sahen, als Violette Rad fuhr. Ihre Eltern waren weniger begeistert und von ihrer Tochter enttäuscht. Auch das Dorf reagierte kritisch. Die Menschen sagten, sie würde auf diese Weise niemals einen Ehemann finden. Nach dem Tod ihres Vaters gelang es Violette, ihre Mutter davon zu überzeugen, dass Radfahren wirklich ihre Leidenschaft war. Dank einer Spendenaktion bekam sie ihr eigenes Fahrrad und konnte endlich ihren Traum verfolgen.

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Goldmedaille und Teamgründung

Nachdem Violette bewiesen hatte, dass sie auf das Fahrrad gehörte, konnte sie freier fahren. Oft traf sie auf Männerteams mit professionellen Trainern. Die Männer waren überrascht, eine Frau auf dem Fahrrad zu sehen. Eines führte zum anderen, und 2018 war Violette Teil des ruandischen Mannschaftszeitfahr-Teams, das bei den Afrikanischen Meisterschaften Gold gewann. Ihre Schwester veranstaltete eine große Feier: Die einst verbotene Radfahrerin war plötzlich zur Dorfheldin geworden. Nachdem sie gezeigt hatte, wozu sie fähig war, wollte Violette jungen Mädchen helfen, in ihre Fußstapfen zu treten. Sie studierte Tourismus und erwarb ein UCI-Trainerzertifikat, das ihr ermöglichte, als qualifizierte Radführerin in ihrer Heimatregion zu arbeiten. Gleichzeitig gründete sie ihr eigenes Mädchenteam, das jungen lokalen Talenten die Möglichkeit gab, den Sport zu erkunden. Komera NEWCT wurde schnell zu einem bekannten Namen im ruandischen Radsport. Von der Rad-WM träumte sie aber noch nicht.

Ridley Racing Team und Rad-WM

Radsportexperten im belgischen Beringen, Limburg, hatten bereits von Violettes Geschichte gehört. Nicht nur ihr sportliches Talent, sondern auch ihr soziales Projekt zur Förderung des Radsports machten sie zu einer besonderen Persönlichkeit. Bei der Gründung des Ridley Racing Teams wurde sie zu einem Leistungstest eingeladen und sicherte sich schließlich einen Platz im Kader. Seitdem ist sie bei einigen der größten Gravel-Events der Welt angetreten, darunter die Traka, The Bright Midnight und Marly Grav. Trotz ihrer eigenen sportlichen Karriere hat Violette ihr Mädchenteam nie aufgegeben. 2023 starteten sie mit nur fünf Mitgliedern beim ersten Training. Heute versammelt sich eine viel größere Gruppe zum wöchentlichen Wochenendtraining. Alle Teilnehmerinnen sind Schülerinnen zwischen 12 und 18 Jahren. Da nicht genügend Fahrräder vorhanden sind, teilen sie diese untereinander. Die Mädchen kommen aus verschiedenen Regionen und sind im gleichen Alter, in dem Violette selbst noch heimlich fahren musste – weil Radfahren für Frauen verboten war. Ihr Start bei der Rad-WM ist Motivation für viele Mädchen.

Violette Irakoze Neza beim TrakaFoto: Ridley racing TeamViolette Irakoze Neza beim Traka

Rad-WM als Karrierehöhepunkt

Die Fortschritte, die sie gemacht haben, sind enorm. Die jungen Fahrerinnen aus Violettes Projekt träumen nun von den Afrikanischen Meisterschaften und sogar von der Rad-WM. Mit ihrer Teilnahme an der Heim-WM 2025 schließt sich für Violette ein Kreis. Als erste Generation von Frauen, die in Ruanda professionell Rad fahren dürfen, ebnet sie den Weg für kommende Generationen. Die Weltmeisterschaften in Ruanda sind nicht nur ein sportliches Großereignis, sondern auch ein Symbol für den Wandel und die Entwicklung des Landes. Für Violette Irakoze Neza bedeutet die Teilnahme an diesen Wettkämpfen die Erfüllung eines Lebenstraums, der mit heimlichen Fahrten auf geliehenen Fahrrädern begann und sie nun auf die größte Bühne des Radsports geführt hat. Ihre Geschichte ist ein Beispiel dafür, wie Sport kulturelle Barrieren überwinden und gesellschaftlichen Wandel vorantreiben kann.

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