Team SD Worx - ProtimeZu gut, um weiter erfolgreich zu sein?

Sebastian Lindner

 · 01.03.2024

Das ist der Kader von SD Worx für die Saison 2024.
Foto: DPA Picture Alliance
Das erfolgsverwöhnte Team SD Worx könnte vor einem großen Umbruch stehen. Fast alle Verträge laufen zum Saisonende aus, im Kader stehen mehr Kapitäninnen als Helferinnen. Und dann sind da noch die Rivalitäten zwischen Lotte Kopecky und Demi Vollering. Vieles deutet auf einen Abschied der Tour-de-France-Siegerin hin.

Das Team SD Worx hat die vergangene Saison im Frauenradsport dominiert. Und zwar in einer Form, die es so bis dato noch nicht gegeben hatte. Auch nicht bei den Männern. SD Worx besetzte die ersten vier Plätze im Individualranking und sammelte im Mannschaftsranking mehr Punkte als die Mannschaften auf Rang zwei und drei dahinter.



In Demi Vollering stellte die niederländische Mannschaft die beste Rundfahrerin, Lorena Wiebes war die erfolgreichste Sprinterin. Keine Frau ist besser als Marlen Reusser im Zeitfahren. Und dann ist da noch Weltmeisterin Lotte Kopecky, die als Allrounderin auf jedem Terrain Erfolge eingefahren hat. Dieses Quartett gewann 2023 14 von 27 Rennen auf der Women’s World Tour, einen weiteren Sieg für SD Worx steuerte Mischa Bredewold bei.

Und das ist noch nicht genug der beeindruckenden Zahlen aus dem Jahr 2023. Insgesamt verzeichnete SD Worx 61 Siege und 51 weitere Podiumsplatzierungen. Movistar, das Team, das am zweithäufigsten jubeln durfte, kommt gerade mal auf 20 Erfolge. Nie zuvor gab es eine vergleichbare Dominanz im Frauenradsport. Und die hält nun auch schon seit ein paar Jahren an. In sechs der sieben letzten Jahre war SD Worx bzw. Boels - Dolmans, wie das Team bis 2020 hieß, die erfolgreichste Mannschaft. Wenngleich auch nicht in dieser extremen Ausprägung, die in der abgelaufenen Saison von einem Doppelsieg bei der Tour de France Femmes über das Ardennen-Triple von Vollering bis hin zu fünf verschiedenen Etappensiegerinnen und dem Gewinn des Mannschaftszeitfahrens auf insgesamt sechs Teilstücken der Thüringen Ladies Tour reichte.

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Team SD Worx - Protime: Saisonauftakt 2024 wie gewohnt

Und so stellt sich nun die Frage: Kann es so weitergehen? Die eindeutige Antwort - möglich wäre es. Zumindest ist das Team, das seit Januar SD Worx - Protime heißt und einen weiteren namensgebenden Sponsor gewinnen konnte, der Konkurrenz gemessen an Siegen zu diesem frühen Zeitpunkt der Saison bereits schon wieder enteilt. Sieben Mal jubelten die Fahrerinnen in den rot-violetten Trikots in 2024. Das ist die Jahresausbeute von einem Drittel aller WWT-Teams in 2023. Dabei verzichtete die Mannschaft im Januar noch komplett auf Wettkämpfe und war damit weder in Australien noch auf Mallorca dabei.

Bei der UAE Tour lief dann zunächst alles wie gewohnt. Kopecky holte durch den Sieg auf der Königsetappe die Gesamtwertung, Wiebes sicherte sich zwei der drei weiteren Teilstücke im Sprint. Am Schlusstag verpokerte sich SD Worx bei der Nachführarbeit, weshalb eine Ausreißerin wenige Meter vor Wiebes das Ziel erreichte. Finstere Gesichter danach, doch auch das ist typisch SD Worx, wenn ein eigentlich eingeplanter Sieg ausbleibt. An der Dominanz des Teams änderte das aber nicht.

Beim Omloop het Nieuwsblad sah die Sache schon anders aus. Mit drei der vier Spitzenfahrerinnen - Reusser sollte ebenfalls starten, viel aber mit Grippe aus - ging SD Worx an den Start. Wiebes, Vollering und Kopecky landeten zwar alle in den Top 10, doch gewinnen konnte keine. Weltmeisterin Kopecky musste sich im Sprint einer Gruppe der 36-Jährigen Marianne Vos geschlagen geben und wurde Zweite.

Zu viele Anführerinnen, wenige Helferinnen?

Was für jedes andere WWT-Team ein Riesenerfolg wäre, ist für SD Worx eine Niederlage. Eine, die nicht besonders schmerzlich ist, denn der Omloop ist gewiss nicht das oberste Ziel in der Mannschaft. Es könnte jedoch sehr wohl ein Fingerzeig sein. Ein Hinweis. Darauf, dass bei so viel Siegpotenzial nicht immer klar ist, wer wirklich die Kapitänsrolle rat. Ein Plan B ist gut, aber wenn auch Plan C und D existieren, gerät möglicherweise die eigentlich beste Lösung, Plan A, aus dem Fokus.

Selbst die zweite Reihe im 16-köpfigen Team hat es in sich. Mischa Bredewold ist Europameisterin, Niamh Fisher-Black war 2022 U23-Weltmeisterin. Chantal van den Broek-Blaak, Weltmeisterin von 2017, ist nach Baby-Pause in dieser Saison zurück und gewann zuvor unter anderem den Omloop oder die Flandern-Rundfahrt. Elena Cecchini und Barbara Guarischi fahren für Wiebes die Sprints an, haben vor dieser Zeit aber selbst Siege eingefahren. In anderen Teams könnten sie alle selbst Kapitänsrollen einnehmen. SD Worx hat ganz viele Anführerinnen, aber kaum Helferinnen. Ist die niederländische Mannschaft zu gut, um auch weiterhin die maximalen Erfolge einzufahren?

Zwar betonen alle im Team unisono, dass es keine Neiddebatten gibt, dass sich jede Kapitänin in den passenden Situationen gerne für die andere einsetzt, Kopecky etwa Sprints für Wiebes auf den flachen Etappen anfährt. Doch was ist, wenn, wie beim Omloop, mehrere Fahrertypen realistische Siegchancen haben? Ist das Team dann immer noch die Einheit, die nach außen hin immer kommuniziert wird? Die Rivalität zwischen den Führungskräften - sie existiert. Und sie lässt sich auch nicht wegdiskutieren. Zumindest zwischen Kopecky und Vollering wird sie von Zeit zu Zeit auch offensichtlich.

Team SD Worx - Protime: Aktuell nur vier Fahrerinnen für 2025 unter Vertrag

Unter Umständen löst sich das Problem zur Saison 2025 von selbst. Denn stand jetzt haben - offiziell - nur vier Fahrerinnen einen Vertrag für das kommende Jahr. Neben dem einzigen 2024er Neuzugang Femke Gerritse sind das die erst 20 Jahre alte Luxemburgerin Marie Schreiber, die im letzten Cross-Winter für Aufsehen sorgte, Wiebes, die 2023 dazugestoßen war und ihre altes Team DSM per Ausstiegsklausel vorzeitig verlassen hatte - und Kopecky.

Die Belgierin hatte Mitte Februar ihren Vertrag langfristig verlängert. Auch ihr Vertrag wäre zu Saisonende ausgelaufen. “Ich bin sehr glücklich, dass ich bis 2028 im Team bleiben kann“, wurde sie in einer Mitteilung des Teams zitiert. Gut möglich, dass der Zeitpunkt der Verkündung kein Zufall war, denn kurz zuvor tauchten während der UAE Tour die Spekulationen auf, dass Vollering ein Angebot über eine Million Euro vom UAE Team ADQ bekommen hätte. “Ich musste eigentlich nicht lange zögern, um zu unterschreiben. Hätte UAE mit einem Scheck über eine Million Euro gewunken, hätte ich gezögert”, gab Kopecky später freimütig gegenüber Het Nieuwsblad zu. Vollering oder das Team, mit dem sie in Verbindung gebracht wurde, äußerten sich dazu bisher nicht. Auch über einen Vebleib bei SD Worx spricht die Tour-de-France-Femmes-Siegerin nicht.

SD Worx: Kein Geld für Lotte Kopecky und Demi Vollering

Das tat dafür SD-Worx-Teamchef Erwin Janssen, ebenfalls bei Het Nieuwsblad. “Wenn Sie mich dann fragen, wie wahrscheinlich es ist, dass Demi Vollering nächste Saison noch bei uns fährt, antworte ich, dass es schwierig wird.” Das liebe Geld könnte dabei zum Hauptproblem werden. Zwar wird im Frauenradsport noch weniger gerne über Budgets gesprochen, doch klar ist dennoch, dass SD Worx finanziell am besten von allen WWT-Teams ausgestattet ist. Wie viele Millionen zur Verfügung stehen, steht allerdings nicht im Raum.

SD Worx, ein belgischer Human-Resources-Dienstleister, soll parallel zum Aufstieg von Co-Namensgeber Protime, einem niederländisch-belgischen Unternehmen aus dem Bereich der elektronischen Zeit- und Personalverwaltung, seine Sponsoringleistung erhöht haben, ebenso wie Radlieferant Specialized. “Die Sponsorenbudgets steigen zwar, aber nicht so schnell wie die Gehälter oder die Kosten für die Professionalisierung. Deshalb müssen auch wir eine Entscheidung treffen”, so Janssen. “Lotte hat sich zu einer Weltklassefahrerin entwickelt und wird dementsprechend entlohnt. Aber auch wir können unser Budget nur einmal ausgeben.”

In diese Richtung hatte sich zuvor auch schon Sportdirektor Danny Stam gegenüber GCN geäußert. “Demi ist eine Schlüsselfahrerin und wir wollen sie natürlich behalten, aber nicht für einen Blankoscheck und auch nicht für eine Million Euro. Das ist eine Menge Geld, aber ich weiß nicht, ob da wirklich etwas dran ist. Ich bin ihr Sportdirektor, nicht ihr Manager.” Doch Stam lieferte auch noch einen anderen Satz, der Luft für Spekulationen lässt: “Es ist klar, dass wir mit den wichtigsten Fahrerinnen in unserem Team weitermachen wollen, und wenn sie zufrieden sind, haben wir eine Chance. Wenn sie nicht glücklich sind, können sie gehen.”

Lieblingskind Lotte Kopecky?

Das klingt stark nach einem Vollering-Abschied, zumal zwischen den Zeilen mitschwingt, dass Kopecky ohnehin das Lieblingskind im Top-Quartett ist. “Ob es eine Rolle gespielt hat, dass SD Worx ein belgischer Hauptsponsor ist? Ich denke schon, aber abgesehen davon wollten wir sowieso mit Lotte weitermachen. Sie ist ein Mädchen nach unserem Geschmack, man weiß, was man an ihr hat”, so Teamboss Janssen. Auch Kopecky hat sich zu ihrer Vertragsverlängerung in einer Form wohlwollend geäußert, die durchaus ernst gemeint erschien. “Ich fühle mich hier sehr wohl, vor allem kann ich in dieser Umgebung so sein, wie ich bin. Wir werden hier nicht als Roboter gesehen. Natürlich wird erwartet, dass wir performen, aber nicht um jeden Preis”, wurde sie in der Teammitteilung zitiert.

Mit Kopecky und Wiebes hat SD Worx zumindest zwei Schlüsselfahrerinnen für den Erfolg an sich gebunden. Der Verbleib von Reusser ist offen, doch die Chancen dürften im Falle eines Abgangs von Vollering steigen. Sowohl hinsichtlich der finanziellen Seite als auch in Bezug auf die Rollenveteilung. Auch Reusser kann auf Gesamtwertung fahren, gewann 2023 die Baskenland-Rundfahrt und die Tour de Suisse der Frauen.

Ist Vollering dabei, ist es aber sie, die bei den ganz großen Rennen die erste Geige spielt, 2023 auch die meisten und wichtigsten Siege eingefahren hat. Damit der Haussegen aber auch in Zukunft weiter gerade hängt, wäre es auch Sicht des niederländischen Teams aber vielleicht die beste Lösung, das höchste Ass abzugeben, dafür aber mit den drei anderen weiterzumachen. Zumal im Schatten von Vollering reichlich Talente schlummern, die mit größeren Aussichten auf ein eigenes Ergebnis ihren Vertrag ebenfalls verlängern. Die Britin Anna Shackley (22) etwa, 2023 Zweite der Tour de l’Avenir, die Ungarische Meisterin Blanka Vas (22), Fisher-Black, Bredewold, Schreiber.

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