Tom Mustroph
· 01.01.2023
Die European Championships in München im Sommer 2022 waren ein voller Erfolg. 2023 steigt in Berlin eine noch viel größere Sport-Party: Die Special Olympics World Games sind die Olympischen Spiele für Menschen mit geistiger Behinderung. Einer der Athleten, der sich jetzt schon auf das Ereignis freut und vorbereitet, ist der Berliner Radsportler Robert Herberg.
Das Ziel steht schon an die Wand geschrieben in der Trainingsstätte. Im Kraftraum der Sportgemeinschaft RBO Berlin in Lichtenberg hängen mehrere Transparente mit der Aufschrift “Special Olympics Deutschland”. Die Special Olympics sind der Dachverband der Sportbewegung für Menschen mit geistiger Behinderung. Im Juni 2023 richtet die Organisation die Special World Games in Berlin aus: die Olympischen Spiele für Menschen mit geistiger Behinderung.
Für dieses Ziel schwitzt Robert Herberg gerade mächtig. Gemeinsam mit den Partnern in seiner Trainingsgruppe absolviert er ein Zirkeltraining. Seit Jahren ist er erfolgreicher Radsportler. 2015 holte er bei den World Games in Los Angeles zwei Goldmedaillen, jeweils im Zeitfahren. “Das war mein schönstes Sporterlebnis”, erzählt er, nachdem er die Gewichte des Krafttrainings abgelegt hat. In Erinnerung geblieben ist ihm besonders die Eröffnungszeremonie mit der Flamme. “Niemals vergessen werde ich, wie sie entzündet wurde. Das berührt jeden Menschen. Es ist dann ja auch so, dass sich dann alles um uns dreht, um uns Menschen mit Einschränkungen. Die Strecken sind abgesperrt, wir sind im Mittelpunkt der Medien”, schwärmt er.
Die Rennstrecke in Los Angeles verlief direkt am Pazifik, ergänzt seine Mutter und Betreuerin Evelin Päthe-Grünwald. Sie ist für das Treffen mit TOUR mit zum Training gekommen. Gewöhnlich fährt Herberg alleine mit seinem Dreirad, das auch sein Wettkampfrad ist. “Dann sind vorne und hinten schmalere Reifen dran, auch der Kasten hinten ist weg”, erklärt er. “Die zwei Räder hinten habe ich, weil ich nicht so gut Gleichgewicht halten kann. Ich habe auch erst spät laufen gelernt”, erzählt er freimütig. Im Alter von anderthalb Jahren erlitt er einen Unfall. Was genau an diesem Tag passierte, möchte Evelin Päthe-Grünwald nicht näher ausführen. “Nur so viel: Jemand anderes hat nicht aufgepasst, und er war das Opfer”, sagt sie.
Wie sehr sich das Leben der ganzen Familie veränderte, lässt sich schwer ermessen. Die Fröhlichkeit, mit der Robert seinen Sport betreibt, wie er mit seinen Kumpels in der Trainingsgruppe umgeht und mit der er auch auf völlig Fremde zugeht, die beim Training hereinplatzen, ist aber ansteckend. Munter erzählt er auch von seiner Arbeit in den Lichtenberger Werkstätten. “Ich arbeite dort in einer Aktenvernichtung. Ich mache alles kaputt und kriege dafür noch Geld. Kaputt machen macht Spaß”, lacht er. Banken, Anwaltsfirmen, Gerichte und andere Unternehmen mit sensiblen Daten bringen ihre Papierakten dorthin. “Robert ist perfekt für den Job, weil er gar nicht lesen kann. Er kann also nichts weitererzählen, stellt keine Gefahr dar”, sagt seine Mutter. Und Freude macht ihm der Job auch noch. Es passt also vieles sehr gut zusammen derzeit im Leben des Robert Herberg.
Auf die Special Games in seiner Heimatstadt freut er sich selbstverständlich enorm. “Ich muss dann ja nicht weit anreisen. Wir fahren die Rennen auf der Straße des 17. Juni. Beide Fahrbahnen sind dann für uns gesperrt”, erzählt er. Und erneut wird sich vieles um ihn und die anderen etwa 7000 Athletinnen und Athleten mit geistiger Behinderung drehen. “Wir brauchen noch Volunteers. Jeder kann mitmachen”, wirbt er um Unterstützung.
Am Sport liebt er nicht nur das Siegen, sondern auch die Gemeinschaft. “Wir sind zusammen, wir befreunden uns und wollen zusammen die besten Leistungen bringen. Wir helfen uns aber auch am Gerät. Wenn einer nicht so gut hochkommt, geben wir Tipps und Hilfestellung. Vor allem geht es um Respekt, um Menschlichkeit, darum, die anderen, so unterschiedlich wie sie sind, zu akzeptieren”, sagt er. Besser kann man den Geist der Special Olympics wohl kaum ausdrücken.
Robert Herberg hat dieses Ziel auch sportlich vor Augen, jeden Dienstag, wenn er im Kraftraum schwitzt. “Es ist gut, Höhepunkte zu haben. Man kann darauf hintrainieren, das ganze Training danach steuern”, betont Trainerin Ricarda Koch. Drei Trainingsgruppen betreut sie im Verein und ist in den Werkstätten als Sporttherapeutin angestellt. Robert Herberg kennt sie seit etwa neun Jahren. “Er war schon immer sehr ehrgeizig und zielstrebig. Das, was er wollte, hat er getan”, beschreibt sie ihn.
Evelin Päthe-Grünwald sieht viele Entwicklungen an ihrem Sohn durch den Sport. “Es bringt natürlich körperliche Fitness, aber auch Selbstbewusstsein und geistige Fitness. Denn es findet viel Interaktion statt. Es hilft auch bei der Einschätzung, was man kann und was man nicht kann, sowie bei der Ausbildung des eigenen Willens.” Die Special Games versprechen, ein neuer Höhepunkt zu werden. An die Spiele in Los Angeles hat Robert Herberg nur gute Erinnerungen. Etwas Englisch hat er da gelernt - “I love you” zum Beispiel, wie er auf dem Nachhauseweg auf dem Rad stolz berichtet. Und einprägsam war auch, wie ihn ein Polizist auf einem Motorrad mitnahm - und Robert gleich mal die Sirene auslöste. Schöne Momente waren das.
Robert Herberg hat aber auch ein Gespür für die düsteren Momente, die das Leben bereithalten kann. Als wir am Königin-Elisabeth-Krankenhaus Herzberge vorbeikommen, in unmittelbarer Nähe seiner Trainingsstätte, weist er auf eine Lücke im Zaun und sagt: “Da kann man zu einem Haus, in dem sie früher Experimente mit Men- schen mit Einschränkungen gemacht haben.” Während des Nationalsozialismus wurden im Rahmen des Euthanasieprogramms tatsächlich mit Insassen der Heilanstalt sogenannte Forschungsvorhaben umgesetzt.
Robert Herberg ist auch das bewusst. Er verabschiedet sich mit einem Zitat aus seinem Lieblingsfilm “Independance Day”, aus der Rede des US-Präsidenten vor der alles entscheidenden Weltraumschlacht. “Darin geht es darum, dass man zusammen lebt, nicht gegeneinander, dass man das Gemeinsame sucht”, betont er - und verschwindet mit seinem dreirädrigen Gefährt in der Dunkelheit Lichtenbergs, auf dem Weg nach Hause, zu den Special Games, zu neuen Gemeinsamkeiten.
Die Olympischen Spiele 1972 und die Fußball-WM 2006 haben das Bild Deutschlands verändert. Die Welt zu Gast bei Freunden, wie sie überraschender nicht sein konnten: Die überkorrekten, steifen und unlustigen Deutschen konnten fröhlich sein und feiern. Auch 2023 kann Deutschland verändern: Vom 17. bis 25. Juni 2023 werden die Special Olympics World Games in Berlin stattfinden - das größte inklusive Sportereignis der Welt und das größte Multisport-Ereignis in Deutschland seit 1972. Mehr als 7000 Sportlerinnen und Sportler werden in 26 Wettbewerben antreten. Special Olympics ist eine Bewegung, die Menschen mit geistiger Behinderung mehr Teilhabe am Alltagsleben ermöglichen wird.
TOUR-Leser und -Leserinnen, Radsportler und Radsportlerinnen können aktiv helfen, Deutschland inklusiver zu gestalten - als Volunteers bei den Weltspielen. Radsport-Fans unterstützen Radsportler und Radsportlerinnen aus der ganzen Welt, damit die durch ihre Lebenslust und ihre Leistungen auf sich aufmerksam machen können. Insgesamt werden 17000 Volunteers gesucht - nicht nur bei den Radrennen.
Wenn Sie im Juni 2023 Lust und Zeit haben, bei einem wirklich besonderen Ereignis mitzuwirken, bewerben und informieren Sie sich hier: www.berlin2023.org/Volunteers