​Red Bull - BORA - hansgrohe 2026Neuer Anlauf - mit Doppelspitze Evenepoel und Lipowitz

Andreas Kublik

 · 12.12.2025

​Red Bull - BORA - hansgrohe 2026: Neuer Anlauf - mit Doppelspitze Evenepoel und LipowitzFoto: Red Bull-BORA-hansgrohe / Maximillian Fries
Im Mittelpunkt: Remco Evenepoel (Mitte) ist der neue Star im Team - neben Florian Lipowitz (links) und Primoz Roglic (rechts)
Die wichtigste Nachricht zu den Plänen 2026 des deutschen Top-Radsportteams Red Bull - BORA - hansgrohe: Man will Florian Lipowitz bei der kommenden Tour de France Olympiasieger Remco Evenepoel zur Seite stellen. Eine knifflige Moderationsaufgabe für den neuen Sportchef Zak Dempster - aber nicht die einzige

Er sagt, er komme aus dem Nirgendwo – „from the middle of nowhere“. Zak Dempster hat sich einst aus der australischen Kleinstadt Castlemain auf den Weg in die weite Radsportwelt gemacht. Als Radprofi tingelte der Mann aus dem Bundesstaat Victoria von Team zu Team. Er ist jetzt beruflich angekommen. Aus dem Nirgendwo ist er an die Spitze gelangt. In einer Leitungsposition bei einem der wichtigsten Radsport-Teams der Welt. Dempster, 38 Jahre alt, firmiert nun als Head of Sports, als Sportchef, bei Red Bull-Bora-hansgrohe. Er ist damit so etwas wie der Nachfolger von Rolf Aldag, der nach den taktischen Wirren bei der vergangenen Tour de France geschasst wurde – auch wenn die offizielle Sprachregelung lautet, dass man sich damals quasi über Nacht einvernehmlich getrennt hätte.



Ein guter Zuhörer? Der neue Sportchef: Zak Dempster, links neben Teamchef Ralph DenkFoto: Red Bull-BORA-hansgrohe / Maximilian FriesEin guter Zuhörer? Der neue Sportchef: Zak Dempster, links neben Teamchef Ralph Denk

Es ist viel passiert in den vergangenen Jahren beim einzigen deutschen World-Tour-Team – speziell aber in den vergangenen Monaten. Dempster ist beileibe nicht die einzige augenfällige Veränderung. Der Einstieg des österreichischen Getränkekonzerns Red Bull Mitte 2024 war vielleicht die sichtbarste, weil einem nun im Umfeld des Teams von überall gehörnte Rindviecher entgegenstürmen – natürlich nur auf Logos. Die wichtigste Nachricht ist der vergangenen Monate war natürlich die, dass Ralph Denk nach jahrelangem Flirt nun endlich Remco Evenepoel in den Rennstall gelockt hat. Da hat sicher geholfen, dass der neue Hauptsponsor mehr Geld gebracht hat. Schließlich mussten auch die vermutlich teure Vertragsverlängerung von Florian Lipowitz (laut Denk zu “marktüblichen” Konditionen) und ein weiteres Jahr mit dem hochbezahlten Primoz Roglic finanziert werden. Ein Mann mit Strahlkraft fehlte seit dem Abgang von Peter Sagan – auch wenn die Breite des Teamkaders eine andere, das versammelte Talent größer ist als zu Zeiten des slowakischen Radsport-Popstars. Der Doppel-Olympiasieger und aktuelle Zeitfahr-Weltmeister Evenepoel ist der neue Star unter den 30 Rennfahrern. Der natürlich Ansprüche mitbringt.

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Wieder mit Doppelspitze bei der Tour de France

Unklar war die neue Rollenverteilung im Rennstall – das gilt seit dem Medientag am 10. Dezember offiziell als geklärt. Vorläufig zumindest. Der 25-jährige Belgier, Sieger der Spanien-Rundfahrt 2022 und Tour-Dritter von 2024, soll das Aufgebaut der deutschen Mannschaft bei der Tour de France anführen – gemeinsam mit dem neun Monate jüngeren Florian Lipowitz, der als gleichwertiger Co-Kapitän ins Rennen gehen soll. Als Dritter der vergangenen Auflage hat der Schwabe mit Hauptwohnsitz in Seefeld in Tirol bewiesen, dass er vermutlich auf Augenhöhe mit Evenepoel agieren kann. Ob diese Doppelspitze besser funktionieren wird als jene im vergangenen Juli, als Lipowitz und Primoz Roglic eher schlecht organisiert und schlecht abgestimmt als freie Radikale agierten und kein schlagkräftiges Team im Rücken hatten? Das ist das große Fragezeichen, das über dem Projekt von Denk und Red Bull schwebt. In Medienrunden ist Evenepoel ein jovialer, aufgeweckter und gut sortierter Gesprächspartner. Auf den Rennstrecken wirkt er manchmal erratisch, wenn es nicht so läuft, wie er sich das vorstellt. Bisher galt der Ex-Fußballer nicht unbedingt als Teamplayer, in der belgischen Rad-Nationalmannschaft weiß man dazu mehr.

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Den feinen Grat zwischen teaminterner Rivalität und angriffslustigem Teamwork zwischen den beiden Tour-Kapitänen zu moderieren – das könnte für Dempster eine Herkulesaufgabe werden. Die traut Teamchef Denk, der sich nach eigenen Worten bei wichtigen Entscheidungen stets eng mit Red-Bull-Sportchef Oliver Mintzlaff abstimmt, dem Neuling auf der Leitungsposition offenbar zu. Immerhin bringt Dempster von seiner letzten Station bei den Ineos Grenadiers die Erfahrung mit, deren Mannschaft bei der Tour verantwortlich aus dem Teamfahrzeug gesteuert zu haben. Denk und Dempster kennen sich schon eine Weile – das könnte geholfen haben. Der Australier, der in Nordspanien wohnt, hat eine Vergangenheit in der deutschen Profi-Mannschaft. Er war hier von 2013 bis 2016 als Rennfahrer unter Vertrag, bestritt zweimal die Tour de France. Was anders ist? „Es sind bessere Rennfahrer da als ich”, sagt er. Trotz 1,90 Meter Körpergröße blieb er als Rennfahrer unauffällig. Einen einzigen Profisieg bei einem kleinen Rennen in seinem letzten Jahr als Rennfahrer 2019 hat er zu Buche stehen.

Steuermann im Hintergrund

Aber von Rennfahrern mit überschaubarem Talent wie Dempster sagt man, sie würden früh lernen, mangelndes körperliches Talent durch taktische Kniffe zu kompensieren, sie wissen genau, wie man im Radsport aus wenig viel macht. Und das können die vielen hochveranlagten Rundfahrtspezialisten, die jungen Talente im Team gut brauchen. Denn es läuft die Ära des eigentlich fast unschlagbaren Tadej Pogacar, dessen erster Verfolger Jonas Vingegaard aktuell auch noch eine Stufe über dem Rest zu pedalieren scheint. Dempster wird entscheiden, vermitteln, kritisieren und auch enttäuschen müssen, um sein neues Team zu Spitzenleistungen zu treiben. Es sei ihm gesagt worden, er habe ein deutsches Wesen, er scheue nicht vor klaren Aussagen und unangenehmen Mitarbeitergesprächen zurück, sagt der neue Sportchef selbst. Wenn man Dempster fragt, was er zu den Auftritten des damaligen Rivalen Red Bull-Bora-hansgrohe bei der vergangenen Tour sagt, grinst er breit, sagt, er sei vor allem mit seinem eigenen Team beschäftigt gewesen, aber auch vieldeutig, manches sei für ihn „überraschend“ gewesen.

Intern wird er vermutlich klarer und eindeutiger formulieren und aufarbeiten müssen – das dürfte die Lehre aus dem vergangenen Tour-Auftritt sein. Damals bestand in diesem Bereich sichtbar Handlungsbedarf. Durch Frankreich fuhr damals ein irgendwie unsortiertes und wenig formstarkes Aufgebot des Rennstalls für den Saisonhöhepunkte – so war beispielsweise der schon das ganze Jahr kriselnde Russe Alexander Wlassow erwartbar keine Hilfe fürs Team. Zudem verwunderten die Alleingänge des ursprünglichen Kapitäns Primoz Roglic, der aber während des Rennens vom jungen deutschen Teamkollegen Florian Lipowitz in den Bergen überflügelt wurde – der dann allein, ungestüm und sichtbar ohne Führung durch das Rennen stiefelte, aber letztlich mit seinem dritten Gesamtrang die Bilanz rette und in Deutschland neue Radsportbegeisterung weckte. Und eben die internen Hierarchien verschob. Ob es damals klare Ansagen gab und welche, ob auch nach Meintung der Teamverantwortlichen etwas schieflief – das blieb intern. Der freundliche und zurückhaltende Newcomer Lipowitz dürfte kaum auf den Tisch gehauen haben. Sicher ist: Dempster wird nicht über den Teamfunk taktische Entscheidungen durchgeben wie zuletzt. Er wird eher aus der Ferne, aus dem Hintergrund das große Ganze steuern. Und möglichen Missverständnissen sehr frühzeitig durch klar vorgegebene Marschrouten begegnen müssen.

Gefragter Mann: Der Tour-Dritte Florian Lipowitz im Team-Trainingslager auf MallorcaFoto: Red Bull-BORA-hansgrohe / Maximilian FriesGefragter Mann: Der Tour-Dritte Florian Lipowitz im Team-Trainingslager auf Mallorca

Viele Fans und Beobachter - vor allem in Deutschland - wunderten sich, dass Denk Evenepoel trotz des Durchbruchs von Lipowitz verpflichtete. Tatsächlich eröffnete der Belgier den Journalisten am Medientag seines neuen Rennstalls, dass sein Vertrag bereits vor dem Tour-Start fixiert war. Unklar bleibt, wie sich Evenepoel entschieden hätte, wenn er Lipowitz als Rivalen auf Augenhöhe gesehen hätte. Auf Mallorca erfuhr Evenepoel nach eigener Darstellung erst am Tag vor dem Aufeinandertreffen mit den Journalisten und ihren bohrenden Fragen, dass die Tour in der kommenden Saison sein persönlicher Höhepunkt werden soll – allerdings als Teil einer Doppelspitze mit Lipowitz. „Das ist neu für mich. Ich war bisher immer der alleinige Leader. Aber es wird aufregend“, betont der neue Star des Teams. Es bleibt ihm auch wenig anderes übrig, als die offizielle Teamstrategie zu wiederholen. Sein krisengeplagtes Jahr 2025 inklusive der Aufgabe bei der Grande Boucle sind keine guten Argumente, sich in den Vordergrund zu drängen. Ohnehin: Im kommenden Juli werden auf Frankreichs Landstraßen Worten Taten folgen müssen. Ein Sturz, eine Formkrise – und die Hierarchie sieht wieder anders aus. Er werde sich natürlich gegebenenfalls auch in den Dienst des gleichaltrigen Deutschen stellen - allerdings, betonte Evenepoel ebenfalls, nur dann, wenn er selbst im Klassement bereits chancenlos sein sollte.

Viele neue Sportliche Leiter

Evenepoel ist die herausragende Personalie - sonst wurde der neue Kader eher punktuell und in der Breite verstärkt. Die Trennung von Aldag, die Personalie Dempster zeigt jedoch: Es bestand vor allem im Bereich der Sportlichen Führung nach Meinung des Teammanagements Handlungsbedarf. Und der neue Chef Dempster wird gleich mit einer kniffligen Moderationsaufgabe konfrontiert. Denk hat seit der Sagan-Ära seinen Kader von einem Ensemble aus Klassikerspezialisten zu einer Ansammlung von Klassementfahrern umformieren lassen. Jetzt gilt es, mehr als ein halbes Dutzend hochveranlagter kletterstarker Allrounder mit Perspektiven und Zielen auszustatten. Und stabiler und erfolgreicher aufzutreten – gerade bei den schweren Etappenrennen. Es folgte nicht nur auf der Position des Sportchefs ein großes Revirement. Fast die komplette Sportliche Leitung wurde mittlerweile ausgetauscht. Neben Aldag musste auch der Taktikfuchs Enrico Gasparotto gehen, auch der Deutsch-Australier Heinrich Haussler und Bernhard Eisel sind nicht mehr Teil des sportlichen Managements. Als Head of Racing fungiert Oliver Cookson, der Sohn des ehemaligen UCI-Präsidenten Oliver Cookson, der im Vorjahr für Schlagzeilen sorgte, als er mit dem Ineos-Teamfahrzeug eine Zuschauerin auf die Kühlerhaube nahm. Er führt viele neue Sportliche Leiter, darunter den ehemaligen belgischen Nationalcoach Sven Vanthourenhout und Klaas Lodewyck, der mit Evenepoel von Soudal-Quickstep nach Deutschland wechselte.

Roglic soll den fünften Vuelta-Sieg holen

Primoz RoglicFoto: Red Bull-BORA-hansgrohe / Maximilian FriesPrimoz Roglic

Um Diskussionen im Keim zu ersticken, haben sie noch vor Beginn des neuen Jahres die Einsätze bei den Grand Tours an die Hauptakteure verteilt. Bei der ersten Grand Tour des Jahres, dem Giro d’Italia, soll der Italiener Giulio Pellizzari weitere Talentproben abgeben. Gerade verkündete Denk die Vertragsverlängerung mit dem hochtalentierten Kletterer, der im abgelaufenen Rennjahr jeweils auf Rang sechs bei der Italien-Rundfahrt und der Vuelta fuhr. In Italien ist die zweite Spitze der Australier Jai Hindley, der Giro-Sieger von 2022. Der Russe Alexander Wlassow soll die dritte Kraft im Bunde sein. Dort werden sie sich vermutlich mit dem aktuell noch übermächtigen Vingegaard auseinandersetzen müssen, vielleicht und wider Erwarten auch mit Seriensieger Pogacar. Und Roglic? Wurde aufs Altenteil abgeschoben – er soll seine Vertragslaufzeit mit dem Sieg bei der Vuelta krönen. Es wird voraussichtlich sein einziger Start bei einer Landesrundfahrt werden. Sicherheitshalber als alleiniger Anführer – Stand heute. Es wäre sein fünfter Erfolg in Spanien. Neuer Rekord. Und vielleicht ein schöner Abschied für den dann bald 37-jährigen Slowenen aus dem Radsport, der einst als Hoffnungsträger ins Team kam und nun eher wie eine Altlast im Aufgebot wirkt, obwohl er 2025 die schwere Katalonien-Rundfahrt für sich entschied. Und Männer wie der Giro-Zweite von 2024, der Kolumbianer Daniel Felipe Martinez, haben bei den roten Bullen noch keinen öffentlich kommunizierten Arbeitsauftrag bei einem der dreiwöchigen Etappenrennen.

So stark das Team bei den Rundfahrten auftrat, so schwachbrüstig wirkte es bei den Klassikern. Das will Dempster bald ändern. Auch Klassiker und Sprints sollen Bedeutung bekommen. Ein wichtiger Schritt: Der Belgier Jordi Meeus, im Jahr 2023 Sieger der Tour-Etappe auf den Champs-Élysées, muss ich die Rolle als Sprintkapitän künftig mit dem Niederländer Danny van Poppel teilen, der zuletzt vor allem als Anfahrer fungierte. Beide feierten zuletzt je vier Saisonsiege. Es soll ein zweigleisiges Programm für die nun gleichberechtigten Sprinter aufgesetzt werden, in dem beide ihre Chancen bekommen. Als eher unwahrscheinlich darf gelten, dass dem Wunsch des Belgiers entsprochen wird, bei der Tour im Juli dabeisein zu dürfen. In der Klassikerfraktion, die in der abgelaufenen Saison vor allem durch den spät im Jahr veröffentlichten Dopingfall des Spaniers Oier Lazkano Schlagzeilen machte, sieht Dempster Potenzial, das besser genutzt werden müsse - er nennt speziell den Neuseeländer Laurence Pithie, der in seinem ersten Jahr im Team nicht an die vorherigen Ergebnisse anknüpfen konnte, und die niederländischen Brüder Tim und Mick van Dijke. Immerhin hat man in Evenepoel nicht nur einen der besten Rundfahrtspezialisten der Welt eingekauft, sondern auch einen Sieganwärter für Rennen wie Lüttich-Bastogne-Lüttich oder Lombardei-Rundfahrt im Kader. Er könnte auch abseits der Tour punkten, während Lipowitz allenfalls im Herbst in der Lombardei und der WM Kanada bei Eintagesrennen Einsätze anstrebt.

Erfolge einfahren, eine klare Strategie durchsetzen, Schlagzeilen über Unstimmigkeiten und mangelndes Teamwork vermeiden – das sind vermutlich die Hauptaufgaben für Dempster als Sportchef. Über all das was zu vielen öffentlichen Diskussionen und zur Trennung seines Vorgängers Rolf Aldag führte, will Denk nicht mehr reden. „Das ist Vergangenheit“, sagt der 52-jährige Oberbayer. Die Zukunft soll schlicht besser werden. Die Weichen dafür sind immerhin gestellt.

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