Sebastian Lindner
· 13.01.2024
Es ist nur eine Zahl. Ein Wert, der, sollte er überhaupt stimmen, allerdings gehörig staunen lässt. 92 - das soll das Ergebnis eines Tests der maximalen Sauerstoffaufnahme bei Andrew August gewesen sein, einem heute 18-jährigen Amerikaner, der 2024 als Neo-Profi bei Ineos Grenadiers in die World Tour einsteigt.
Der Wert soll ungefähr ein Jahr alt sein und aus einem Trainingslager auf Mallorca stammen, dass August, damals noch beim amerikanischen Juniorteam Hot Tubes unter Vertrag, als Gast im Ineos-Team absolvierte. “Sie sagten, dass sie keinen im Team haben, der tun könnte, was er tun könnte”, zitierte GCN den Hot-Tubes-Manager Toby Stanton, der in diesem Zusammenhang auch den VO2-Wert von 92 ins Spiel gebracht hatte.
Zum Vergleich: Der VO2max Wert - der zum Großteil Veranlagung ist - von Tadej Pogacar soll an der 90 kratzen, Remco Evenepoel bei 87 liegen. Für Egan Bernal wird ein Maximum von 91 geführt. Bora-Profi Anton Palzer wurde wie August mit 92 gemessen. Dass der Wert allein aber keine Garantie für große Karrieren ist, beweist der Fall Oskar Svendsen. Der Norweger wurde 2012 Junioren-Weltmeister im Zeitfahren. Kurz zuvor wurde beim ihm der VO2-Wert von 96,7 erfasst, der höchste Wert, der jemals bei einem Sportler gemessen wurde. Profi wurde der heute 29-Jährige trotzdem nie. 2014 beendete er seine Karriere bevor sie begonnen hatte, um sich den extremen Erwartungen an ihn zu entziehen.
Dieses Problem hat August scheinbar nicht. Stanton verglich ihn bereits mit Evenepoel (“Er ist wie Remco, aber wahrscheinlich mit noch mehr Power”). Er selbst nimmt den Weg, den auch das belgische Supertalent gegangen ist. Die U23 überspringt er, obwohl noch Anfang des Jahres die US-Kaderschmiede Hagens Berman Axeon als bevorzugtes Ziel Augusts galt. “Ich habe keine Eile in die World Tour zu kommen. Aber ich denke, in zwei, drei Jahren möchte ich da schon sein”, sagte er VeloNews noch im Februar. Baby Giro und Tour de l’Avenir wolle er mal fahren.
Doch das ist jetzt Geschichte. Nun wechselt er direkt zu Ineos, wohlwissend, dass der Schritt aus dem Juniorenbereich direkt in die Beletage des Radsports letztlich nur einem wirklich reibungslos geglückt ist: Remco Evenepoel. Nur er konnte als Teenager sofort Siege feiern, ohne sich vorher in der U23 bewiesen zu haben.
Das Potenzial, ähnlich durchzustarten wie der amtierende Zeitfahr-Weltmeister hat, hat August jedenfalls. 2023 gewann er die Tour du Valromey, das schwerste Juniorenrennen des Jahres, und den prestigeträchtigen Grand Prix West Bohemia. Beim Eintagesrennen in Tschechien deklassierte er den Zweiten um sechseinhalb Minuten. Lediglich bei der Weltmeisterschaft lief es aus gesundheitlichen Gründen nicht rund. Das Straßenrennen beendete er nicht, beim Zeitfahren sprang nur Platz 9 heraus.
Neben Straßenrennen kann Andrew August, der häufig nur “AJ” genannt wird, aber auch im Cross Erfolge vorweisen. Im vergangenen Winter gewann er den Koppenbergcross und die nationale Meisterschaft. Seine Zukunft sieht er aber trotzdem vor allem auf der Straße, sagte er dem Outside Magazine. “Ich bin noch dabei herauszufinden, welcher Typ Fahrer ich bin. Und wenn möglich, möchte ich im Winter auch weiter Cross fahren. Jungs wie Tom Pidcock beweisen ja, dass es geht.”
Da wäre es beinahe naheliegend, dass August, der, wie er selbst sagt, von vielen großen World-Tour-Mannschaften Angebote bekam, Ineos auswählte, weil das Team nicht nur sein Vorbild im Kader hat, sondern in der Vergangenheit auch rundfahrerlastig war, was seinen Stärken offenbar entgegenkommt. Der Hauptgrund heißt aber viel mehr Magnus Sheffield. “Er war der Schlüssel”, sagte er in der Pressemitteilung zur Vertragsunterschrift. Sheffield ist zweieinhalb Jahre älter, fuhr ebenfalls für Hot Tubes und kommt wie August aus Pittsford im Bundesstaat New York.
Sheffield streute allerdings ein Jahr U23 ein, bevor er vom Juniorenteam zu Ineos wechselte. Diesen Tipp wird er auch seinem Kumpel gegeben haben. Doch Andrew August muss nun auf anderem Wege lernen, sich in einem Feld voller Erwachsener zu behaupten, in dem es ganz sicher anders zugeht als bei Jugendrennen. Doch sein Team traut ihm das offenbar zu und hat ihn direkt für drei Jahre unter Vertrag genommen. Er selbst scheint auch keine Zweifel zu haben. Ob es letztlich die richtige Entscheidung war, wird die kommende Saison zeigen.