WM-Straßenrennen der Frauen 2025Die Favoritinnen im TOUR-Check

Andreas Kublik

 · 25.09.2025

Pauline Ferrand-Prévot, im Regenbogentrikot als Weltmeisterin im Jahr 2014
Foto: Getty Images/Bryn Lennon
Es wird das schwerste Straßenrennen der WM-Geschichte bei den Frauen: Wer am 27. September 2025 das Regenbogentrikot erobern will, muss die Nase nach 164,6 Kilometern und rund 3600 Höhenmetern vorne haben. TOUR stellt die weltbesten Radsportlerinnen und Favoritinnen für das Rennen in Kigali/Ruanda vor.

Es wird auf jeden Fall einen Trikot-Tausch in Kigali geben. Titelverteidigerin Lotte Kopecky wird nicht am Start stehen. Die Belgierin, die zuletzt bei der Tour de France um ihre Topform rang, brach sich kurz vor der WM Wirbel bei der Tour de l’Ardèche - hatte aber schon zuvor einen WM-Start nicht im Plan. Die Strecke in Kigali summiert sich auf der 164,6 Kilometer langen Distanz auf die Höhenmeter wie bei einer richtigen Bergetappe - nämlich 3670. Allerdings gibt es im Frauenrennen keine sehr langen Anstiege, es summiert sich über elf Runden auf der 15-Kilometer-Schleife durch Kigali. Auf halber Rundendistanz liegt die Cote de Kigali Golf - 800 Meter lang und im Schnitt 8,1 Prozent steil. Auf der ersten Hälfte weist die Rampe zweistellige Steigungsprozente auf, die ersten 200 Meter sind 12,4 Prozent steil. Terrain für Klassikerspezialisten bietet speziell die Cote de Kimihurura. Nach einer scharfen Kehre geht es in den Scharfrichter des Rennens, der auf den ersten 300 Metern fast zehn Prozent Steigung aufweist. Zudem ist Traktion wichtig: Der Streckenabschnitt ist gepflastert. Kurz nach der Kuppe hängt die Flamme Rouge über der Strecke - es ist also ziemlich genau ein Kilometer bis ins Ziel. Die letzten 1000 Meter rollen bei einer Durchschnittssteigung von 3,9 Prozent auch nicht wirklich. Und das noch unter schwierigen Bedingungen im tropischen Afrika und auf einer Höhe von rund 1400 bis 1500 Metern. Hitzebeständigkeit und Leistungsfähigkeit in dünner Luft sind weitere Anforderungen. Die Favoritinnen mit den besten Chancen auf dieser Strecke im TOUR-Check.

Im Vorjahr in Zürich Weltmeisterin, in diesem Jahr nicht dabei: Lotte Kopecky hatte den WM-Start Anfang September abgesagtFoto: Getty Images/Dario BelingheriIm Vorjahr in Zürich Weltmeisterin, in diesem Jahr nicht dabei: Lotte Kopecky hatte den WM-Start Anfang September abgesagt

​WM-Straßenrennen der Frauen: Das Wichtigste in Kürze

Die TOUR-Favoritinnen nach Sternen

***** Pauline Ferrand-Prévot (Frankreich)

**** Demi Vollering (Niederlande), Elisa Longo Borghini (Italien), Marlen Reusser (Schweiz)

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*** Kimberly Le Court Pienaar (Mauritius), Anna van der Breggen (Niederlande)

** Liane Lippert (Deutschland), Katarzyna Niewiadoma (Polen)

* - im erweiterten Kreis: Elise Chabbey (Schweiz), Juliette Labous, Cédrine Kerbaol, Maeva Squiban (alle Frankreich), Antonia Niedermaier (Deutschland)


* Je mehr Sterne eine Fahrerin erhält, desto höher sind ihre Chancen einzuschätzen

***** Pauline Ferrand-Prévot (Frankreich)

Vereinnahmend: Pauline Ferrand-Prévot gewann gleich beim ersten Start die Tour de France und gilt bei der WM als TopfavoritinFoto: Getty Images/Szymon GruchalskiVereinnahmend: Pauline Ferrand-Prévot gewann gleich beim ersten Start die Tour de France und gilt bei der WM als Topfavoritin

Als Siegerin der Tour de France darf sie natürlich als Topfavoritin dieser besonders bergigen WM gelten: So wie Pauline Ferrand-Prévot vor wenigen Wochen während der Tour allen Konkurrentinnen auf dem Weg zum Etappenziel auf dem Col de la Madeleine enteilte, dürfte sie auch in den Hügeln von Kigali für die Konkurrentinnen kaum zu halten sein. Zudem hat sie das vermutlich stärkste Team an ihrer Seite: Frankreich startet mit einer Handvoll Weltklasse-Bergfahrerinnen ins Rennen: Juliette Labous, Évita Muzic, Cédrine Kerbaol und die zweimalige Tour-Etappensiegerin Maeva Squiban sind alle stark genug, um auf dem anspruchsvollen Kurs in der Höhenluft Kigalis selbst auf Medaillenjagd zu gehen. Für die Konkurrenz wird es nicht reichen, nur auf die Tour-Siegerin zu achten. Allerdings lief es für die 33-jährige französische WM-Favoritin nicht glatt. Zunächst wollte sie gar nicht bei der WM starten, weil sie sich nach dem Tour-Sieg ausgepowert und leer fühlte. Und dann gelang ihr erst verspätet die Anreise nach Ruanda, weil ihr Flieger wegen des IT-Chaos an vielen Flughäfen nicht wie geplant abheben konnte. Im Jahr 2014 war sie bereits Weltmeisterin und schaffte damals das Kunststück, dass sie binnen einen Jahres auch die Titel auf dem Mountainbike und im Cyclocross gewann. Das ist sonst noch niemandem im Elite-Radsport geglückt.

**** Demi Vollering (Niederlande)

Gutes Zeichen? Demi Vollering holte im Einzelzeitfahren Bronze und gilt als erste Herausfordererin von Pauline Ferrand-PrévotFoto: Getty Images/Alex WhiteheadGutes Zeichen? Demi Vollering holte im Einzelzeitfahren Bronze und gilt als erste Herausfordererin von Pauline Ferrand-Prévot

Die Tour-Siegerin von 2023 und Tour-Zweite von 2022, 2024 und 2025 dürfte die wichtigste Herausfordererin für die favorisierte Französin sein. Zuletzt war die 28-jährige Niederländerin diejenige, die Ferrand-Prévot am Berg noch am ehesten folgen konnte. Auch die WM-Zweite von 2023 begleitet eine starke Mannschaft - allerdings gab es zuletzt immer wieder Loyalitätskonflikte bei den Holländerinnen. Die stärkste Radsportnation der Welt schöpfte oft nicht das Potenzial maximal aus. Diesmal fehlen Marianne Vos, die aus privaten Gründen den WM-Start kurzfristig absagte, und Puck Pieterse, die sich voll auf die Mountainbike-WM konzentrierte und daher nicht im Aufgebot steht. Wahlweise stärkste Helferin und härteteste interne Rivalin: Anna van der Breggen. Bei dieser WM dürften die Niederländerinnen erstmals seit vielen Jahren in der Equipe aus Frankreich eine ebenbürtige Mannschaft als Gegner vorfinden.

**** Elisa Longo Borghini (Italien)

Trägt stolz die italienischen Landesfarben: Elisa Longo Borghini, aktuelle italienische MeisterinFoto: Getty Images/Szymon GruchalskiTrägt stolz die italienischen Landesfarben: Elisa Longo Borghini, aktuelle italienische Meisterin

Es war zuletzt still um sie - aber Elisa Longo Borghini hat unbeobachtet an ihrem ganz großen Projekt gearbeitet: Weltmeisterin werden! Ihre starke Form zeigte sie als Siegerin des Giro d’Italia Anfang Juli. Bei der darauffolgenden Tour de France war bei ihr nach drei Etappen Schluss. Doch nach einer Pause siegte sie gleich beim Wiedereinstieg beim Eintagesrennen Kreiz Breizh - natürlich als Solistin. Italien performt bei Weltmeisterschaften meist als starkes Team. Allerdings dürfte der anspruchsvolle Kurs in Kigali eher über die Beine als über die Mannschaftstaktik entschieden werden. Im Finale kann die italienische Meisterin nicht mit viel Teamunterstützung rechnen. Anders als die Konkurrentinnen aus Frankreich und den Niederlanden wird sie im Finale wohl selbst allen Attacken folgen müssen.

**** Marlen Reusser (Schweiz)

Freudestrahlend: Marlen Reusser ist endlich Weltmeisterin. Sie gewann Gold im Einzelzeitfahren und will vermutlich auch im Straßenrennen ganz vorne mitmischenFoto: Getty Images/David RamosFreudestrahlend: Marlen Reusser ist endlich Weltmeisterin. Sie gewann Gold im Einzelzeitfahren und will vermutlich auch im Straßenrennen ganz vorne mitmischen

Am vergangenen Sonntag war sie am Ziel, einen Tag nach ihrem 34. Geburtstag. Endlich. Marlen Reusser gewann den WM-Titel im Einzelzeitfahren, den sie in der Vergangenheit immer wieder verpasst hatte. Zweimal hatte sie schon Silber gewonnen. Zuletzt rang sie mit ihrer Form und wirkte auch mental angegriffen. Bei der WM in Glasgow 2023 stieg sie während des Kampfs gegen die Uhr vom Rad - sie war mitten im Wettbewerb in ein Motivationsloch gefallen. Es folgten weitere Tiefschläge. Wegen einer Long-Covid-Erkrankung musste sie im Vorjahr auf die Olympischen Spiele und die Heim-WM in Zürich verzichten. In dieser Saison kam sie so stark zurück wie nie zuvor: Die langjährige Zeitfahrspezialistin hat sich auch zu einer starken Kletterspezialistin entwickelt, wie ihre Siege bei Burgos-Rundfahrt und Tour de Suisse sowie ihre zweiten Plätze bei Vuelta und Giro d’Italia bewiesen. Bei der Tour konnte sie ihr Potenzial nicht zeigen, dort gab sie bereits auf der 1. Etappe nach einem Sturz auf. An ihrer Seite hat sie in Elise Chabbey, die wie Reusser bereits als Ärztin gearbeitet hat, eine starke Schweizer Teamkollegin, die mit ihrer Angriffslust das Feld für die Nummer eins der Schweizer aufmischen könnte. Reusser musste man jedenfalls noch nie bei einer Straßen-WM derart hoch einschätzen.

*** Kimberley Le Court Pienaar (Mauritius)

Hand aufs Herz: Kimberley Le Court Pienaar aus Mauritius gewann im Frühjahr den Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich - eine gute Empfehlung Richtung WMFoto: Getty Images/Luc ClaessenHand aufs Herz: Kimberley Le Court Pienaar aus Mauritius gewann im Frühjahr den Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich - eine gute Empfehlung Richtung WM

Es wäre ein echtes Lebenszeichen für den afrikanischen Radsport: Wenn eine Frau aus Afrika bei der ersten Straßen-WM auf dem schwarzen Kontinent eine Medaille gewinnen würde. Die vielleicht einzige Kandidatin ist Kim Le Court Pienaar. Die 29-jährige Radsportlerin ist der Shootingstar in dieser Saison. Erst seit vergangenem Jahr fährt sie regelmäßig Straßenrennen auf höchstem internationalen Niveau. Sie hob den Inselstaat Mauritius auf die Weltkarte des Radsports, als sie im April den Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich gewann. Es folgte ein Etappensieg bei der Tour de France, zudem trug sie auf vier Etappen das Gelbe Trikot. Vermutlich war ihr Weg in den Sport, für den sie viele Jahre in Südafrika verbracht hat, nicht so schwer wie bei mancher Geschlechtsgenossin - beispielsweise aus Ruanda, die sich mitunter klammheimlich fürs Training aufs Rad setzen musste, weil Mädchen und Frauen in vielen Teilen Afrikas noch immer nicht gerne auf dem Radsattel gesehen werden (siehe Link). Pienaar kann klettern und ist im Sprint extrem schnell - nur ganz lange Berge liegen der Ex-Mountainbikerin nicht wirklich. Der Inselstaat Mauritius kann ihr auch keine Mannschaft auf Augenhöhe mit den Weltbesten zur Seite stellen.

*** Anna van der Breggen (Niederlande)

Gut in Form: Anna van der Breggen gewann in Kigali bereits Silber im EinzelzeitfahrenFoto: Getty Images/Dirk WaemGut in Form: Anna van der Breggen gewann in Kigali bereits Silber im Einzelzeitfahren

Sie ist ein bisschen ein Rätsel - Form und Taktik von Anna van der Breggen sind aktuell nicht ganz gut einzuschätzen. Nach ihrem Comeback zeigte die 35-jährige Niederlage starke Rennen, konnte aber bei der Tour den Konkurrentinnen anders als früher an langen Bergen nicht folgen. Doch die Olympiasiegerin und zweimalige Weltmeisterin versteht es auf den Punkt fit zu sein und kann Rennen lesen. Mit ihrer Silbermedaille im Einzelzeitfahren knapp eine Woche vor dem Straßenrennen zeigte sie: Sie ist top in Form und kommt mit den Bedingungen in Ruanda gut zurecht. Im Kampf gegen die Uhr war sie schneller als Teamkollegin Demi Vollering. Ihr Trumpf: Und sie spürt, wann der richtige Zeitpunkt für eine Attacke ist - auch um im entscheidenden Moment in die Führungsrolle im Oranje-Team zu schlüpfen. Als eine Frauen-WM ähnlich schwer war wie in diesem Jahr, siegte van der Breggen: In Imola feierte sie im Jahr 2020 nach 3500 Höhenmetern ihren zweiten WM-Titel. Ein Jahr spätere beendete sie nach WM-Platz 89 im belgischen Leuven ihre Karriere zwischenzeitlich und arbeitete von 2022 bis 2024 als Sportliche Leiterin beim Team SD Worx, ehe sie wieder Lust aufs Rennen fahren spürte.

​** Katarzyna Niewiadoma (Polen)

Einsatzfreudig: Kaisa Niewiadoma, Tour-Siegerin 2024 und polnische MeisterinFoto: Getty Images/Szymon GruchalskiEinsatzfreudig: Kaisa Niewiadoma, Tour-Siegerin 2024 und polnische Meisterin

Sie ist die ewige Angriffslust: Katarzyna Niewiadoma. Die Frau trägt in dieser Saison nicht nur bei der WM Polens Nationalfarben, als aktuelle Meisterin ihres Landes ist sie auch sonst in weiß-rot mit Adler auf dem Trikot unterwegs. Die 31-jährige Polin wirkt oft zu ungestüm, um ihn taktisch diffizilen Situationen die richtige Entscheidung zu fällen. Im Vorjahr Tour-Siegerin war sie in diesem Jahr allenfalls die Nummer drei, wenn es länger bergauf ging. Sicher ist: “Kasia” wird ihre Chance suchen. Ihre Zähigkeit könnte auf dem Kurs in Ruanda der entscheidende Trumpf sein. Auch wenn ihre polnische Mannschaft bald ausgedünnt sein könnte, weil sie nicht so stark aufgestellt ist wie die der Italienerinnen oder Holländerinnen.

** Liane Lippert (Deutschland)

Angriffslustig: Liane Lippert ist vermutlich Deutschlands vielversprechendste Kandidatin für eine MedailleFoto: Getty Images/Luc ClaessenAngriffslustig: Liane Lippert ist vermutlich Deutschlands vielversprechendste Kandidatin für eine Medaille

Auch Deutschland hat in Afrikas tropischer Hitze ein Eisen im Feuer: Liane Lippert war in den vergangenen Jahren oft nah dran an einer Medaille. Im Vorjahr in Zürich landete sie wie schon 2022 in Wollongong auf dem undankbaren vierten Platz. Vor fünf Jahren war sie WM-Fünfte. Es wird langsam Zeit, dass die 27-jährige Friederichshafenerin etwas mehr Fortüne hat. Beim Blick auf die Höhenmeter, die auf dem Rundkurs in der Hauptstadt Ruandas zu absolvieren sind, möchte man meinen: etwas zu viel Kletterei für die Frau, die schon Etappen bei Giro und Tour gewonnen hat. Aber die Anstiege sind nicht extrem lang und mit gutem Auge könnte sie bis zum Finale mit den Besten mitfahren - und für einen Sprint aus einer kleinen Gruppe ist sie allemal schnell genug. „Nach ihren zwei Etappensiegen im Giro ist sie auf dieser Strecke zu den Favoritinnen zu zählen,“ sagt Bundestrainer André Korff. „Die anspruchsvolle Strecke kommt ihr entgegen.“ Allerdings musste Lippert den Start in der Mixed-Staffel drei Tage vor dem Straßenrennen wegen Unwohlsein absagen. An ihrer Seite hat sie starke Helferinnen wie die Deutsche Meisterin Franziska Koch und Antonia Niedermaier. Letztere gilt als große Rundfahrt- und Zeitfahrspezialistin, wirkte in diesem Jahr allerdings nicht in allerbester Form. Die langjährige Skibergesteigerin kann aber definitiv klettern und könnte in Ruanda für eine Überraschung gut sein. Fehlen wird Ricarda Bauernfeind, die den WM-Start wegen eines hartnäckigen Infekts kurzfristig absagte. Nicht unwichtig: Die Deutschen müssen sich zu dritt gegen die siebenköpfigen Teams aus Frankreich, den Niederlanden und Italien zur Wehr setzen.

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