Rad-WM 2023Vollversammlung in Glasgow

Andreas Kublik

 · 29.07.2023

Rad-WM 2023: Vollversammlung in GlasgowFoto: Veranstalter
Die Rad-WM 2023 in Glasgow vom 3. bis 13. August führt die unterschiedlichsten Radsport-Disziplinen zusammen. Schottland wird Schauplatz einer Premiere – mit vielseitigen Athletinnen und Athleten.

Der 3. August 2023 wird wohl in die Geschichtsbücher des Radsports eingehen. An diesem Tag beginnt in Schottland die “Super-WM” – die ersten weltweiten Titelkämpfe, bei denen in fast allen Radsportdisziplinen binnen zehn Tagen an einem Schauplatz Regenbogentrikots vergeben werden. Auf der Straße im Einzelzeitfahren, im Straßenrennen und in der Mixed-Staffel, dazu im Granfondo – dem Radmarathon-Wettbewerb, für den man sich weltweit als Hobbysportler qualifizieren konnte.

Rad-WM 2023: Zahlreiche Disziplinen bei einem Event

Dazu gibt es im Sir-Chris-Hoy-Velodrom in Glasgow Edelmetall in allen Bahnsportdisziplinen, nebenan in der Emirates-Arena treffen sich die Kunstradfahrer und Radballer bei der Rad-WM 2023. Nicht alles hat auf dem Gebiet der 600.000-Einwohner-Stadt Glasgow Platz: Die Mountainbiker ermitteln ihre Schnellsten im Downhill in Fort Williams, unweit des höchsten schottischen Berges Ben Nevis. Die Cross-Country-Biker wiederum treffen sich im Glentress Forest südlich von Edinburgh zu ihren Championatsrennen. Auch die Handicap-Radsportler und -Radsportlerinnen sind mit ihren Straßen- und Bahndisziplinen dabei. “Die inkludierte WM wird uns – hoffentlich – viel Aufmerksamkeit bringen”, sagt Para-Radsport-Bundestrainer Gregor Lang. Auch BMX-Spezialisten messen sich, dazu gibt es die weltbesten Trial-Spezialisten zu sehen.

Cyclocross und Gravel nicht dabei

Nur Cyclocross, traditionell ein Wettbewerb für das Winterhalbjahr, und Gravel-Rennen stehen nicht auf dem Programm der Titelkämpfe – ebenso wie E-Sports und die (angesichts des Klimawandels verwunderlicherweise) gerade von der UCI eingeführten Disziplinen auf Schnee. In den sonst eher weniger beachteten Radsportwettbewerben dürfte die Weltmeisterschaft in Schottland mehr Aufmerksamkeit hervorrufen – die Verdichtung der Disziplinen auf wenige Event-Tage wird indes nicht jedem und jeder gefallen. Während sich Mathieu van der Poel an einem Doppelstart auf Rennrad und Mountainbike versuchen will, wird sich der andere Super-Allrounder, der Engländer Tom Pidcock, voraussichtlich auf das Mountainbike-Rennen konzentrieren wollen. Und die US-Amerikanerin Chloe Dygert, bereits Weltmeisterin auf der Straße und auf der Bahn, sähe es gerne, wenn das Programm entzerrt wäre.

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“Ich hätte es lieber, wenn die Bahnwettbewerbe wieder zurück in den Winter oder das Frühjahr geschoben würden, dann hätte man mehr Möglichkeiten, beide Disziplinen zu bestreiten”, sagt die 26-jährige US-Amerikanerin. Die Weltmeisterin im Einzelzeitfahren von 2019 und mehrmalige Bahnweltmeisterin ist eine der Kandidatinnen bei der Rad-WM 2023, die dank ihrer Vielseitigkeit in mehreren Disziplinen herausragen könnte. Hier stellen wir interessante Persönlichkeiten der Rad-WM 2023 vor – mit ihrer Geschichte, die von der Vielseitigkeit der Athleten in verschiedenen Radsportdisziplinen erzählt.

Persönlichkeiten der Rad-WM 2023: Pauline Ferrand-Prevot - Superwoman

Pauline Ferrand-Prevot bei der diesjährigen Cross-Country-EM in KrakauFoto: Getty VeloPauline Ferrand-Prevot bei der diesjährigen Cross-Country-EM in Krakau

Die Französin war die Superwoman des Radsports, da gab es noch gar keine Super-WM: Im September 2015 war ihr ein bisher historisch einmaliger Erfolg gelungen. Sie hielt gleichzeitig die WM-Titel im Mountainbike-Cross-Country, im Straßenrennen und im Cyclocross – als bisher einzige Frau. Ein Mann hat noch nie alle drei Titel gewonnen. Mittlerweile ist die 31-Jährige fast ganz zu den Geländedisziplinen zurückgekehrt – Straßenrennen bestreitet sie aktuell kaum noch. Aber das könnte sich ändern: “Ursprünglich komme ich vom Straßenradsport”, sagt sie. “Natürlich würde ich eines Tages gerne auf die Straße zurückkehren. Nicht jetzt, aber nach den Olympischen Spielen in Paris.” Ferrand-Prevot ist wie Pidcock Teil eines disziplinenübergreifenden Projekts beim Team Ineos Grenadiers. Schließlich hat Pinarello, der Fahrradsponsor des britischen Weltklasse-Teams, nach langer Pause wieder ein Mountainbike entwickelt und auf den Markt gebracht.

Hingucken: Mountainbike-Cross-Country der Frauen (12. August)

Persönlichkeiten der Rad-WM 2023: Mathieu van der Poel - der Alleskönner

Kann sogar Kopfsteinpflaster: Mathieu van der Poel auf dem Weg zum Sieg bei Paris-Roubaix 2023Foto: Getty VeloKann sogar Kopfsteinpflaster: Mathieu van der Poel auf dem Weg zum Sieg bei Paris-Roubaix 2023

Der Super-Allrounder aus den Niederlanden gilt als Top-Favorit in zwei Disziplinen, mit denen er noch eine Rechnung offen hat: Auf dem Mountainbike stürzte er bei der Jagd nach Olympia-Gold 2021 in Tokio schwer – seither pausierte er bei den internationalen Meisterschaften im Cross-Country. Neben dem Serienweltmeister Nino Schurter aus der Schweiz und Olympiasieger Tom Pidcock würde der 28-Jährige bei einem Start zu den Favoriten zählen. Er würde dort auch um einen Startplatz für das olympische Mountainbike-Rennen 2024 kämpfen. Im Straßenrennen galt van der Poel seit seinem Debüt 2019 in Yorkshire stets als Titelkandidat, ging aber bisher leer aus. Im Vorjahr in Australien gab er nach einer nächtlichen Auseinandersetzung im Teamhotel das WM-Rennen entnervt und übernächtigt bereits nach wenigen Kilometern auf. Den Titel im Cyclocross hält er seit Jahresbeginn – er könnte in Glasgow der erste Weltmeister bei den Männern in drei Disziplinen werden.

Hingucken: Straßenrennen Männer (6. August) und MTB-Cross-Country Männer (12. August)



Persönlichkeiten der Rad-WM 2023: Michael Teuber - Reha-Weltmeister

Michael TeuberFoto: Getty VeloMichael Teuber

Der Dauerbrenner des deutschen Para-Cycling-Sports: Michael Teuber ist mittlerweile 55 Jahre alt, zählt aber auch bei seiner 16. WM-Teilnahme als Medaillenkandidat im Einzelzeitfahren der Klasse C1. Seit einem Autounfall 1987 ist der Oberbayer inkomplett querschnittgelähmt. “Im Para-Sport können Wettkämpfe länger auf einem internationalen Niveau bestritten werden. Man kann aber nicht sagen, dass das Alter kein Problem ist”, erläutert Bundestrainer Gregor Lang und ergänzt: “Michael kann sich so lange an der Weltspitze halten, weil er ein enormes Trainingspensum abliefert und sein ganzes Leben auf den Radsport ausrichtet.” Der Odelzhausener bestreitet zwar auch das Straßenrennen, legt den Fokus aber auf das Einzelzeitfahren. Ein Ende seiner Karriere ist auch in Glasgow nicht in Sicht: “Ich blicke jetzt erst mal nach Paris 2024. Dort will ich eine Medaille im Zeitfahren gewinnen. Danach fahre ich noch so lange, wie ich Lust habe und konkurrenzfähig bin, also Medaillenchancen habe”, sagt er – und hofft in Glasgow auf die öffentliche Aufmerksamkeit, die er sonst nur bei den Paralympics erfährt.

Hingucken: Einzelzeitfahren (EZF) der Handicap-Klasse C1 (10. August)

Persönlichkeiten der Rad-WM 2023: Harrie Lavreysen

Harrie LavreysenFoto: Getty VeloHarrie Lavreysen

Der aktuell weltbeste Bahnsprinter, zweimaliger Olympiasieger und vielmaliger Weltmeister, zählte einst im Nachwuchs zu den besten BMX-Racern. Als Teenager war der Niederländer Harrie Lavreysen BMX-Europameister. Doch er wechselte die Disziplin, nachdem er sich mit 18 Jahren beide Schultergelenke gleichzeitig ausgerenkt hatte. Am Tag nach dem schweren Sturz beschloss er, das BMX-Rad in die Ecke zu stellen und es künftig auf der Hallenbahn zu versuchen. Nicht wenige in der Szene halten die BMX-Radsportschule des inzwischen 26-Jährigen für den Schlüssel zu seiner aktuellen Überlegenheit. Im BMX braucht es Antrittsschnelligkeit, Fahrradbeherrschung bei den hohen und weiten Sprüngen und hohe Trittfrequenz. Teamkollege Jeffrey Hoogland hat die gleiche Vergangenheit. “Wir machen uns gegenseitig besser”, sagt Lavreysen über seinen Landsmann und Konkurrenten. In jungen Jahren wurde er vom deutschen Ex-Sprintweltmeister Rene Wolff gecoacht, der den niederländischen Verband zu Jahresbeginn verlassen musste.

Hingucken: Sprint, Keirin und Teamsprint der Männer (3.–9. August)

Persönlichkeiten der Rad-WM 2023: Thomas Ulbricht & Robert Förstemann - Team Inklusion

Vom Sprint-Anfahrer zum Tandem-Piloten: Robert Förstemann, einst einer der besten Bahnsprinter Deutschlands, ist in den Handicap-Sport gewechselt. In Glasgow bestreitet der 37-jährige gebürtige Thüringer als Vordermann von Thomas Ulbricht Tandemwettbewerbe auf der Bahn. Treten müssen beide – steuern wird Förstemann, dessen 38-jähriger Teamkollege Thomas Ulbricht unter einer Sehbehinderung leidet. “Beide müssen das Maximum an Leistung in ihr Sportgerät stecken”, erläutert Bundestrainer Gregor Lang. “Robert ist also nicht nur der sehende Pilot. Des Weiteren muss er den Sehbehinderten in ganz alltäglichen Aufgaben unterstützen, beim Auf- und Absteigen aufs und vom Tandem oder bei der Orientierung an fremden Orten.” Ulbricht wechselte wegen einer Achillessehnenverletzung aus der Para-Leichtathletik zum Radsport und holte mit Förstemann zuletzt bei der WM in Paris Silber und Bronze im Sprint und im 1000-Meter-Zeitfahren der B-Klasse.

Hingucken: Zeitfahren/Sprint Para-Cycling Bahn (4., 6.–7. August)

Persönlichkeiten der Rad-WM 2023: Chloe Dygert - goldenes Comeback?

Chloe DygertFoto: Getty VeloChloe Dygert

Die US-Amerikanerin ist das weibliche Pendant zum Italiener Filippo Ganna: pure Power mit großer Stärke im Einzelzeitfahren. Aber die 26-Jährige ist gewissermaßen den umgekehrten Weg gegangen – von draußen nach drinnen auf die Bahn. “Ich habe als Juniorin mit Straßenrennen angefangen”, erzählt Chloe Dygert. “Nachdem ich 2015 in Richmond den Junioren-WM-Titel im Straßenrennen gewonnen hatte, wurde ich gefragt, ob ich ins US-Bahnrad-Programm wechseln möchte. Die beiden Disziplinen ergänzen sich sehr schön – ich habe das meine ganze Karriere lang gemacht.” Für Dygert könnte ein harter Kampf um ihr Comeback in Glasgow erfolgreich enden. Beim Versuch, ihren WM-Titel im Einzelzeitfahren in Imola 2020 zu verteidigen, war sie schwer gestürzt, hatte seither immer wieder gesundheitliche Probleme, die sie bis zum vergangenen Frühjahr erneut zu einer 14-monatigen Rennpause zwangen. Wird es ein goldenes Comeback bei den Weltmeisterschaften?

Hingucken: Verfolgung Bahn (3.–5. August) und EZF (10. August)

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