Felix Mattis
· 13.03.2020
Die gebürtige Saarländerin Lisa Klein gehört zu den besten deutschen Zeitfahr-Spezialistinnen. Im TOUR-Gespräch erzählt die Profisportlerin, die in Erfurt lebt und trainiert, wer sie geprägt hat, welches ihr liebstes Rennen ist – und warum sie ein Dickkopf ist.
TOUR Lisa, Sie haben mit zehn Jahren mit dem Radsport begonnen. Erzählen Sie doch mal von Ihrer Kindheit im Saarland.
LISA KLEIN: Ich bin früher mit meinem Papi immer Motocross gefahren. Aber dann wollten er und meine Mama sportlicher werden, sind Rad gefahren und haben auch mir ein Mountainbike gekauft. Nur sind beim RSC Überherrn alle mit dem Rennrad unterwegs gewesen. Nach meinem ersten Straßenrennen auf dem MTB habe ich gesagt: "Papi, das ist doof. Ich habe einen Nachteil!"
Sie wurden schnell ehrgeizig ...
Also wurde ich auf ein Rennrad gesetzt. Wir sind dann um die Wette gefahren, ganz am Anfang auch einfach nur um eine kleine Bauminsel. Ich bekam bald mein eigenes Rennrad und habe angefangen, Erste-Schritte-Rennen zu fahren.
Sie sind Motocross gefahren, haben Leichtathletik betrieben und getanzt. Aber Sie haben sich dann schnell aufs Radfahren spezialisiert und sind aufs Sportinternat am Heinrich-Heine-Gymnasium (HHG) in Kaiserslautern gewechselt.
Ich wollte sowieso die Schule wechseln. Durch zwei Freundinnen habe ich das Heinrich-Heine-Gymnasium kennengelernt und mich für eine Probewoche angemeldet. Schon nach drei Tagen habe ich daheim angerufen und gesagt: "Mama, ich bleibe hier!"
Das klingt, als ob es Ihnen relativ leichtgefallen wäre, so früh von zu Hause wegzugehen?
Es war nicht einfach und mit Tränen verbunden, sonntags immer wieder ‚Tschüss‘ zu sagen – gerade für einen Familienmenschen wie mich. Wir sind uns sehr, sehr nah. Noch heute ist es ein Extra-Ansporn für mich, wenn meine Familie bei Rennen dabei ist. Von daher war es ein Riesenschritt, aber im Nachhinein enorm wichtig und die beste Entscheidung.
Welche Rolle hat das HHG für Sie als Radsportlerin gespielt?
Dort hat es für mich mit dem Leistungssport begonnen, ich habe realisiert: Okay, das ist es, was ich machen will! Ich kam im Februar auf die Schule. Im Sommer wurde ich schon Deutsche U15-Meisterin auf der Straße. Die ganze sportliche Ausbildung auf Bahn und Straße durch Herrn Mühlfriedel war toll. Ich war nicht unbedingt der Typ, der von sich aus selbstständig und motiviert war. Da hat mir die Struktur der Schule sehr geholfen.
Hermann Mühlfriedel, damals Leiter des Sportzweigs am HHG und U17-Bundestrainer, hat also großen Anteil daran, wie Sie sich als Radsportlerin entwickelt haben?
Definitiv. Er hat mich in die Radsport-Welt eingeführt, hat mir Ernährungstipps gegeben, Trainingsbereiche erklärt und so weiter. Er hat mir beigebracht, wie ich auf meinen Körper höre. Davon profitiere ich heute noch im Training. Ich arbeite viel nach Gefühl. Aber auch außerhalb des Sports hat man in diesem Alter natürlich vielschichtige Probleme. Deshalb bezeichne ich Herrn Mühlfriedel auch als meinen Mentor.
Mittlerweile wohnen Sie in Erfurt, wo Sie auch eine Trainingsgruppe haben und Ihr aktueller Trainer Michael Beckert lebt.
Ja, Erfurt ist sportlich sehr wichtig für mich. Aber zu Hause ist eben zu Hause. In Lauterbach kann ich ich selbst sein, und alle sind stolz auf mich – egal, wie meine Leistung war. Es dreht sich kaum um Radsport, sondern ich gehe mit meiner Schwester in den Reitstall oder fahre mit Papa auf den Modellflugplatz, gehe mit Mama shoppen. Es gibt mir enorm viel Kraft, bei der Familie zu entspannen und von Mama bekocht zu werden. Und andersrum besucht sie mich auch in Erfurt – dann koche ich!
Sie wechselten mit 18 Jahren zum Profiteam Bigla. Auch das war ein mutiger Schritt ...
Als ich mich dem Abitur näherte, sagte ich zu Herrn Mühlfriedel: Ich brauche einen Profi-Vertrag, sonst höre ich auf! Ich wollte nicht in ein deutsches Bundesliga-Team. Ich wusste, dass das für meine Entwicklung keinen Sinn macht. Es hätte mich nicht weitergebracht. Für mich war klar, dass ich Radsport ganz machen will – oder eben gar nicht und studieren gehe.
Der Leistungssprung aus der Nachwuchsklasse zu den Profis war dann in der Saison 2015 aber zu groß?
Definitiv. Ich war nach einem Jahr auch kurz davor aufzuhören. Es ging mir gesundheitlich nicht gut, ich hatte eine Herzmuskelentzündung. Nur weil ich Ende des Jahres zur Bundeswehr kam, Olympia in Aussicht hatte und mein Umfeld an mich geglaubt und gesagt hat, dass ich mit meinem Talent nicht einfach aufhören soll, bin ich dabeigeblieben. Aber es gibt viele Talente, die an diesem großen Schritt scheitern. Es fehlt bei den Frauen die U23-Klasse, es fehlen internationale Development-Teams. Grundsätzlich muss man sich ja fragen: Warum gibt es eine U23-EM, aber keine U23-WM? Das wäre eine riesige Chance für junge Mädels, um zu lernen.
Schon als Juniorin sagten Sie immer deutlich und selbstbewusst Ihre Meinung, waren nicht so schüchtern und ruhig, wie man es von vielen Juniorinnen gewohnt ist. Bei Bigla trafen Sie dann auf den ebenfalls sehr meinungsstarken Teamchef Thomas Campana. Wie hat das gepasst?
Es gab sicher sehr viele Meinungsverschiedenheiten, die Zusammenarbeit war nicht immer einfach. Aber er hat mich extrem weitergebracht, mich immer motiviert und an mich geglaubt. Gerade im Zeitfahren war immer richtig Rock’n’Roll über Funk. Das war toll! Aber ein Diskussionspunkt war eben immer, dass er kein Freund des Bahnradsports war, ich aber wiederum meine Ziele dort hatte. Und ich bin ein kleiner Dickkopf! Außerdem ist mit den Einsätzen auf der Bahn auch meine Anstellung bei der Bundeswehr verknüpft.
Sie sind 2018 zum Team Canyon-SRAM gewechselt. Wegen der Differenzen rund um den Bahnradsport?
Nein, ich bin gewechselt, weil ich davon überzeugt war, dass mich das weiterbringt. Es war mein großes Ziel, mich im Zeitfahren und als Klassikerfahrerin zu entwickeln. Deshalb bin ich auf Ronny Lauke (Canyon-Teamchef; Anm. d. Red.) zugegangen.
Mittlerweile sind Sie im Zeitfahren Weltspitze – Sie waren 2019 Jahr EM-Zweite und WM-Fünfte.
Dahinter steckt viel Detailarbeit. Wir arbeiten viel mit unserem Performance-Director Lars Teutenberg und mit Dan Bigham als Aerodynamik-Experten zusammen. Ich bin sehr glücklich, dass es Leute gibt, die sich so gut auskennen und ziehe da voll mit, bin offen für alle Tipps. Ich habe viele Dinge anfangs nicht verstanden, aber es ist enorm wichtig, wie der Anzug sitzt, welchen Helm man trägt. Da werden immer neue Ideen ausprobiert – Details verändert, die in der Summe weiterhelfen.
Was ist Ihr Lieblings-Rennen?
Wenn ich ein einzelnes Rennen aus dem Kalender heraussuchen darf, dann würde ich Flandern nennen. Die Ronde ist für mich als Fahrertyp ein sehr geiles Rennen, es passt zu meinen Fähigkeiten. Man muss technisch und taktisch gut sein, ich mag das Kopfsteinpflaster. Aber auch das Flair und die Zuschauer sind toll. Die Flandern-Rundfahrt ist einzigartig, und es wäre ein Riesentraum von mir, sie eines Tages zu gewinnen.
Sie fahren aber auch auf der Bahn – ist das Ihr freier Wunsch oder mehr eine Verpflichtung, weil daran auch Ihre Stelle in der Sportfördergruppe der Bundeswehr geknüpft ist?
Nach Rio 2016 war es erst mal auch eine Verpflichtung. Zuvor war ich die ganze Zeit um den Planeten mitgereist, aber kaum zum Einsatz gekommen – und meine Entwicklung lag auf Eis. Es war eine Enttäuschung. Aber als 2017 Lisa Brennauer auf die Bahn zurückkehrte, machte es schnell wieder Spaß. Wir sind jetzt bestmöglich besetzt. Deshalb geht viel voran. Inzwischen würde ich sogar sagen, dass ich auch ohne Bundeswehr immer wieder gerne auf die Bahn zurückkehren würde.
Wie sehr hat Sie der Unfall Ihrer Freundin Kristina Vogel, die Sie als großes Vorbild bezeichnen, auch als Radsportlerin beeinflusst?
Ihr Unfall (die mehrfache Bahn-Weltmeisterin Vogel ist seit einem Trainingsunfall im Juni 2018 querschnittsgelähmt, Anm. d. Red.) hat mich komplett aus der Bahn geworfen. Kristina war eine der Ersten, die nach meinem Unfall (Klein wurde im Mai 2018 von einem Auto angefahren und erlitt einen Schlüsselbeinbruch, Anm. d. Red.) bei mir im Krankenhaus waren – und dann erwischte es sie. Es war ein schwieriges Jahr, in dem sich herausgestellt hat, wie enorm wichtig mein Umfeld für mich ist. Glücklicherweise macht es uns Kristina ja echt einfach – und so hat sich der Spieß umgedreht: Ich erkannte, wie froh ich sein kann, einfach Rad zu fahren und habe aus dem Tief umso mehr Kraft getankt. Kristina war quasi eine Art indirekte Mentaltrainerin für mich.
Nationalität deutsch
Geboren 15.7.1996 in
Saarbrücken
Größe 1,69 m
Gewicht 60 kg
Wohnort Erfurt
Profi seit 2015
TEAMS
Bigla/Cervélo-Bigla
(2015–2017), Canyon-SRAM (seit 2018)
WICHTIGE ERFOLGE
2016 EM-Dritte Einzelzeit-fahren (EZF)
2017 EM-Dritte EZF, Deutsche Meisterin Straße
2018 Weltmeisterin
Mannschaftszeitfahren, EM-Zweite EZF
2019 Gesamtsiege Healthy Ageing Tour und BeNe Ladies Tour, Deutsche Meisterin EZF, Etappensiege Thüringen-Rundfahrt und Boels Ladies Tour, EM- und WM-Zweite Mixed-Staffel, EM-Dritte Straße, EM-Zweite EZF; WM-Dritte Einer-verfolgung, EM-Zweite Mannschaftsverfolgung
2020 WM-Dritte Mannschaftsverfolgung
2021 Gesamtsieg Baloise Ladies Tour
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