Der Sohn eines extrem erfolgreichen Radsportlers zu sein, bringt gewisse Fallstricke mit sich. Das hat auch Nicolas Roche zu Beginn seiner Karriere bemerkt. Die Erwartungen sind hoch und Vergleiche schnell herangezogen: Der Vater war erfolgreich – also müsste es der Sohn ja auch sein. “In den ersten Jahren hat man das Gefühl, dass die anderen enttäuscht sind, weil ich nicht Paris-Nizza gewonnen habe, oder die Rennen, die mein Vater zu Beginn seiner Karriere gewonnen hat”, sagte Roche 2014 bei “Velonews”.
Er fand daher seinen eigenen Umgang mit den Erfolgen seines Vaters. “Ich habe sehr schnell gemerkt, dass ich nicht besser sein werde als er. Wie sollte ich auch? Es gab nur wenige, die besser waren als er. Ich kann aber andere Dinge tun. Ich glaube, die Leute haben das ziemlich schnell begriffen”, so Roche weiter.
Die Messlatte durch den Vater lag unerreichbar hoch. In seiner ersten Profi-Saison 1981 gewann Stephen Roche auf Anhieb die Fernfahrt Paris-Nizza und etablierte sich fortan als einer der Spitzenfahrer der 1980er-Jahre. In die Geschichtsbücher des Radsports zog er 1987 ein, als er als zweiter Fahrer nach Eddy Merckx in einem Jahr den Giro d’Italia, die Tour de France und die Straßenweltmeisterschaft gewann. Er ist bis heute der einzige Ire, dem der Tour-Sieg gelang. 1993 beendete Roche seine Karriere. Auch sein Bruder Laurence Roche war einige Jahre Profi: 1991 nahmen beide Brüder sogar gemeinsam an der Tour de France teil.
Da Stephen Roche eine Französin heiratete und den Großteil seiner Profizeit in Frankreich verbrachte, kam auch Nicolas Roche in dem Land zur Welt. Sein Patenonkel ist derweil eine andere irische Radsportikone: Sean Kelly. Seine Jugend verbrachte Nicolas Roche dennoch in Irland, ehe er als Junior zurück nach Frankreich zog und seine ersten Profijahre bei den französischen Teams Cofidis (2005 bis 2006), Credit Agricole (2007 bis 2008) und Ag2r La Mondiale (2009 bis 2012) verbrachte.
An die Ergebnisse seines Vaters kam er indes nie heran. Trotzdem etablierte sich Nicolas Roche im Radsport und erreichte einige beachtliche Grand-Tour-Ergebnisse bei der Vuelta a Espana: Platz sechs 2010, Platz fünf 2013. Zudem gewann er 2013, 2015 sowie 2017 (Mannschaftszeitfahren) jeweils eine Etappe bei der Spanien-Rundfahrt. Später agierte Roche insbesondere als Helfer und Road Captain für Team Sky, BMC und Sunweb (später DSM).
Die irische Familiengeschichte geht indes noch weiter, da Nicolas Roche zeitgleich mit seinem Cousin Daniel Martin im Profipeloton aktiv war. Martin stellte – anders als Roche – seinen Vater sportlich dabei deutlich in den Schatten, unter anderem gewann Martin die Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich und Lombardei-Rundfahrt und holte je zwei Etappensiege bei der Tour de France und der Vuelta a Espana. Vater Neil Martin, gebürtiger Brite, war in den 1980er-Jahren nur kurzzeitig als Profi unterwegs und gewann zwei Etappen der Tour of Britain. Außerdem nahm er als Amateur 1980 und 1984 für Großbritannien an den Olympischen Spielen teil.
Im Amateurbereich fuhr Neil Martin anfangs auch Rennen gegen Stephen Roche – und lernte so dessen Schwester Maria kennen, die er später heiratete. Daniel Martin wurde 1986 in englischen Birmingham geboren und 2004 sogar britischer U18-Meister, ehe er sich entschied, durch seine irische Mutter Maria unter irischer Lizenz zu fahren.
2021 beendeten Nicolas Roche und Daniel Martin ihre Karrieren. Eines ihrer letzten großen Rennen bestritten beide zusammen für die irische Nationalmannschaft beim Olympischen Straßenrennen in Tokio.