Andreas Kublik
· 07.03.2025
Ganz oben war Maximilian Schachmann wieder dort, wo er sein wollte: Am Alto do Malhão – einem Aussichtsberg mit Blick auf die Atlantik-Küste im Süden Portugals. Im abschließenden Einzelzeitfahren der Algarve-Rundfahrt landete er dort auf Rang fünf. Einer Prüfung aus klassischem Kampf gegen die Uhr und einem bis zu 14 Prozent steilen Schlussanstieg – mit Ziel an der Stelle, wo er sich im Jahr 2020 einen verbissenen Kampf mit Remco Evenepoel um Tages- und Gesamtsieg geliefert hatte. “Ich bin aus einem Höhentraining gekommen. Es war mein erstes Rennen mit dem Team. Ich kann mit allem zufrieden sein. Es ist noch viel zu tun – aber es ist ein vielversprechendes Ergebnis in einem starken Fahrerfeld”, urteilte er nach getaner Arbeit. Es gelang ihm Platz fünf in der Tageswertung nach knapp 20 Kilometern – 30 Sekunden hinter Sieger Jonas Vingegaard und 19 Sekunden hinter dem Zweitplatzierten Wout Van Aert, knapp vor dem ehrgeizigen Lokalmatador João Almeida. Und auch in der Gesamtwertung belegte er nach fünf Tagesabschnitten den fünften Platz. Es war ein guter Jahresbeginn. “Ich hatte einen guten Winter, ich fühle mich super wohl hier im Team”, hatte Schachmann schon vor dem Start zu TOUR gesagt.
Für den mittlerweile 31-jährigen Deutschen bedeutet die Saison 2025 einen Neustart – und eine Rückkehr. Er fährt in der neuen Saison für das Team Soudal Quick-Step. “Ich habe gemerkt, dass man mich bei Quickstep wirklich will und mich wertschätzt. Das war der ausschlaggebende Grund dafür, wieder zurückzuwechseln”, erläutert der zweimalige Deutscher Meister im Straßenrennen seine Motive, das Trikot und den Arbeitgeber zu tauschen. Seine Profikarriere hatte er 2017 im belgischen Rennstall begonnen, fuhr dann zuletzt sechs Jahre im Trikot von Bora-hansgrohe. Schachmann ging es wie anderen deutschen Top-Profis, denen die Wertschätzung im heimischen Rennstall fehlte. Lennard Kämna verabschiedete sich zu Lidl - Trek, Emanuel Buchmann will bei Cofidis wieder große Auftritte bei der Tour de France hinlegen. Ihnen allen war klar: Mit dem alten Arbeitgeber würde es nicht weitergehen. Deutsche Rennfahrer sind Teamchef Ralph Denk nicht mehr besonders wichtig. Er denkt und plant international.
Bei Quickstep, wo der gerade ausgeschiedene Teamchef Patrick Lefevere den talentierten Berliner einst ungerne ziehen ließ, wollte man ihn wieder haben – in besonderer Rolle: Er soll ein wichtiger Edeldomestik an der Seite von Belgiens Radsportstar Remco Evenepoel werden, die Ambitionen des Zeitfahren-Olympiasiegers, Vuelta-Gewinners und Tour-de-France-Dritten des Vorjahres unterstützen. Eigene Ambitionen auf eine Top-Platzierung im Gesamtklassement einer Drei-Wochen-Rundfahrt sieht man im Lager Schachmanns eher nicht mehr. “Es wäre schon etwas Besonderes in meiner Laufbahn, in einem Team zu fahren, das die Tour de France gewinnt oder auf dem Podium beendet”, sagt der vielseitige veranlagte Radprofi, und sieht sich künftig auf höchstem Niveau auch in einer Helfer-Rolle in einem vielleicht künftigen “Super-Team”, das es im Auftrag von Anführer Evenepoel mit der überragenden Eskorte von Tadej Pogačar bei der Tour aufnehmen kann.
Aber der Familienvater, der mittlerweile in Andorra lebt, soll Chancen auf eigene Top-Resultate bekommen: Erstes Highlight ist das Etappenrennen Paris-Nizza (9. bis 16. März bis 2025). Dort gewann er zweimal die Gesamtwertung in den Jahren 2020 und 2021. Doch nach den wegen der Pandemie verschobenen Olympischen Spielen im Sommer 2021 fiel er in ein Leistungsloch – aus dem er sich mühsam herausarbeiten musste. Vereinzelt starke Auftritte zeigten: Schachmann hat noch oder wieder Potential ganz vorne mitzufahren – wie im Vorjahr auf der 1. Etappe des Giro d‘Italia, als er im Kampf um den Etappensieg Jhonatan Narváez (INEOS Grenadiers) nur knapp unterlag und Tadej Pogačar im Dreier-Sprint hinter sich ließ.
Vor fünf Jahren hatte er sich bei der Algarve-Rundfahrt, dem wichtigsten Radrennen in Portugal, einen packenden Kampf mit Evenepoel um den Gesamtsieg geliefert. Seine großen Auftritte aus den Jahren 2019 bis 2021 wirkten zuletzt wie aus einer ganz anderen Zeit. Und wenn Schachmann über Vergangenheit und Gegenwart spricht, klingt es auch, als läge viel mehr Zeit dazwischen: “Es ist kein Geheimnis, dass sich das Niveau im Radsport sehr verändert hat. Es ist einfach viel schneller geworden, auch an den Anstiegen.” Anders gesagt: Der Radprofi weiß nicht, ob es nochmal zu derart herausragenden Ergebnissen wie in der Vergangenheit reichen wird.
Die Algarve-Rundfahrt war das Warm-up. Nach Paris-Nizza sollen Einsätze bei Mailand-San Remo, der Baskenland-Rundfahrt (bei der er 2019 drei Etappen gewann), den Ardennenklassikern Amstel Gold Race, Flèche Wallonne und Lüttich-Bastogne-Lüttich und schließlich bei Eschborn-Frankfurt folgen. Für die Sommermonate steht Schachmann auf der noch relativen langen Anwärterliste für einen Startplatz bei der Tour de France. Aktuell bangt seine Mannschaft, ob Leader Evenepoel nach einem schweren Trainingsunfall rechtzeitig fit und die nötige Form für die Auseinandersetzung mit Pogačar und Vingegaard kommt. Und im Herbst sieht der mehrmalige Anführer des deutschen Nationalteams auch einen WM-Start in Ruanda am Horizont – wenn das Jahr gut läuft. “Es geht vorrangig darum, einfach ein konstantes Jahr zu fahren, auf meinem besten Niveau”, sagt er - es klingt zurückhaltend nach komplizierten Jahren. Paris-Nizza wird eine erste wichtige Standort-Bestimmung für den weiteren Weg von Maximilian Schachmann als Teil des “Wolfsrudels”, wie sich die Mannschaft bei Soudal Quick-Step gerne selbst nennt. Auf den acht Etappen durch Frankreich wird es Schachmann voraussichtlich mit hochkarätiger Konkurrenz zu tun bekommen: angesagt haben sich der zweimalige Tour-Sieger Jonas Vingegaard (Visma-Lease a Bike), sein hochtalentierter Teamkollege Matteo Jorgenson, der zweimalige Weltmeister Julian Alaphilippe (Tudor Pro Cycling Team), Aleksandr Vlasov (Red Bull - BORA - hansgrohe) und João Almeida (UAE). Für Schachmann stellt sich die Frage, auch im Vergleich mit Teamkollege Ilan Van Wilder: Schafft er es zum Leitwolf?