Mathieu van der Poel vor Cross-WMWie ein Schnellzug gegen Straßenbahnen

Daniel Brickwedde

 · 01.02.2024

Mathieu van der Poel dominiert seit 2015 die Cyclocross-Szene.
Foto: DPA Picture Alliance
Ein anderer Sieger als Mathieu van der Poel? Das wäre bei der Cyclocross-Weltmeisterschaft in tschechischen Tabor eine Sensation. Mit seiner Dominanz eckt der Niederländer allerdings auch an. Zudem scheint offen: Macht er mit Cyclocross überhaupt weiter?

Vom Weltcup in spanischen Benidorm ging eine Szene viral: Mathieu van der Poel sprintet eine asphaltierte Bergaufpassage hoch, rauscht in doppelter Geschwindigkeit an etlichen Konkurrenten vorbei und lässt diese fast wie Hobbyfahrer aussehen. Ein Video unterlegte seinen Sprint mit Rennwagengeräuschen, ein anderes markierte sein Rad mit Düsenantrieb. Van der Poel musste sich allerdings auch mächtig ins Zeug legen, war er doch nach frühem Defekt zurückgefallen.

An diesem Tag hatte der Niederländer aber schlicht kein Glück: Später stürzte er nach einer Kollision mit einer Markierungsstange, kam schließlich auf Platz fünf ins Ziel. Der eine oder andere mag dies sogar als Erleichterung empfunden haben: van der Poel kann im Gelände noch verlieren. Ob es ohne Defekt und Sturz anders gelaufen wäre, fraglich. Dafür war Sieger und Dauerrivale Wout Van Aert in Benidorm ebenfalls stark unterwegs. Aber um van der Poel ernsthaft zu distanzieren, braucht es momentan schon besondere Umstände.

Van der Poel: Zwölf Siege aus 13 Rennen

Am vergangenen Wochenende erlebte die Cross-Welt indes wieder ihren Normalzustand: Am Samstag gewann van der Poel den sechsten Lauf der X2O Trofee in Hamme, am Sonntag folgte der Sieg beim Weltcup-Abschluss in Hoogerheide. Es waren die Erfolge Nummer elf und zwölf in dieser Saison – bei insgesamt bislang 13 Starts. Einzig Benidorm sticht als Nullnummer heraus.

“Mit dieser Serie beschäftige ich mich nicht so. Ich muss die Saison nur in Tabor gewinnen”, sagte van der Poel zwischenzeitlich nach dem Weltcup in Zonhoven, als seine Bilanz noch zehn Siege aus zehn Rennen lautete. Denn in der böhmischen Kleinstadt Tabor findet dieses Wochenende die Weltmeisterschaft statt. Und van der Poel ist der turmhohe Favorit – zumal sein ärgster Widersacher Van Aert auf einen Start verzichtet.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

In Hoogerheide gewann Mathieu Van Der Poel 2023 die Cyclocross-WM - vor Wout Van Aert.Foto: DPA Picture AllianceIn Hoogerheide gewann Mathieu Van Der Poel 2023 die Cyclocross-WM - vor Wout Van Aert.

Zwar sind mit Michael Vanthourenhout, Eli Iserbyt, Joris Nieuwenhuis, Pim Ronhaar oder Thibau Nys ernstzunehmende Konkurrenten vorhanden, doch van der Poel verfügte bislang in dieser Saison stets über zwei bis drei extra Leistungsstufen: Wenn er seine brachiale Kraft aufs Pedal bringt, kann seinen irren Beschleunigungen kaum ein Konkurrent folgen. Quasi ein Schnellzug im Duell mit Straßenbahnen – was seine Siege gelegentlich bemerkenswert einfach aussehen lässt. Alles andere als eine WM-Titelverteidigung durch van der Poel wäre eine Sensation.

Eklat um Fans beim Weltcup in Hulst

Dass er im Cyclocross dominiert, ist nichts Neues. Laut Statistikseiten hat er seit 2015 von seinen bisherigen 219 Eliterennen 170 gewonnen, eine Siegquote von rund 78 Prozent. Diese Saison wirkt van der Poel aber noch einmal eine Stufe besser als der Rest. An normalen Tagen bekam dies auch Van Aert schon zu spüren: Beim ersten Aufeinandertreffen kurz vor Weihnachten in Antwerpen distanzierte van der Poel den Belgier nach drei von sechs Runden und siegte als Solist mit beeindruckenden 29 Sekunden Vorsprung.

Bereits in den Juniorenklasse entwickelte sich eine Rivalität mit Wout Van Aert (vorne), die sich bei der Elite fortsetze.Foto: DPA Picture AllianceBereits in den Juniorenklasse entwickelte sich eine Rivalität mit Wout Van Aert (vorne), die sich bei der Elite fortsetze.

Die Cyclocross-Szene spaltet sich zum Teil in zwei Lager. Denn sportliche Klasse, die zur absoluten Überlegenheit ausartet, bringt zwar reichlich Erfolge, aber selten die Herzen der Fanmassen. Schließlich lebt der Sport von Wettkampf und Überraschungen. All das liefert der Cyclocross und van der Poel derzeit nur bedingt. Auf der anderen Seite verfügt er über außergewöhnliche Fähigkeiten, die es so selten zu sehen gibt – auch das kann die Zuschauer anziehen. Es gibt also die, die ihn bewundern, und die, die einen Verfall des Wettbewerbs sehen und Langeweile monieren – spannend ist halt nur noch der Kampf um Platz zwei. Beim Weltcup im niederländischen Hulst gab es aus dem Publikum sogar Buh- und Schmährufe gegen van der Poel. Allerdings reagierte der Niederländer daraufhin ebenso unangemessen: Er spuckte die Fangruppe an.

Auf überschaubare Gegenliebe stießen ebenso seine Aussagen zum Cyclocross, die er im Dezember im niederländischen Magazin Ride traf:

Ich fahre eigentlich nur zum Spaß. Und natürlich ist der Weltmeistertitel immer noch ein wichtiges Ziel. Den Rest der Saison sehe ich eigentlich eher als Winteraktivität. Sportlich gibt es für mich nicht mehr viel zu gewinnen.

Ehrlich, ja. Besonders taktvoll: eher nein.

Mit fünf Cyclocross-Weltmeistertiteln ist Mathieu van der Poel nur noch zwei Siege von der Bestmarke von Erik De Vlaeminck entfernt.Foto: DPA Picture AllianceMit fünf Cyclocross-Weltmeistertiteln ist Mathieu van der Poel nur noch zwei Siege von der Bestmarke von Erik De Vlaeminck entfernt.

Entsprechend scheint fraglich, wie lange van der Poel dem Cyclocross noch erhalten bleibt. Immerhin gehört er inzwischen ebenfalls zu den großen Nummern im Straßenradsport. Zur Erinnerung: Der 29-Jährige ist nicht nur amtierender Weltmeister im Cyclocross, sondern auch auf der Straße. Hinzu kommen schwergewichtige Erfolge bei Mailand-Sanremo, der Flandern-Rundfahrt und Paris-Roubaix.

Schließt sich der Kreis in Tabor - mit einer Auszeit vom Cyclocross?

Ob ein Winter mit etlichen Crossrennen allerdings eine gute Vorbereitung auf die Straßensaison ist, darüber wird seit Jahren diskutiert. Bislang blieb van der Poel dem Cyclocross jedoch treu. “Aber, ab und zu kann ein Winter ohne Cyclocross auch gut sein, ein Winter der geistigen Erholung”, sagte er zuletzt nach seinem Sieg in Hoogerheide, als das Thema einmal mehr aufkam. Seit Olympia 2021 in Tokio plagt sich van der Poel mit Rückenproblemen herum.

2015 feierte Mathieu van der Poel seinen ersten Weltmeistertitel im tschechischen Tabor.Foto: DPA Picture Alliance2015 feierte Mathieu van der Poel seinen ersten Weltmeistertitel im tschechischen Tabor.

Ein erneuter Sieg bei der Weltmeisterschaft in Tabor wäre inzwischen sein sechster Titel. Er wäre damit nur noch einen WM-Sieg von der Rekordmarke von Erik De Vlaeminck entfernt, der zwischen 1966 und 1973 sieben Weltmeisterschaften gewann. Und Tabor ist gewissermaßen der Startpunkt für van der Poels große Cross-Karriere: 2015 gewann er dort seinen ersten WM-Titel in der Eliteklasse.

Dies wiederum befeuerte in den vergangenen Tagen die Diskussionen, ob sich van der Poel bald aus der Cross-Szene zurückzieht. Er selbst blieb erstaunlich vage: “Ich muss darüber nachdenken und sehen”, so van der Poel in Hoogerheide auf die Frage, ob er nächstes Jahr noch Cyclocross fährt. Er fügte an: “Erster Elite-Weltmeistertitel im Cyclocross im Jahr 2015, jetzt wieder in Tabor. Es könnte sich ein Kreis schließen, aber ich weiß es noch nicht.” Was aus seinen Aussagen aber ebenso ersichtlich ist: van der Poel selbst scheint kaum an seinem Sieg zu zweifeln.

Meistgelesen in der Rubrik Profi - Radsport