Andreas Kublik
· 15.04.2023
Es war eine Überraschung: Marius Mayrhofer vom Team DSM gewann das Cadel Evans Great Ocean Road Race - und damit als erster Deutscher seit fast vier Jahren* ein hochklassiges Eintagesrennen.
Das Interview wurde geführt von Andreas Kublik
TOUR: Herzlichen Glückwunsch! Sie haben als weitgehend unbekannter Radprofi das World-Tour-Eintagesrennen Cadel Evans Great Ocean Road Race in Australien gewonnen. Wie sehr haben Sie sich selbst überrascht?
Marius Mayrhofer: Es war eine Überraschung. Aber mir war vorher bewusst, dass ich nach den Erfahrungen bei der Tour Down Under ein gutes Ergebnis einfahren kann. Ursprünglich plante unser Team, für Patrick Bevin zu fahren - doch der war vor der Tour Down Under gestürzt. Ich bin als Leader nachgerückt.
TOUR: Nach dem Zieleinlauf lagen Sie schreiend, zitternd, schluchzend, erschöpft am Boden. Waren Sie schon einmal in so einem Ausnahmezustand?
Mayrhofer: Im Nachhinein ist es mir unangenehm, diese Bilder von mir zu sehen. Ich sag mir: Hättest du dich mal ein bisschen mehr zusammengerissen! Aber es ist passiert. Ich hatte eine schwere Zeit hinter mir - es war einfach ein sehr, sehr schöner Moment, gleich zu Anfang des Jahres ein Rennen zu gewinnen. Dieser ganze Druck fällt an der Ziellinie innerhalb einer Millisekunde ab. Ich wollte schon so lange ein Profirennen gewinnen.
TOUR: Es war Ihr erster Sieg als Profi, nach fünf Jahren ohne großen Erfolg. Dabei galten Sie als eines der größten deutschen Talente. Bei der Junioren-WM 2018 in Innsbruck war auf dem bergigen Parcours nur Remco Evenepoel schneller als Sie. Haben Sie damals WM-Silber nicht als Erfolg empfunden?
Mayrhofer: Nein. Zweiter ist erster Verlierer. Man muss nur gucken, was für ein Gesicht ich im Ziel ziehe. Alle um mich herum waren happy und meinten: Toll, du bist Zweiter! Und ich dachte: Ich habe verloren! Ich hatte das ganze Jahr gezielt auf die WM hingearbeitet - hatte extra fünf Kilo abgenommen.
TOUR: Warum ist der gleichaltrige Evenepoel bei den Profis gleich durchgestartet und mit 22 Jahren Profi-Weltmeister geworden, während es bei Ihnen gedauert hat?
Mayrhofer: Remco war der Erste, der nach der U19 gleich Profi geworden ist. Ich konnte mir das nie vorstellen. Für mich war es richtig, die drei Jahre beim Development-Team von Sunweb, bzw. DSM, in der U23-Klasse zu bleiben. Im ersten Jahr hatte ich zehn Monate mit einer Knieverletzung zu kämpfen. Das zweite war das Corona-Jahr. Es gab kaum Rennen.
TOUR: Wie sehen Ihre Pläne als Profi aus?
Mayrhofer: Ich will erst mal ohne Stress und Druck Rennen fahren, auf profilierten Strecken. Kürzere steile Anstiege finde ich cool, schwere Rennen mit Windkantensituationen, wo nur ein paar Leute um den Sieg sprinten – eher bei den Rennen auf Kopfsteinpflaster als bei Rennen in den Ardennen. Die Anstiege dort sind einen Tick zu schwer für mich.
TOUR: Sie haben jetzt einen Sprint vor Michael Matthews und Caleb Ewan gewonnen - nennen aber einen der höchsten Alpenpässe Ihren Lieblingsberg, das Stilfser Joch.
Mayrhofer: Ich bin kein Bergfahrer, aber auch kein reinrassiger Sprinter. Im Training fahre ich gerne Berge hoch. Schon als ich klein war, bin ich mit dem Mountainbike auf den Stelvio hoch. Und im ersten Urlaub ohne Eltern war ich mit Kumpels in Prad am Stilfser Joch auf dem Campingplatz, wir sind oft hochgefahren - das sind tolle Erinnerungen. Mir gefällt der Vibe dort mit den vielen Radfahrern.
* Pascal Ackermann gewann 2019 Eschborn-Frankfurt