Der junge Mann prescht gerne vor. Um schnelle Antworten ist Tadej Pogacar selten verlegen – nicht im Rennen, nicht in Pressekonferenzen. Aber mitunter sind seine möglicherweise unüberlegten, zumindest manchmal übermütigen Reaktionen nicht gut für ihn selbst. Das wissen seine Gegner. Und so fuhr ihn das Team Jumbo-Visma bei der Tour de France 2022 sturmreif, als Jonas Vingegaard und Primoz Roglic den Rivalen mit abwechselnden Angriffen herausforderten.
Pogacar fiel auf den Trick herein, verpulverte seine Kräfte am Galibier, hatte Vingegaards Schlussattacke am steilen Col du Granon nichts entgegenzusetzen und verlor entkräftet viel Zeit. Doch während damals der Toursieg futsch war, überstand er die Angriffe bei der vergangenen Frankreich-Rundfahrt zunächst im Großen und Ganzen unbeschadet. Diesmal hatte er die hartnäckigsten Gegner indes nicht auf der Rennstrecke, sondern im Pressezentrum.
Eher unglücklich reagierte der Mann im Gelben Trikot im Rahmen einer Pressekonferenz nach der Etappe auf die Journalistenfragen rund um die Anwendung von Kohlenmonoxid (CO) in seinem Team. Die australische Internetseite “Escape Collective” hatte zuvor über die Benutzung von CO-Inhalationsgeräten bei den Mannschaften UAE Team Emirates und Visma | Lease a Bike berichtet, den Arbeitgebern von Pogacar und Vingegaard.
“Ich kenne das nur als das, was aus dem Auspuff kommt”, antwortete der mittlerweile 26-jährige Slowene zunächst, als die Journalisten mehr über den möglichen Zusammenhang von Kohlenmonoxid und Pogacars außergewöhnlichen starken Leistungen in dieser Saison wissen wollten. Wenig später musste er einräumen, dass er es auch in anderem Zusammenhang kennt und das potenziell giftige Gas aus einer Art Ballon sehr wohl eingeatmet hatte – angeblich aber nur um die Veränderung seines Blutvolumens rund um ein Höhentrainingslager zu messen.
Doch die Fragen bleiben – nicht nur weil die große Überlegenheit des Slowenen sie aufwirft und “Pogi” sich quasi über Nacht vom völlig Ahnungslosen zum detailreichen Kenner des Verfahrens wandelte und sich damit verdächtig machte. Grundsätzlich muss man sagen: Tatsächlich hat der Tour-Sieger nichts getan, was ausdrücklich verboten ist. Denn die Inhalation von Kohlenmonoxid gilt laut Auskunft der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA nicht als Doping. Aber man muss wissen: Kohlenmonoxid ist ein hochgiftiges Gas, das, wenn es in größeren Mengen eingeatmet wird, tödlich wirken kann. Und in der Geschichte des Sports haben Verbote und Gefahren Betrüger noch nie davon abgehalten, ein Medikament oder eine medizinische Methode von ihrem eigentlichen Zweck zu entfremden.
Und das Potenzial zur Leistungssteigerung im Sport hat die Inhalation des Gases, da sind sich viele Experten einig. “Es ist eine potenziell gefährliche Methode, mit der man aber das gesamte Höhentraining ersetzen könnte”, sagt Professor Walter Schmidt. Der Sportmediziner an der Universität Bayreuth hat eine der wenigen Studien zum Thema Leistungssteigerung durch Kohlenmonoxid veröffentlicht. Dabei handelt es sich um ein giftiges Gas, das auch tödlich wirken kann (siehe unten).
Es ist eine potenziell gefährliche Methode, mit der man das gesamte Höhentraining ersetzen könnte. - Professor Walter Schmidt
Im September 2020 veröffentlichte Schmidt mit seiner Forschungsgruppe das Testverfahren und die Ergebnisse: Man ließ trainierte Athleten fünfmal täglich über drei Wochen niedrig dosiert Kohlenmonoxid (CO) inhalieren, sodass in deren Blut rund fünf Prozent des Hämoglobins durch das Gas für den Sauerstofftransport blockiert waren. Die Erkenntnis: Die Hämoglobinmasse der Testpersonen wuchs durchschnittlich um 4,8 Prozent – die maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit VO2max, die wichtigste Kenngröße für die Ausdauerleistungsfähigkeit, erhöhte sich tendenziell in ähnlicher Größenordnung. Eine Leistungssteigerung von rund fünf Prozent kommt im modernen Spitzensport einem Quantensprung gleich – aus einem Wasserträger kann so ein Siegertyp werden.
Rund 24 Stunden lang überwiegen die negativen Effekte des Gases, wenn der Mensch das Kohlenmonoxid nur niedrig dosiert einatmet. Wenn er es nach und nach ausgeatmet hat, stellt sich eine Leistungssteigerung ein, die dann mitunter wochenlang anhält. Denn der menschliche Körper reagiert auf die vorübergehende Sauerstoffarmut, indem er verstärkt das körpereigene Hormon Erythropoietin ausschüttet und dadurch zusätzliche rote Blutkörperchen produziert; die ersetzen dann die durch CO-Bindung für den Sauerstofftransport unbrauchbaren Hämoglobin-Bestandteile, die sich nach einer Weile aber wieder von den Besatzern befreien und zusätzlich zur Verfügung stehen.
Kurz: Das Prozedere ist potenziell gefährlich, aber offenbar sehr wirksam. “Das gehört hundertprozentig auf die Dopingliste”, urteilt Professor Schmidt hinsichtlich der regelmäßigen CO-Inhalation zur Leistungssteigerung. Das Problem: Die Welt-Anti-Doping-Agentur scheint nicht auf der Höhe der Zeit zu sein, wenn es um die Effekte von Kohlenmonoxid geht. Sie argumentiert so, als gäbe es Schmidts Studie nicht. “Es gibt keinen Konsens darüber, ob CO einen leistungssteigernden Effekt haben kann, und es gibt aktuell keine ausreichend belastbaren Daten, die diese Behauptung stützen”, lässt die WADA auf Anfrage von TOUR über ihren Pressesprecher zwei Monate nach Ende der Tour de France ausrichten.
Allerdings ergänzt die Organisation, es werde aktuell untersucht, ob die wiederholte und regelmäßige Anwendung der CO-Inhalations-Methode gegen den Passus M1.2 verstoße, der die Manipulation der Sauerstoffaufnahme verbietet. Drei Punkte spielen eine Rolle, wenn eine Methode oder ein Wirkstoff auf die Dopingliste kommen soll: Es muss Potenzial für eine Leistungssteigerung vorhanden sein, es muss gesundheitsschädlich sein, und es muss gegen die Ethik im Sport verstoßen – drei Punkte, die Kohlenmonoxid grundsätzlich erfüllt, wenn man Wissenschaftler fragt.
“Es ist nicht verboten”, betont Carsten Lundby, “aber für mich ist es unethisch, mit toxischem Gas die Leistung zu steigern. Kohlenmonoxid sollte verboten sein.” Der Medizinprofessor aus Dänemark verdient mit seiner Firma Detalo Geld mit Maschinen, die über Inhalation von Kohlenmonoxid, eine folgende Blutprobe und Auswertung über eine spezielle Software das Blutvolumen beziehungsweise dessen Veränderung messen. Daher ergänzt er, dass diese Messungen von einem möglichen Verbot ausgenommen werden sollten. Schließlich will er seine Inhalationsgeräte mit dem Namen “Detalo Carbon Monoxide Rebreather” für 48.000 Euro pro Stück weiterhin verkaufen – in der Variante für die Anwendung im Leistungssport.
Die Teams Visma | Lease a Bike um den zweimaligen Tour-de-France-Sieger Jonas Vingegaard und Israel-Premier Tech verwenden Lundbys Geräte. Der dänische Medizinprofessor behauptet, dies geschehe ausschließlich zur Leistungsdiagnostik. Einen Missbrauch zur Leistungssteigerung schließt er aus. Denn alle Nutzungsdaten der Geräte inklusive Häufigkeit der Anwendung würden automatisiert an seine Firma geschickt – eine missbräuchliche Nutzung, die über die Blutvolumenmessung hinausgeht, habe er bisher anhand der Daten nicht beobachtet. Seriös überprüfen lässt sich diese Darstellung nicht.
Es ist nicht verboten, aber unethisch, die Leistung mit toxischem Gas zu steigern. - Prof. Carsten Lundby, Sportmediziner und Entwickler von CO-Inhalationsgeräten
Lundby betont, dass Pogacar und UAE Team Emirates keine Detalo-Geräte nutzen. Eine Anfrage von TOUR ließ die Pressestelle des Rennstalls aus den Emiraten bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Pogacar hatte während der Tour zu Protokoll gegeben, er habe CO aus einer Art Ballon eingeatmet. Diese Beschreibung passt zu einem Gerät, wie es die Firma Blood tec mit CEO Walter Schmidt herstellen lässt und verkauft. Grundsätzlich lassen sich die Inhalationsgeräte missbrauchen. “Es ist sicherlich eine dopingrelevante Methode”, sagt ein renommierter Anti-Doping-Forscher, der aber nicht namentlich genannt werden will.
Viele Experten können die Haltung der WADA nicht nachvollziehen. Allerdings dauerte es auch eine Weile, bis die ähnlich im Körper wirkenden Gase Xenon und Argon auf die Liste der verbotenen Wirkstoffe und Methoden gesetzt wurden – nachdem sich Gerüchte über die Anwendung zur Leistungssteigerung rund um die Olympischen Winterspiele im russischen Sotschi 2014 verdichtet hatten. Die Krux: Ein Dopingnachweis könnte bei Kohlenmonoxid schwer werden – schließlich kann CO auch durch Zigarettenrauch oder Abgase in den Körper gelangen. “Wenn man es richtig macht, ist es schwer zu detektieren. Man müsste jemanden schon in flagranti erwischen“, sagt der Freiburger Toxikologe Professor Volker Auwärter, der auch mit der Doping-Staatsanwaltschaft zusammenarbeitet.
Bisher fehlt der WADA aber sichtbarer Ehrgeiz, das Verfahren wenigstens eindeutig zu brandmarken – warum auch immer. “Mit (künstlichem, Anm. d. Red) EPO könnte man im Vergleich gefahrloser höhere Zuwächse erreichen”, urteilt Professor Walter Schmidt. Denn: Wird bei der Kohlenmonoxid-Anwendung geschlampt, die Menge falsch berechnet oder ein Ventil falsch eingestellt, droht eine Vergiftung mit Folgen bis hin zum Tod, warnt der Toxikologe Auwärter. Der Nachteil des ebenfalls nicht ungefährlichen EPO-Dopings: Es ist mittlerweile durch die Doping-Testverfahren relativ gut und verlässlich nachweisbar.
Vielleicht dient die Arbeit mit Kohlenmonoxid im Sport aber auch eher der Verschleierung als gezieltem Doping. Schließlich ließ sich der spanische Dopingarzt Eufemiano Fuentes im vergangenen Sommer mit der Aussage vernehmen, dass nach seinen Informationen immer noch mit EPO und Eigenblut gedopt werde – jedoch mit Mikrodosierungen, die mit den aktuellen Testverfahren der Dopingjäger nicht messbar seien.
Gut möglich, dass die Geräte nur dabei helfen, illegale Methoden durch regelmäßige Messungen derart genau zu steuern, dass sie bei Tests nicht auffallen und auch der sogenannte Biologische Startpass keine Auffälligkeiten bei den entscheidenden Werten zeigen dürfte. Eine weitere Gefahr: Betrüger im Sport haben sich oft schon getäuscht, wie gut die Dopingfahndung mitunter funktioniert – vermehrt auch mit Hilfe von Polizei und Staatsanwälten, beispielsweise in Frankreich, Italien, Österreich und Deutschland.
Und im Falle von Tadej Pogacar darf man hoffen, dass Andrea Agostini aus dem Management seiner Equipe ein Auge darauf hat, was die Athleten in seinem Rennstall tun – oder vielleicht besser lassen. Der ehemalige Amateur-Rennfahrer aus Cesenatico war ein Jugendfreund eines der herausragenden Rennfahrer seiner Generation, der 1998 Giro und Tour binnen eines Jahres gewann. Fünf Jahre nach diesem Double musste Agostini seinen Kumpel Marco Pantani zu Grabe tragen. Nicht wenige glauben, dessen Tod habe sehr viel mit Doping zu tun.
Kohlenmonoxid (CO) ist ein toxisches (giftiges) Gas, das meist bei unvollständiger Verbrennung von kohlenstoffhaltigen Materialien entsteht. Tückisch: Menschen können das Gas nicht riechen oder schmecken. Daher wird eine Vergiftung oft zu spät bemerkt. Bei Bränden sterben die meisten Menschen nicht durch Hitze oder Verbrennungen, sondern durch eine sogenannte Rauchgasvergiftung – meist aufgrund von Ersticken durch Kohlenmonoxid. Wird CO eingeatmet, kann es tödlich wirken. Kohlenmonoxid-Moleküle docken an das Hämoglobin an und gehen eine besonders feste Verbindung ein.
Der Blutfarbstoff Hämoglobin ist für den Sauerstofftransport im menschlichen Körper zuständig – Sauerstoff verliert den Kampf um die Transportplätze im Blut gegen das “stärkere” CO. Bis zu einem Wert von 10 Prozent mit Kohlenmonoxid besetztem Hämoglobin werden erfahrungsgemäß keine Beschwerden bemerkt. Ab 20 bis 30 Prozent treten Vergiftungserscheinungen auf, bereits ab 40 Prozent kann es lebensgefährlich werden. Ab einer Konzentration von 60 Prozent “besetzter” roter Blutkörperchen führt die Vergiftung binnen einer Stunde zum Tod. Der Mensch erstickt quasi innerlich, weil der Körper nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird. Auch beim Rauchen einer Zigarette oder beim Einatmen von Abgasen nimmt der Körper das potenziell giftige Gas auf – meist aber in einer ungefährlichen Dosis, die wieder abgebaut bzw. ausgeatmet wird.