Karriereenden 2023Peter Sagan - Rekordprofi, Entertainer, Nicht-Merckx

Sebastian Lindner

 · 30.10.2023

Eine der schillerndsten Karrieren im Straßenradsport hat ihr Ende gefunden. Peter Sagan hängt im Oktober 2023 das Rennrad an den Nagel.
Foto: DPA Picture Alliance
Das Jahr 2023 sah das Ende vieler großer Namen im Radsport. Vor allem die Klassiker-Fans müssen sich von einigen Helden verabschieden. Zu den Stars, die ihr Rad an den Nagel hängen, gehört auch Peter Sagan. TOUR blickt auf seine lange Karriere zurück.

Der Ruhetag bei der Vuelta San Juan fällt in diesem Jahr auf den 26. Januar. Peter Sagan, der sich dort auf die neue Saison vorbereitet, kommt das gelegen. Der Slowake feiert an jenem Tag seinen 33. Geburtstag. Ein angenehmer Zufall, möchte man meinen. Doch ganz so wohltuend scheint die Situation nicht zu sein. Diesen Eindruck macht vor allem der Mann, der neben Sagan sitzt und an der Kamera vorbeischaut, die auf das Duo gerichtet ist. Gabriele Uboldi, Sagans persönlicher Pressesprecher, wirkt betrübt und ein wenig mitgenommen, als sein Schützling anfängt zu reden.

“Ich möchte euch heute von meinen Gedanken, meinem zukünftigen Programm berichten”, beginnt Sagan auf italienisch. ‘Neuigkeiten’ möchte er das, was er zu erzählen hat, ungerne nennen. Auch wenn es nichts Geringeres ist als die Ankündigung seines Karriereendes, wenngleich er dieses Wort nicht in den Mund nimmt. “Das ist mein letztes Jahr als Straßenprofi”, sagt er und offenbart dabei auch eine gewisse Nervosität, wie seine Hände verraten. “Ich möchte mich auf die Qualifikation für die olympischen Mountainbike-Rennen konzentrieren.”

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Das Mountainbike hat seit jeher in Sagans Karriere einen großen Stellenwert. Die diesjährige Weltmeisterschaft in Schottland nutzte er bereits, um sich wieder an anderes Gelände als asphaltierte Straßen zu gewöhnen. Und selbst auf seinem Zenit verzichtete er auf die olympischen Straßenrennen 2016 in Rio, um im Cross Country an den Start gehen zu können.

Peter Sagan scheitert bei Quick-Step, um dann bei Liquigas zu zünden

Auch im Juniorenbereich war Sagan auf dem Mountainbike unterwegs - und das überaus erfolgreich. 2008 wurde er Welt- und Europameister. Im gleichen Jahr springen zudem Silber bei den Cross-Weltmeisterschaften und Platz 2 auf der Straße beim Junioren-Rennen von Paris-Roubaix heraus. Doch das jüngste von vier Geschwistern will eigentlich die Mountainbike-Karriere vorantreiben, vor allem, nachdem er bei einem Test für einen Vertrag beim Team Quick-Step leer ausging. Rein sportlich überzeugte Sagan, soll Teamchef Patrick Lefevere laut slowakischen Medien dazu gesagt haben. Doch habe er zu viel Geld gefordert, lediglich seine Muttersprache gesprochen und eigentlich nur Mountainbike fahren wollen.

Es bedurfte einiger Überzeugung der Familie, um Sagan bei einem weiteren Team auf der Straße zu testen. Liquigas war weniger anspruchsvoll und offerierte ihm zunächst einen Probevertrag für 2010, der Sagans Weg ebnen sollte. Schon bei der Tour Down Under, seinem ersten Profi-Rennen, überzeugte der 19-Jährige. Vor allem als harter Hund. Nach einem Sturz früh im Rennen musste Sagan mit 17 Stichen im linken Arm und Oberschenkel genäht werden. Trotzdem fuhr er auf zwei Etappen noch auf die Plätze drei und vier. Anderthalb Monate später ließ er dann bei Paris-Nizza mit zwei äußerst kraftvollen Sprints seine ersten Siege als Profi folgen.

Doch das war nur der Anfang. Nach fünf Siegen in seiner ersten Saison verdreifachte er den Wert ein Jahr später. Und zwar nicht nur im Sprint: Sagan gewinnt unter anderem auch die Königsetappe der Tour de Suisse oder die Gesamtwertung der Polen-Rundfahrt. 2012 steht Sagan 16 Mal ganz oben auf dem Podest. Unter anderem lässt der 22-jährige Slowake über einen sieben Kilometer langen Prolog den vierfachen Zeitfahr-Weltmeister Fabian Cancellara in dessen Schweizer Heimat alt aussehen. Im Kampf gegen die Uhr besteht er also auch.



Peter Sagan will kein Eddy Merckx sein

Sein Teamkollege bei Liguigas, Ivan Basso, lässt sich in dieser Zeit zu großen Worten verleiten. “Ich habe noch nie einen Fahrer wie ihn gesehen. Ich denke, niemand von uns hat das”, sagte der Italiener auf einer Pressekonferenz. Ein Prototyp sei er. Eines Fahrertyps, eines Allrounders, wie es heute vielleicht Wout van Aert ist. Natürlich schossen auch schnell die Vergleiche mit Eddy Merckx ins Kraut. Doch, dass Sagan anders daherkommt, zeigen auch seine Reaktionen darauf. “Ich will nicht der zweite Eddy Merckx sein, sondern der erste Peter Sagan.”

Basso traute dem slowakischen Youngster zwar auch einen Sieg bei der Tour de France zu, doch das sollte Sagan nie gelingen. Nicht mal ansatzweise, doch darauf hatte er es auch nie abgesehen. Stattdessen begann er ab 2012 damit, Grüne Trikots bei der Tour zu horten. Insgesamt sieben Stück, womit er Erik Zabel als Rekordhalter ablöste. Bis 2019 gewann er die Punktewertung jedes Mal, wenn er Paris erreichte.

Showman Sagan liefert auf dem Rad und als Entertainer

Dazu gelangen ihm zwölf Etappensiege beim wichtigsten Rennen der Welt. Und immer wieder jubelte Sagan dabei in verschiedenen Posen oder wie auch bei anderen Rennen mit besonderen Einlagen. Aufreizend und vielleicht auch arrogant mag es auf den einen oder anderen gewirkt haben, wenn Sagan per Wheelie, der eines seiner Markenzeichen wurde, auf der Zielgerade seine unglaubliche Radbeherrschung unter Beweis stellte. So wie bei seinem ersten großen Klassikersieg 2013 bei Gent-Wevelgem, als er dazu noch ein imaginäres Lasso schwang.

Schon als Junior jubelte Sagan durchaus extravagant. Als Kind habe es ihn selbst sehr beeindruckt, wenn Fahrer irgendetwas Außergewöhnliches präsentierten, erklärte Sagan einst. Deshalb wollte auch er den Fans Besonderes liefern. Und so jubelte er nicht nur bei einem seiner ersten Tour-Siege als “Running Man” in Erinnerung an eine Szene aus dem Kino-Klassiker Forrest Gump. Später schlüpfte er selbst in die Rolle von Tom Hanks und imitierte die Pralinen-Szene.

Sagan stellte über die Jahre enorme Entertainer-Qualitäten unter Beweis. Er kombinierte sie mit seinen Qualitäten als technisch versierter Profi und fuhr sein Rennrad über die Windschutzscheibe eines Teamfahrzeugs direkt in die Radhalterung des Wagens. Oder er lieferte eine weitere Kostprobe seines schauspielerischen Talents und bestach als Double von John Travolta in einer Szene aus dem Musikfilm Grease.

Peter Sagan ist für die Wiederbelebung des Radsports mitverantwortlich

Sagan begeistert auf und neben dem Rad, verleiht seinem gesamten Sport nach den schweren Nullerjahren, in denen Dopingschlagzeilen den Radsport tief in die Krise stürzten, wieder Glanz. Nachdem er sich auch die Haare langwachsen lässt, ist das Rockstar-Image vorprogrammiert.

Doch wie viele aus dieser Branche schlägt auch Sagan ab und zu über die Stränge. In jüngeren Jahren leistet er sich 2013 auf dem Podium der Flandern-Rundfahrt einen Po-Grabscher bei einer Hostess. Der damals noch junge Slowake scheint es einfach nur lustig zu finden, doch ihm wird sein Fehlgriff als purer Sexismus ausgelegt. Er entschuldigt sich und begeht einen derartigen Fehler nie wieder.

Zehn Jahre später, kurz vor seiner letzten Tour de France, war es der Alkohol. Sagan erhielt eine dreimonatige Bewährungsstrafe und Führerscheinentzug, nachdem ihn die Polizei in seiner Wahlheimat Monaco im Mai mit 2,9 Promille an seinem Roller erwischte.

Corona bringt Sagan aus dem Tritt

Und dann war da noch Corona. Mindestens dreimal infizierte sich Sagan mit Covid. Und er geriet deswegen auch mit dem Gesetz in Konflikt. Als er und sein Bruder wie Teamkollege Juraj eines Nachts im April 2021 in Monaco gegen die Sperrstunde verstießen, griff die Polizei ein. Peter Sagan, Impfgegner und zu diesem Zeitpunkt betrunken, bekam es mit der Angst und wurde gegen einen der Beamten handgreiflich, weil er befürchtete, mit einer Zwangsimpfung konfrontiert zu werden.

Nach Corona kam Sagan nie wieder richtig in Tritt. Sein enger Vertrauter, Gabriele Uboldi, sagte 2021, sein Schützling hätte nicht den Siegeshunger verloren. Vielmehr hätten sich durch Corona alle seine Routinen verändert. Und was viel schwerwiegender sei: das Fehlen der Öffentlichkeit bei den Rennen. Sagan sei anders als andere Fahrer, er ernähre sich davon und ziehe extrem viel Energie daraus.



Tatsächlich ist Sagan am Besten, als sich die Fans und Medien während des Höhepunktes seiner Karriere förmlich um ihn reißen - die Frage nach Henne und Ei bleibt dabei unbeantwortet. So oder so: Sagan wurde zwischen 2015 und 2017 dreimal in Serie Weltmeister im Straßenrennen, noch keinem Fahrer zuvor war das gelungen. Nicht mal Merckx.

Peter Sagan wechselt zu Bora - und wird bei der Tour de France disqualifiziert

Mitten in der Erfolgswelle verkündet Sagan einen Teamwechsel. 2017 geht er von Tinkoff, wo er zwei Jahre lang unter Vertrag stand, ausgerechnet zu Bora-Hansgrohe. Zum kleinen deutschen Team, das gerade erst den Aufstieg in die World Tour perfekt gemacht hatte. Gute Kontakte zwischen Bora-Teamchef Ralph Denk und Sagan-Manager Giovanni Lombardi, vor allem aber die Weitsicht des italienischen Ex-Profis, sollen den Deal möglich gemacht haben.

Doch bevor der zweifache Weltmeister für sein neues Team das sechste Grüne Trikot bei der Tour de France holen kann, wird er disqualifiziert. Ein vermeintlicher Ellbogenstoß im Sprint auf der 4. Etappe gegen Mark Cavendish, der in die Bande gerät und stürzt, beendet das Unterfangen, nachdem Sagan bereits eine Etappe gewonnen hatte. Unter einem riesigen Mediengetümmel reist er ab. Das Krude - Ende des Jahres lässt die UCI verlauten, dass es sich bei der Disqualifikation um einen Fehler handelte.

Trotzig fährt Sagan zwei Monate später zum dritten WM-Titel in Serie. Nachdem der praktizierende Katholik zu Jahresbeginn 2018 eine Audienz beim Papst bekommt und ihm ein Weltmeistertrikot sowie ein Rennrad in den Farben des Vatikans schenkt, gewinnt er mit Paris-Roubaix nach der Flandern-Rundfahrt 2016 sein zweites Monument. Die Tour de France im Sommer beendet er mit drei Etappensiegen und Grün standesgemäß und so, als wäre nie etwas gewesen.

Peter Sagans Rückkehr aufs Mountainbike

2019, Sagan ist mitlerweile 30 Jahre alt, holt er das letzte seiner sieben Grünen Jerseys, die heute bei der scheinbar nicht enden wollenden Masse an Weltklassesprintern, die ins Peloton nachrücken, wie ein Rekord für die Ewigkeit erscheinen. Danach endet die Dominanz des Slowaken, der den Radsport beeinflusst hat wie nur wenige andere Profis es taten.

Bis 2021 bleibt er noch bei Bora, ehe er seine Karriere bei TotalEnergies ausklingen lässt. Bewusst geht er den Schritt in die zweite Liga. Während der Sponsor noch bemüht ist, das letzte bisschen Prestige aus der Verpflichtung des ruhiger gewordenen Stars zu quetschen, hat der bereits andere Ziele vor Augen.

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Am 1. Oktober 2023 fährt Sagan sein letztes Rennen als Straßenprofi. Bei der Tour de Vendee, einem kleinen Rennen in der Heimat seines französischen Teams, verabschiedet er sich von seiner Profi-Karriere. Das Rad hängt er damit aber noch nicht an den Nagel. Er könne sich vorstellen, ließ Sagan jüngst verlauten, nochmal bei einem Kontinental-Team in der Slowakei anzuheuern. Bei RRK Group - Pierre Baguette - Benzinol, dort, wo Bruder Juraj nach seinem Karriereende als Sportlicher Leiter tätig ist.

Es sei eine vortreffliche Gelegenheit, ohne Siegesdruck Kilometer zu sammeln. Die braucht er für sein vermutlich letztes großes Ziel auf dem Rad: Bei Olympia 2024 in Paris auf dem Mountainbike will er nochmal eine gute Rolle spielen und Spaß haben. So, wie es schon zu Beginn seiner Karriere immer seine Absicht war.

Die größten Erfolge von Peter Sagan

  • 3x Weltmeister im Straßenrennen (2015, 2016, 2017)
  • Gewinner des Grünen Trikots bei der Tour de France (2012, 2013, 2014, 2015, 2016, 2018, 2019)
  • 12x Etappensieger Tour de France (zwischen 2012 und 2019)
  • Sieger Paris-Roubaix (2018)
  • Sieger Flandern-Rundfahrt (2016)
  • 3x Sieger Gent-Wevelgem (2013, 2016, 2018)
  • 18x Etappensieger Tour de Suisse
  • 17x Etappensieger Tour of California
  • Gewinner der Punktewertung beim Giro d’Italia (2021)
  • Gewinner des Velo d’Or 2016
  • Erster UCI-Weltrangliste 2016
  • insgesamt 121 Siege als Profi, davon 69 auf World-Tour-Niveau

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