Karriereenden 2023Nacer Bouhanni - der beste “Boxer” der Radsportgeschichte

Sebastian Lindner

 · 06.11.2023

Der sprintende "Boxer" mit Freundin Hafsia Herzi beim Tennis: Im Juni ist Nacer Bouhanni in Paris zu Gast bei den French Open. Noch hat er sein Karriereende nicht verkündet. Das macht er gut drei Monate später.
Foto: DPA Picture Alliance
Das Jahr 2023 sah das Ende vieler großer Namen im Radsport. Vor allem die Klassiker-Fans müssen sich von einigen Helden verabschieden. Zu den Stars, die ihr Rad an den Nagel hängen, gehört auch Nacer Bouhanni. TOUR blickt auf seine Karriere zurück.

Er mag ihn überhaupt nicht. Diesen Ruf, der ihm fast Zeit seiner Karriere anhängt. Der Bad Boy, das Entfant Terrible des Radsports. Eigentlich sei er eher schüchtern, sagte Nacer Bouhanni mal dem britischen Radsport-Magazin Rouleur. Doch dann sind da immer wieder diese Bilder. Bouhanni im vollen Sprint Arm in Arm mit Michael Matthews bei Paris-Nizza 2016. Bouhanni, wie er bei der Tour de France 2017 seinem Nebenmann Jack Bauer mitten im Peloton einen Faustschlag verpasst. Oder Bouhanni, wie er 2021 beim GP Cholet einmal quer über die Straße zieht und seinen britischen Kontrahenten Jake Stewart von seinem Ex-Team Groupama-FDJ in die Bande drückt. Der stürzt zwar nicht, bricht sich dabei aber die Hand.



Die letzte unrühmliche Aktion des Nacer Bouhanni war auch diejenige, die am konsequentesten bestraft wurde. Zwei Monate sperrt ihn die UCI für alle ihre Rennen. Zurück kommt der Franzose mit Wut im Bauch, wie immer, wenn er sich missverstanden oder falsch behandelt fühlt, rechtzeitig zur Tour. Zwar verpasst er den erhofften Etappensieg, doch fährt er die beste Frankreich-Rundfahrt seiner Karriere.

Bouhanni verkündet das Ende: “Nur ein Schatten meiner selbst”

Viel mehr Zeit bleibt ihm nicht, positiv oder negativ aufzufallen. Im April 2022 stürzt er bei der Türkei-Rundfahrt, nachdem eine Frau völlig unbedacht mit dem Rücken zum Peloton auf die Straße läuft. Im Massensturz, der an die Szene aus der Tour 2021 erinnert, als eine Frau mit einem Pappschild zahlreiche Fahrer zu Fall brachte, bricht sich Bouhanni einen Halswirbel. Die Saison ist beendet. Und im Grunde auch die Karriere.

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2023 will er zwar nochmal angreifen. Doch das gelingt nicht. Am 2. Oktober verkündet er auf Instagram das Aus mit 33 Jahren. “Nach meinem schweren Unfall im letzten Jahr war ich nur noch ein Schatten meiner selbst. Ich kämpfte mit Leib und Seele, um wieder auf mein Niveau zu kommen, aber ohne Erfolg. Das Leben hat anders entschieden”, schreibt Bouhanni.

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70 Siege als Profi springen in 13 Jahren für FDJ, Cofidis und Arkea-Samsic heraus. Darunter von 2013 bis 2016 in vier Saisons am Stück jeweils elf. In dieser Phase ist Bouhanni trotz der riesigen Konkurrenz durch André Greipel, Marcel Kittel, Peter Sagan, Mark Cavendish, Arnaud Demare, Caleb Ewan oder Alexander Kristoff einer der erfolgreichsten Sprinter im Feld.

Bouhanni 2014 so erfolgreich wie nie

Sollte es einen Makel in Bouhannis Erfolgsbilanz geben, ist es der fehlende Sieg bei der Tour. Obwohl er Zeit seiner Karriere in französischen Teams unter Vertrag steht, ist er nur viermal beim wichtigsten Radrennen der Welt am Start. Mal wird er nach Streitigkeiten mit dem Management nicht nominiert, mal bricht er sich die Hand vor dem Rennen, als er sich mit betrunkenen Hotelgästen anlegt. Insgesamt kommt er nur auf zehn Grand Tours in seiner Laufbahn, lediglich zweimal erreicht er dabei auch das Ziel. Einmal, beim Giro 2014, belohnt er sich dabei auch mit dem - damals - Roten Trikot des Punktbesten.



Die drei Etappen, die er dabei gewinnt, sollten in diesem Jahr aber nicht seine einzigen Siege bei dreiwöchigen Rundfahrten sein, denn später im Jahr legt er noch zweimal bei der Vuelta nach. Vier Jahre später kann Bouhanni nochmal eine Grand-Tour-Etappe für sich entscheiden, wieder ist es bei der Vuelta.

Damit ist 2014 das erfolgreichste Jahr des Franzosen. Es ist sein viertes als Profi. 2010 kommt er im Sommer als Stagiare zu FDJ und überzeugt direkt am dritten Renntag mit seinem ersten Sieg bei einer kleinen .2-Rundfahrt. Teamchef Marc Madiot bietet ihm einen Vertrag an und wird nicht enttäuscht.

Bouhanni und die Manager

Zumindest vorerst. Obwohl Bouhanni 2014 liefert, lässt ihn sein Boss nicht zur Tour. Schon im Frühjahr bringt er ihn um Mailand-San Remo, seinen bevorzugten Klassiker - und das einzige Monument, dass er je gefahren ist. Und mit Platz 6, 4 und 8 durchaus erfolgreich bestritten hat. Es kommt zum Bruch. Bouhanni mosert öffentlich in der L’Equipe - und fährt in der nächsten Saison für Cofidis.

Auch dort läuft es zunächst rund. Doch 2018 wird Ex-Profi Cedric Vasseur neuer Manager der Equipe und streicht Bouhanni in einer seiner ersten Amtshandlungen die Helferriege für das Leadout zusammen. Nicht, dass der nur 1,75 Meter große und eher schmächtig gebaute Sprinter darauf angewiesen wäre. Im Stile eines Robbie McEwen konnte sich Bouhanni gut allein im Feld behaupten. Vielmehr wertet er es als Affront. Das Tischtuch ist zerschnitten, denn schon zuvor hatte er einen laustarken und nach einigen Quellen auch handgreiflichen Streit mit Sportdirektor Roberto Damiano nach Eschborn-Frankfurt. 2020 wechselt er das letzte Mal das Team und geht zu Arkea-Samsic.

“Boxer” Bouhanni mit Rassismus konfrontiert

Was Nacer Bouhanni ebenfalls mit McEwen teilt, ist der Ruf als Raubein. Den “Boxer” nennen sie ihn im Feld. Und zweifellos beziehen sich damit nicht alle Konkurrenten darauf, dass sich Bouhanni tatsächlich nebenher im Ring fithält. Mit sechs Jahren beginnt er nicht nur mit dem Radfahren, sondern auch mit dem Boxen. Hätte sich der Erfolg auf dem Rad nicht so schnell eingestellt, hätte Bouhanni jetzt möglicherweise ein paar Profi-Kämpfe als auf dem Buckel. Eine entsprechende Karriere nach dem Radsport zog er zwischenzeitlich tatsächlich in Betracht, doch dürfte auch das mit der Halswirbel-Verletzung kaum möglich sein.



Doch die schwere Verletzung ist nicht das einzige, was dem Mann aus Epinal am Rande der Vogesen in seinen letzten Jahren als Profi zu schaffen macht. Nach dem Foul gegen Stewart 2021 sieht sich Bouhanni offen mit Rassismus konfrontiert. Schon seit längerer Zeit sei er in den sozialen Medien angefeindet worden, erklärt der Franzose mit algerischen Wurzeln in der L’Equipe. Die Situation mit Stewart aber habe das Fass zum überlaufen gebracht, er die Polizei eingeschaltet.

Sein Ruf als Flegel des Feldes mag Clichees unterstützt haben. Doch Bouhanni wird sich auch dadurch nicht von seinem Weg abbringen lassen. Er sei nicht derjenige, für den er gehalten werde. Aber, sagte der dem Rouleur, er werde sich auch nicht ändern. Schon gar nicht nach der Karriere.

Die größten Erfolge von Nacer Bouhanni

  • insgesamt 70 Siege als Profi, 18 davon auf WorldTour-Ebene
  • Trikot des Punktbesten + 3 Etappensieg beim Giro d’Italia 2014
  • 3 Etappensiege bei der Vuelta a Espana (2014, 2018)
  • Sieger UCI Europe Tour 2015
  • 3 Etappensiege Criterium du Dauphine (2015, 2016)
  • 3 Etappensiege Paris-Nizza (2013, 2014, 2016)
  • 3 Etappensiege Katalonien-Rundfahrt (2016, 2017)
  • 2016 4. Platz Mailand Sanremo, auch 2015 und 2017 in den Top 8

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