Interview SteinhauserVater und Sohn über den Giro-Erfolg und weitere Radsport-Anekdoten

Andreas Kublik

 · 25.10.2024

Interview Steinhauser: Vater und Sohn über den Giro-Erfolg und weitere Radsport-Anekdoten
Foto: Christian Kaufmann
Tobias und Georg Steinhauser über Profi-Radsport gestern und heute, Georgs Onkel Jan Ullrich, Lehrjahre im Familienunternehmen und darüber, wie beide den Etappensieg des Jüngeren beim Giro d’Italia erlebt haben.

Interview mit Tobias und Georg Steinhauser

TOUR: Georg, Sie feierten am 22. Mai ihren ersten Sieg als Radprofi auf der 17. Etappe des Giro d’Italia von Wolkenstein auf den Passo Brocon. Ein paar Hundert Kilometer entfernt saßen Sie, Tobias, im Studio von Eurosport in München und beobachteten den Durchbruch des Sohnes live vor laufender Kamera. War das Zufall?

Tobias Steinhauser: Wir waren ein paar Tage zuvor bei der Giro-Etappe in Livigno – da kam der Anruf von Eurosport, von Jens Voigt. Er fragte, ob ich Zeit hätte, die Leute von Eurosport hätten mich gerne im Studio oder für eine Live-Schalte. Ich habe gleich gesagt, wir machen Studio – unter einer Bedingung: Wir gehen danach ein Bier trinken. Rolf Aldag, Jens und ich. Ich weiß nicht, warum ausgerechnet dieser Mittwoch letztlich der Tag der Wahl war.

TOUR: Sie gehörten mit den Eurosport-Experten Rolf Aldag und Jens Voigt zu einer Rennfahrer-Generation. Sie kennen sich gut. Zuvor hatte Georg schon aufhorchen lassen, als er auf der längsten Giro-Etappe ins Skigebiet oberhalb von Livigno Dritter wurde – hinter Tadej Pogacar und Nairo Quintana. Hatten Sie eine Vorahnung?

Tobias Steinhauser: Ich habe Georg angerufen am Tag, bevor ich mich auf den Weg nach München gemacht habe. Ich habe gefragt, ob ich irgendetwas wissen muss. Er meinte, er versucht es morgen nochmal. Dazu muss ich sagen, was eigentlich herausragend war: Auf jeder Giro-Etappe, bei der er vorher gesagt hat, er möchte es probieren, war er auch in der Spitzengruppe. Und ich weiß noch aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, in eine Gruppe zu kommen.

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Giro d`Italia: Die bisher größte Herausforderung

Der Giro war meine erste Grand Tour. Vorher bin ich maximal zehn Tage am Stück gefahren. Es war für mich irgendwie unvorstellbar, das 21 Tage lang zu machen. - Georg Steinhauser

TOUR: Georg, am Ende dieses Tages stand der Erfolg, der Sie als Radprofi einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht hat. Wie haben Sie den Weg zu Ihrem bis dato größten Erfolg erlebt?

Georg Steinhauser: Vor dem Giro war ich richtig aufgeregt. Es war für mich die erste Grand Tour in meiner Karriere. Davor bin ich mal eine einwöchige Rundfahrt gefahren, maximal zehn Tage am Stück. Und ich wusste, wie müde und erschöpft ich danach war. Daher war es für mich irgendwie unvorstellbar, das 21 Tage lang zu machen.

TOUR: Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?

Georg Steinhauser: Schon bevor die Saison begonnen hatte, habe ich mir das Ziel Giro gesetzt. Als ich zum Giro hingekommen bin, habe ich viel mit den erfahrenen Profis geredet. Und dann hieß es eigentlich immer: Du musst von Tag zu Tag schauen! Das habe ich dann auch gemacht.

TOUR: Das ist eine Binsenweisheit. Tatsächlich sollten Sie zunächst ausprobieren, was Sie im Gesamtklassement der Italien-Rundfahrt erreichen könnten.

Georg Steinhauser: Nach der ersten Woche habe ich vor dem Ruhetag krankheitsbedingt so viel Zeit verloren, dass das Gesamtklassement kein Thema mehr war. Wir haben dann den Plan geändert und mit der Sportlichen Leitung ein paar Tage herausgepickt, die mir gut liegen könnten.

TOUR: Das war aber nicht Ihr erster Rückschlag in dieser Saison...

Georg Steinhauser: Es gibt immer Sachen, die passieren. Zu Saisonbeginn bin ich bei der UAE Tour blöd gestürzt, hatte eine Gehirnerschütterung und musste pausieren. Als ich wieder Rennen gefahren bin, lief es erst mal ganz schön schlecht. So was muss man verarbeiten. Dass es dann beim Giro doch so gut lief, war für mich auch eine Überraschung und ein super Gefühl, weil sich alles ausgezahlt hatte.

Georg ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten und ist seit 2022 Radprofi. Dieses Jahr feierte er seinen ersten Etappensieg beim Giro.Foto: Christian KaufmannGeorg ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten und ist seit 2022 Radprofi. Dieses Jahr feierte er seinen ersten Etappensieg beim Giro.

Emotionale Reaktionen zum Giro-Erfolg von Georg Steinhauser

Ich habe versucht, mich zusammenzureißen, um im Studio drei Worte rauszubringen – was mir einigermaßen gelungen ist. - Tobias Steinhauser

TOUR: Tobias, wie haben Sie den großen Erfolg Ihres Sohnes erlebt?

Tobias Steinhauser: Die letzten Kilometer habe ich live vor dem Monitor gesessen. Ich habe den Sieg live miterlebt und war entsprechend emotional ergriffen. Das Ganze besteht ja nicht nur aus einem Rennen. Ich weiß selbst: Es gibt Tiefschläge, man muss wieder nach oben krabbeln. Wenn sich das dann auszahlt – es gibt nichts Besseres.

TOUR: Es gab bei Eurosport die Live-Bilder von Ihnen, die zeigen, wie ergriffen Sie waren und sich die Augen wischen mussten. War Ihnen bewusst, dass Sie von einer Kamera beobachtet wurden?

Tobias Steinhauser: Ich hätte noch viel mehr geflennt, wenn ich nicht gewusst hätte, dass ich gleich auf Sendung sein würde. Daher habe ich versucht, mich zusammenzureißen, um im Studio drei Worte rauszubringen – was mir einigermaßen gelungen ist. Ich wusste aber nicht, dass alles mitgefilmt wird. Das war aber im Nachhinein eine super Geschichte. Ich habe Reaktionen zu diesem Clip aus allen Ländern gekriegt – Spanien, Italien, Frankreich, von überallher. Das hat mich gefreut. Denn das heißt: Der Radsport begeistert mit seinen Emotionen.

TOUR: Sie genießen das selbst – der Ex-Radprofi als Fan?

Tobias Steinhauser: Ich war ja selbst ganz normal als Zuschauer beim Giro, bei der Etappe nach Livigno: Es ist einfach super, wie gut die Leute da drauf sind. Auch einem Nicht-Radsport-Fan kann man eigentlich nur empfehlen, da mal hinzugehen.

TOUR: Georg, haben Sie Ihren Vater rund um ein Radrennen jemals derart emotional gesehen?

Georg Steinhauser: Nein, eigentlich noch nie.

Tobias Steinhauser über seine Zeit als Radprofi

TOUR: Tobias, Sie sind selbst im Jahr 1997 ganz knapp an einem Etappensieg beim Giro d’Italia vorbeigeschrammt, wurden Vierter, zeitgleich mit dem Tagessieger. Was hat Georg besser gemacht als Sie damals?

Tobias Steinhauser: Ich habe damals auf der Etappe einfach die falsche Entscheidung gefällt. Alleine war es mir zu weit ins Ziel, deshalb habe ich auf die drei hinter mir gewartet. Ich dachte, die hänge ich am nächsten Berg ab. Und am Ende habe ich es halt verkackt, auf gut Deutsch. Bei uns im Allgäu sagt man: ‚Dr Wenn und dr Hätt hat no nie viel g’hätt‘. Und das hat Georg halt nicht gemacht. Das ist das Tolle am aktuellen Radsport: Die fahren alle die Attacke einfach weiter – und wenn sie nur fünf Meter Vorsprung haben. Schließlich müssen die dahinter sie erst einmal einholen. Und sie werden halt immer wieder mal nicht eingeholt. Das hat sich im Kopf der heutigen Rennfahrer verfestigt. Das war früher ganz anders. Die Sportlichen Leiter, die erfahrenen Leute, haben damals nicht in diese Richtung gezielt.

TOUR: Hat sich nur diese Einstellung im Profi-Radsport verändert?

Tobias Steinhauser: Inzwischen ist das Ganze professioneller. Das Verständnis der Rennfahrer vom Sport, vom Training, hat meines Erachtens zugenommen. Die checken es einfach besser. Es geht weiter mit Ernährung. Die Spitze bewegt sich in einem engen Bereich. Ein paar Watt mehr oder weniger machen einfach viel aus – oft den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage. Wenn man Dritter wird, ist man super gefahren. Aber die Öffentlichkeit kriegt es erst richtig mit, wenn man gewinnt.

Das Verständnis der Rennfahrer vom Sport, vom Training, hat meines Erachtens zugenommen. Die checken es einfach besser. - Tobias Steinhauser

Radsport ist Ergebnissport

TOUR: Georg, es sieht so aus, als hätten Sie beim Giro eine Leistungsexplosion erlebt, als sei es Ihr Durchbruch gewesen. Im Radsport wird vieles an Ergebnissen und vor allem an Siegen gemessen. Warum hat es gerade jetzt geklappt?

Georg Steinhauser: Es spielen so viele Faktoren rein, die man teilweise nicht in der Hand hat. Ich sage immer noch, dass ich meine beste Form eigentlich 2023 vor der Vuelta (Spanien-Rundfahrt im August/September; Anm. d. Red.) hatte. Aber ich bin damals gar nicht bei der Vuelta angekommen, weil ich davor Corona hatte. In meinen beiden ersten Profi-Jahren habe ich die Saison jeweils ein bisschen früher beendet, weil ich krank wurde. Und in meinem ersten Profi-Jahr hatte ich noch parallel die Ausbildung. Dieses Jahr zum Giro war es das erste Mal, dass eigentlich alles mehr oder weniger glatt lief – obwohl ich zuvor bei der Tour of the Alps gestürzt bin. Aber das passiert jedem Sportler: Jeder wird mal krank, jeder stürzt mal. Das ist einfach Part of the Job.

TOUR: Man darf angesichts des Erfolgs nicht vergessen: Es war Ihr Debüt bei einem dreiwöchigen Etappenrennen. Wie hart haben Sie denn Ihre erste Grand Tour erlebt?

Georg Steinhauser: Ich habe es mir schwerer vorgestellt. Ich habe gelernt, dass es auch länger geht, dass alle Fahrer durch das Gleiche durch müssen – ob es regnet oder 35 Grad hat. Was ich mir leichter vorgestellt habe: auf Gesamtklassement zu fahren. Mir hat es viel Kraft gegeben, wenn ich entschieden habe, einzelne Tage lockerer anzugehen. Fürs Gesamtklassement muss man jeden Tag top drauf sein. Da muss ich noch ein paar Schritte machen, mehr Erfahrungen sammeln.



Unterstützung von Zuhause

TOUR: Ihr Vater hat sich in jungen Jahren gegen die Widerstände in einem nicht radsportaffinen Elternhaus durchsetzen müssen. Sein erstes Rennrad hat er sich heimlich selbst gekauft. Wie sehr haben Sie sich im Elternhaus auf dem Weg zum Radprofi unterstützt gefühlt?

Georg Steinhauser: Ich habe mir nicht heimlich ein Rad kaufen müssen. Was ich jetzt rückblickend aber gut finde: Dass eigentlich alles von mir selbst ausging. Mein erstes Rennrad habe ich vom Vater von meinem besten Freund bekommen. Meine Eltern haben mich immer unterstützt. Aber sie haben gesagt: Wenn du etwas brauchst, dann muss es von dir kommen, du musst nachfragen.

Ausbildung während der professionellen Radsportkarriere

Mein jetziger Trainingsalltag fühlt sich wie Luxus an. Rückblickend hört es sich unmöglich an, dass ich um halb sieben morgens in der Werkstatt stand. - Georg Steinhauser

TOUR: Es ist aber nicht Teil des Jobs als Radprofi, nebenbei noch eine Berufsausbildung zu absolvieren. Sie haben das gemacht. Sie haben im Betrieb Ihres Vaters Metallbauer gelernt. War das Bedingung der Eltern?

Georg Steinhauser: Mir war eigentlich klar, dass ich eine Ausbildung machen möchte und mich danach erst auf den Radsport konzentrieren will. Ich hatte allerdings nicht erwartet, dass ich schon während der Ausbildung einen Profi-Vertrag bekommen würde. Wenn ich jetzt zurückschaue, habe ich alles genau richtig gemacht. Mein jetziger Trainingsalltag fühlt sich nun wie Luxus an. Rückblickend hört es sich selbst für mich unmöglich an, dass ich um halb sieben morgens in der Werkstatt stand und vor dem Training einen halben Tag gearbeitet habe.

TOUR: Sie mussten um 6.30 Uhr anfangen und durften um 13 Uhr Schluss machen, um noch Zeit fürs Training zu haben. Was hat denn der Chef gemacht, damit bei den Kollegen nicht der Eindruck entsteht, dass der Junior zu viel Bevorzugung erfährt?

Tobias Steinhauser: Was alle anderen gemacht haben, hat er auch gemacht. Nicht mehr und nicht weniger, würde ich sagen. Er hat wie alle anderen um 6.30 Uhr da sein müssen. Aber wenn er nachts um drei von irgendeinem Rennen heimgekommen ist, gab’s eine Ausnahme. Aber das gilt auch bei den anderen, die bei mir arbeiten. Wenn da mal einer eine strenge Nacht gehabt hat, dann ruft er mich halt an und sagt: Boah, Chef, ich komme besser erst um zwölf. Das ist kein Problem.

TOUR: Georg, die duale Ausbildung zum Radprofi und zum Metallbauer hat Ihnen das World-Tour-Team EF Education EasyPost und dessen Chef Jonathan Vaughters geboten. Warum haben Sie sich letztlich für dieses Team entschieden?

Georg Steinhauser: Damals hatte ich mit zwei Teams Kontakt, bei denen ich gespürt habe, dass sie richtig Interesse an mir haben: Eolo-Kometa und EF. Das war das, was ich fühlen wollte. Für mich ist es einfach wichtig, dass sie in einem Team wirklich an mich glauben und mich unterstützen.

Radsportfamilie Steinhauser

Die Familie ist radsportbegeistert: Neben dem Vater-Sohn-Duo ist auch Georgs Onkel, ein gewisser Jan Ullrich, kein unbekannter im Radsport-Jargon.Foto: Christian KaufmannDie Familie ist radsportbegeistert: Neben dem Vater-Sohn-Duo ist auch Georgs Onkel, ein gewisser Jan Ullrich, kein unbekannter im Radsport-Jargon.

TOUR: Georg, Sie kommen aus einer Radsportfamilie. Ihr Vater war um die Jahrtausendwende Radprofi bei Teams wie Gerolsteiner, Coast/Bianchi und T-Mobile. Ihr Onkel ist Jan Ullrich. Inwieweit sind Sie von deren Karrieren geprägt?

Georg Steinhauser: Bis ich 17 oder 18 Jahre alt war, war es für mich eigentlich immer so: Mein Vater war halt mein Vater und mein Onkel war halt mein Onkel. Natürlich wusste ich, was sie erreicht haben. Natürlich habe ich im Keller die Trikots gesehen. Ich habe auch ein paar Rennen von meinem Vater angeschaut und alte Bilder. Aber ich habe mich ein bisschen auf mich konzentriert, ich bin meinen eigenen Weg gegangen. Sie haben ihre Geschichte geschrieben und ich mach’ mein Ding.

TOUR: Wie wirkt diese Einstellung auf Sie, Tobias?

Tobias Steinhauser: Ich denke darüber nach, wie das bei uns früher war. Damals haben uns die Alten immer erzählt: Früher waren die Berge noch steiler und der Schnee noch kälter. Mich begeistert die Einstellung meiner Kinder – nicht nur im Radsport. Für meine zwei Töchter (25 und 19 Jahre alt; Anm. d. Red.) gilt das Gleiche. Die eine studiert, die andere macht eine Ausbildung. Und ich freue mich einfach als Vater, wenn sie ihren Weg machen.


Über Tobias Steinhauser

Papa Tobias SteinhauserFoto: Christian KaufmannPapa Tobias Steinhauser
  • Nationalität: Deutsch
  • geboren: 27.1.1972 in Lindenberg
  • Größe: 1,85 m
  • Gewicht: 72 kg
  • Beruf: Geschäftsführer und Inhaber der Metalltechnik Steinhauser; gelernter Schmied
  • Wohnort: Scheidegg (Allgäu)
  • Profi: von 1996 bis 2005
  • Erfolge: Slowenien-Rundfahrt 1994, Hessen-Rundfahrt/Drei-Länder-Tour, WM-Fünfter 2000, Platz drei Deutschland-Tour, Etappensieg Tour de Suisse 2002
  • Teams: Refin-Mobilvetta (1996–1997), Vitalicio Seguros (1998), Mapei-Quick-Step (1999), Gerolsteiner (2000-2002), Coast/Bianchi (2003), T-Mobile (2004–2005)

Über Georg Steinhauser

Sohn Georg SteinhauserFoto: Christian KaufmannSohn Georg Steinhauser
  • Nationalität: Deutsch
  • geboren: 21.10.2001 in Lindenberg
  • Größe: 1,89 m Gewicht 71 kg
  • Beruf: Radprofi (gelernter Metallbauer)
  • Wohnort: Lochau (Vorarlberg/ Österreich)
  • Profi: seit 2022
  • Erfolge: Etappensieg Saarland Trofeo, Etappensieg Oberösterreich-Rundfahrt, Etappen- und Gesamtsieg Ain-Bugey-Valromey Tour (2019), Gippinger Radsporttage, Etappe Giro della Valle d’Aosta, Dritter Piccolo Lombardia 2021, Etappenzweiter Tour of the Alps 2023, Etappe Giro d’Italia 2024
  • Teams: Tirol KTM Cycling Team (2020–2021), EF Education EasyPost (2022–2026)

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