Interview mit Rick Zabel“Ich fühle mich das erste Mal frei”

Daniel Brickwedde

 · 21.06.2024

Interview mit Rick Zabel: “Ich fühle mich das erste Mal frei”Foto: Andreas Dobslaff
Mit über 250.000 Followern auf Instagram und seinem Podcast “Plan Z” gehört Rick Zabel zu den populärsten deutschen Rennfahrern. Als Radsportler kam er jedoch nicht an die Erfolge seines Vaters Erik heran. Nun hat er seine Laufbahn früh beendet und blickt zurück auf seine Karriere – und den Spagat zwischen Radprofi und Social-Media-Größe.

Zur Person Rick Zabel

  • Nationalität: deutsch
  • Geboren: 7.12.1993 in Unna
  • Familienstand: verheiratet mit Leonie, zwei Kinder
  • Teams: BMC Racing Team (2014–2016), Team Katjuscha-Alpecin (2017–2019), Israel Cycling Academy (2020–2021), Israel-Premier Tech (2022–2024)
  • Größte Erfolge: Etappensieg Österreich-Rundfahrt 2015, Zweiter Eschborn-Frankfurt 2017, Etappensieg Tour of Yorkshire 2019
  • Instagram: rickzabel

Interview mit Rick Zabel

TOUR: Herr Zabel, da Sie nun kein Radprofi mehr sind: Was waren die ersten Dinge, die Sie ohne Reue gemacht haben?

Rick Zabel: Ich bin jetzt nicht ins Extrem übergeschlagen. Ich war auch während meiner Karriere mal freitagabends los oder habe Pizza bestellt, wenn kein Rennen anstand. Es hat sich daher nicht so viel geändert. Ich freue mich einfach, mal Alternativsportarten zu machen – ins Fitnessstudio zu gehen oder mit dem Laufen anzufangen.

Gedanken zum Karriereende

TOUR: Warum haben Sie Ihre Karriere vorzeitig mitten in der Saison nach Rund um Köln beendet?

Rick Zabel: Es war eine Entscheidung aus dem Bauch heraus. Intern war der Plan, dass ich am Jahresende aufhöre – nun war Paris-Roubaix im April mein letztes Rennen, ohne dass ich es wusste. Eine Woche nach dem Rennen bekam ich einen Anruf von unseren Teammanager Kjell Carlström. Wir haben uns lange unterhalten, bis er irgendwann fragte: Rick, könntest du dir vorstellen, früher aufzuhören?

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Das Team hat Joe Blackmore als Riesentalent im Nachwuchs (2024 Sieger Tour du Rwanda und Lüttich-Bastogne-Lüttich U23, Anm. d. Red.), der nun bereits aufsteigen soll. Ich hatte ein paar Tage Bedenkzeit. Für mich war entscheidend: Habe ich eine Chance auf die Tour? Dann hätte ich weitergemacht. Aber die Antwort des Teams war “Nein”. Die Abfindung war dann auch sehr attraktiv. Daher hat es für mich einfach gestimmt.

TOUR: Wann hat sich bei Ihnen der Gedanke verfestigt: Das mit dem Radsport mache ich vielleicht nicht mehr so lange?

Rick Zabel: Mit 23 oder 24 Jahren hatte ich bereits im Kopf, dass ich bis 30 fahre – und dann mal schaue, ob es das noch ist. Im Vorjahr habe ich gemerkt, dass mein Interesse an anderen Dingen viel größer ist als für das Profi-Dasein. Und wenn man sich die Warum-Frage stellt, ist die Entscheidung schon gefallen.

TOUR: Ein Karriereende mit 30 Jahren ist ungewöhnlich früh. Ihr Vater Erik hat seine Karriere bis 38 ausgereizt. Wie hat Ihr Umfeld reagiert?

Rick Zabel: Mit meinem Papa habe ich im vergangenen Sommer oft über das Thema gesprochen. Er hat das zunächst nicht verstanden. Er ist ein anderer Typ und lebt noch voll für den Radsport. Für ihn waren die Jahre als Radprofi die beste Zeit seines Lebens. Nach zwei Wochen kam er aber zu mir und meinte: Du bist nicht ich, du musst dein Leben leben – und solange du glücklich bist, bin ich es auch. Nun war es ähnlich. Er hat mir da nicht hineingeredet. Meine Mama und meine Großeltern haben hingegen nur darauf gewartet, dass es passiert. Im privaten Rahmen habe ich viel über den Radsport gemeckert – da hat meine Familie schon gemerkt, dass ich meinen eigenen Weg gehe. Und was den Sturzaspekt angeht, ist die Familie nicht traurig, dass ich nicht mehr in die Sprints reinhalten muss.



Familie und Radsport

TOUR: Sie kennen beide Perspektiven im Radsport: als Sohn und als Vater. Inwiefern lassen sich Profiradsport und Familie vereinbaren?

Rick Zabel: Früher hätte ich gesagt: Das funktioniert gut. Mein Vater war natürlich oft weg und hat mir gefehlt. Aber wenn ich als Kind bei der Tour de France war, waren das schon superschöne Zeiten. Das möchte ich nicht missen. Ich bin damit groß geworden und es war cool, diese Erlebnisse zu haben. Aber der Radsport hat sich enorm gewandelt.

TOUR: Inwiefern?

Rick Zabel: Alles ist auf Professionalität ausgelegt. Früher war ich oft bei den Rennen dabei, oder mein Papa hat uns mit zu den Trainingslagern genommen. Das geht heutzutage nicht mehr. Eine eigene Familie zu haben, ist nach meinem Gefühl nicht mehr so gewünscht. Man soll Sportler sein. Wenn ich mit jungen Fahrern rede, sage ich denen: Fahrt, bis ihr 30 oder 32 Jahre alt seid und gründet dann eine Familie. So kommt ihr nicht in den Konflikt, den ich ständig hatte. Denn zum einen hat man Gewissensbisse, wenn man nicht bei der Familie ist, und zum anderen entsteht zu Hause das Gefühl, dass man nicht das professionelle Leben führt, das man vielleicht leben sollte.



Der Weg zu Social Media

TOUR: Haben Sie sich zuletzt eigentlich eher als Radprofi oder als sogenannter Content Creator in den sozialen Medien gesehen?

Rick Zabel: Das, was mich glücklich gemacht hat, war eindeutig das Storytelling in den sozialen Medien. Ich war allerdings auch gerne noch Radprofi. Wenn ein Rennen nicht gut lief, war ich enttäuscht, so ehrgeizig war ich schon. Dennoch ist Radsport ja relativ stupide: Radfahren, Massage, Essen – und das jeden Tag. Ich habe nebenbei etwas gebraucht, was mich herausfordert, wo ich einen kreativen Output habe. Und je professioneller ich alles in den sozialen Medien gemacht habe, desto mehr habe ich gemerkt, dass es ein Interesse trifft. Grundsätzlich bin ich ja mit meiner Karriere zufrieden – nur der sportliche Erfolg hat gefehlt. Instagram wurde irgendwann zu einer Art Ersatzerfolg: Guck mal, darin bin ich erfolgreich, das ist mein Alleinstellungsmerkmal. Das war für mich ein Motor.

TOUR: Sehen Sie sich als Pionier auf dem Gebiet?

Rick Zabel: Das kann man schon so sagen. Aber erst im Nachhinein. Denn es war am Anfang gar nicht so geplant. Das ist komplett authentisch und organisch nebenbei passiert – und wurde dann immer mehr. Es hat mich auch etwas aus der Radsport-Welt herausgeholt.

Kritik aus dem Radsport

TOUR: Wie ist das im Radsport wahrgenommen worden? Sind andere Fahrer auf Sie zugekommen – eventuell sogar für Tipps?

Rick Zabel: Tatsächlich sogar recht häufig. Während einer Bummeletappe bei Paris-Nizza in diesem Jahr kam zum Beispiel Michael Matthews auf mich zu. Er sagte, er sei über mein Instagram-Profil gestolpert und hängen geblieben – das sei ja Wahnsinn, wie ich das alles mache. Auch von jungen Fahrern kommen häufig Fragen. In den vergangenen zwei, drei Jahren ist die Anerkennung gewachsen. Und finanziell, das kann ich ganz offen sagen, hat sich das zuletzt mehr gelohnt als mein Profivertrag.

TOUR: Gab es auch Kritik?

Rick Zabel: Ja, am Anfang gab es viel Kritik. Ein gutes Beispiel ist mein Vertragsjahr 2022. Damals dachten mein Management und ich, dass wir mit über 100.000 Followern für die Verhandlungen einen Stein im Brett hätten. Aber es war das komplette Gegenteil. Viele Teamchefs haben mich mehr als Influencer gesehen. Mein Management musste immer betonen, dass ich ja trotzdem 30.000 Kilometer im Jahr absolviere und mehrere Lead-outs gefahren bin, die zum Sieg geführt haben. Doch dieses Vorurteil, der hängt nur im Internet herum, hat sich bei vielen festgesetzt.

Ich dachte, mit über 100.000 Followern auf Social Media hätte ich einen Vorteil bei Vertragsverhandlungen. Das Gegenteil war der Fall.

Zukunft von Social Media im Radsport

TOUR: Das klingt, als sei die Social-Media-Bekanntheit bei den Teams kein relevanter Faktor. Ist das noch zeitgemäß?

Rick Zabel: Genau das habe ich mir auch gedacht. Aber vielleicht kommt das noch. Die meisten Teammanager sind über 60 Jahre alt, die sehen vielleicht nicht, welche Werbeplattform ein Fahrer mitbringt. Es ist irgendwo ein Fehler im System: Radsport ist ein rein von Sponsoren betriebener Sport, und Sponsoren wollen Reichweite. Das klassische Business-Modell im Radsport lässt Social Media aber komplett außen vor, wohingegen es in anderen Bereichen eine Riesenrolle spielt. Viele Marken sind bereits sehr aktiv in der digitalen Welt – wenn die in den Radsport einsteigen, werden sie sagen: Wir brauchen Fahrer mit Reichweite und eigener Fan-Gemeinde. Ich bin gespannt, ob das für Teams irgendwann relevant wird. Denn eine Sache sehen viele im Radsport gar nicht...

TOUR: Welche wäre das?

Rick Zabel: Der normale Fan kann sich viel besser mit einem Fahrer wie mir identifizieren, der einfach froh ist, eine harte Bergetappe überstanden zu haben und nicht weiß, wie er morgen aus dem Bett kommt. So einem Fahrer sind die Leute viel näher als beispielsweise einem Tadej Pogacar – obwohl ich ein großer Fan bin. Aber selbst ich frage mich: Wie zur Hölle kann er so gut sein? Bei ihm kann sich die breite Masse nichts abschauen.

TOUR: Sportler fallen nach dem Karriereende oft in ein Tief, da der Lebensmittelpunkt wegfällt. Sie hingegen wirken regelrecht euphorisch.

Rick Zabel: Ich befinde mich in einer Goldgräberstimmung. Ich fühle mich das erste Mal frei und kann meine Partner selbst auswählen. Ich bin nicht mehr in dem Teamkorsett, in dem man dieses Rad und jene Klamotten oder Brille vorgesetzt bekommt. Darin habe ich mich zuletzt sehr gefangen gefühlt. Nun kann ich meine eigene Geschichte erzählen – und zum ersten Mal frei über meine Zeit bestimmen.

Rückblick auf die Sportler-Karriere

TOUR: Kommen wir zurück zu Ihrer Karriere. War es für Sie schwer zu akzeptieren, dass Sie nicht die herausragenden Erfolge Ihres Vaters erreichen werden?

Rick Zabel: Am Anfang war es schon eine Belastung. Denn bis zum Start der Profikarriere war für mich klar, dass ich voll in seine Fußstapfen trete. Natürlich war das im Nachhinein auch ein bisschen größenwahnsinnig (lacht). Die U23-Zeit verlief aber gut, deswegen dachte ich: Das läuft jetzt. Dass es dann nicht so kam, versteht man anfangs nicht. Nach meinen ersten drei Profijahren beim Team BMC hatte ich das Gefühl, dass ich nicht das gebracht habe, was erwartet wurde. Als Fahrer habe ich mich erst danach bei Katjuscha gefunden, in der Rolle als Sprintanfahrer. Da habe ich zum ersten Mal Wertschätzung und das Gefühl bekommen: Ich kann etwas gut.

TOUR: Worauf sind Sie stolz in Ihrer Karriere?

Rick Zabel: Dass ich mir selbst immer treu geblieben bin. Mit 14 Jahren habe ich gesagt, ich gehe auf eine Sportschule, mit 17 Jahren habe ich selbst den Kontakt zum Nachwuchsteam von Rabobank gesucht. Dafür habe ich mein Abitur abgebrochen. Mein Papa war absolut dagegen – da musste ich mich auch durchsetzen. Letztendlich war ich über eine Dekade Profi und bin die größten Rennen gefahren: viermal die Tour, viermal den Giro, sechsmal Paris-Roubaix. Auch meine erste Tour 2017 zu beenden, war ein krasses Gefühl: Als kleiner Junge war ich auf den Schultern meines Papas dabei und nun bin ich selbst im Profizirkus – das hat sich schon extrem gut angefühlt. Dann kam die Zweitkarriere in den sozialen Medien. Und nun habe ich ebenfalls konsequent gesagt: Das Kapitel Radprofi ist zu Ende.

TOUR: Sehen Sie verpasste Chancen?

Rick Zabel: Im Nachhinein hätte ich gerne 2017 Eschborn-Frankfurt gewonnen. Ich bin damals für Alexander Kristoff den Sprint angefahren und Zweiter geworden. Das war ein Riesenerfolg. Doch für die eigene Erfolgsliste wäre ein deutscher Klassiker cool gewesen. Ganz oft habe ich auch gehört: Du könntest mit deinem Talent viel mehr aus dir machen, wenn du noch professioneller wärst. Vielleicht hätte ich mich für ein Jahr wirklich voll auf den Radsport fokussieren sollen, um zu sehen, wo es dann hingeht.

Anderseits: Das wäre nicht ich gewesen. Ich bin rückblickend über alles glücklich, was ich als Profi erlebt habe und nicht neidisch auf andere. Bis 2018 habe ich mich allerdings mit Nils Politt, mit dem ich mich gut verstehe, auf Augenhöhe gesehen – danach sind unsere Karrieren völlig konträre Wege gegangen. Als er 2021 die Tour-Etappe gewann, habe ich mich als Freund sehr für ihn gefreut, allerdings hat es sportlich auch etwas an mir genagt. Das wäre auch mein großer Traum gewesen. Ich habe allerdings auch gesehen, was Nils dafür alles gemacht hat.

Blick in die Zukunft

TOUR: Was wünschen Sie sich für Ihre kommenden Jahre?

Rick Zabel: Ich wäre gerne ein Beispiel dafür, dass die Karriere nach der Karriere größer ist. Es wäre cool, wenn man in ein paar Jahren über mich sagt: Ach ja, der war mal Radprofi, krass, was er danach für einen Weg hingelegt hat. Denn im Radsport gibt es wenige Siegertypen und viele, die so durchschnittliche Fahrer sind wie ich. Denen möchte ich aufzeigen: Du kannst trotzdem Erfolg haben – aber auf anderer Basis.

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